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„Mein lieber Junge“… Briefe in den Krieg

Eine Lesung mit Musik über den Dächern von Kassel

Kassel, 8. Juni 2018 - Die Briefe von Rudyard Kipling an seine Kinder standen im Zentrum der Lesung am 7. Juni in der Bundesgeschäftsstelle des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Veranstalter der Reihe „Über den Dächern von Kassel ist das Evangelische Forum. In dieser Veranstaltungsreihe werden außergewöhnliche Orte mit besonderem Ausblick bespielt, die nicht jederzeit zugänglich sind. Susanne Jakubcyk vom Ev. Forum hatte die gute Idee, den Volksbund als Gastgeber anzufragen.

Briefe sind Schätze

„Wer den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge besucht, denkt nicht automatisch an eine Blick in die Weite – über die Dächer von Kassel. Unsere Schätze haben wir im Archiv, im Keller. Doch es gibt viele Gemeinsamkeiten zur heutigen Lesung. Denn es geht um Briefe und – unsere Schätze – das sind auch sehr viele Briefe. Briefe, in denen Angehörige nach ihren Vermissten fragen. Briefe, in denen sie danken, dass sie Gewissheit haben. Noch heute erreichen uns jährlich über 30.000 neue Anfragen.“

Mit diesen Worten begrüßte Daniela Schily, Generalsekretärin des Volksbundes als Gastgeberin das Publikum. Der große Sitzungssaal im 7. Stock der Bundesgeschäftsstelle bot – bei gewittrigem Himmel – einen weiten Blick über Kassel.

Jüngster Literaturnobelpreisträger

Rudyard Kipling, 1865 geboren in Bombay, heute Mumbai hat ein riesiges Werk hinterlassen. Er war der erste britische und ist bis heute der jüngste Literaturnobelpreisträger aller Zeiten. Sein bekanntestes Werk ist sicher das „Dschungelbuch“. Kipling war aber nicht nur ein ‚Schreibender, sondern auch ein Reisender. Er wuchs bis zu seinem fünften Lebensjahr in Indien auf und musste dann auf Wunsch seiner Eltern zurück nach England ziehen, um eine Schulausbildung zu absolvieren und englische Manieren zu lernen.

In der Lesung am gestrigen Abend stand der Familienvater Kipling im Mittelpunkt.

Der Schauspieler Christoph Förster, Ensemble des Theater Magdeburg trug die Briefe einfühlsam vor – begleitet von dem virtuosen Spiel der Violinistin Nina Osina. Dieser gemeinsame Vortrag – die Lesung und die Musikstücke begeisterten das Publikum.

Liebevoller und strenger Vater

In den Briefen an seine Kinder, die Friedrun Gutmann vom Ev. Forum ausgesucht hat, erzählt Kipling mal launig und amüsant vom Leben als Eltern, von der Nobelpreisverleihung in Stockholm und dem schwedischen Essen, beides beschrieb er eher skurril als ernsthaft. Er erteilt den Kindern aber auch strenge, wenn vielleicht auch nicht ganz ernst gemeinte Ratschläge zum Benehmen. Von seinem Sohn Jack fordert er zusätzliche sehr gute Leistungen in der Schule. „Ich hoffe wirklich, dass Du in diesem Trimester aufgrund Deiner Leistung in Latein und Mathematik eine Klasse höher eingestuft wirst. Du bist wirklich ganz gut, wenn du nur nachdenkst; wenn Du nicht denkst, sollte man dich treten. Es tut mir leid, dass ich Dich nicht genug getreten habe….“

Kipling zeigt sich in seinen Briefen als liebevoller, wenn auch strenger Familienvater. Er war ein Kind seiner Zeit, des britischen Empires und des viktorianischen Zeitalters.

Kriegstreiber oder ein Kind seiner Zeit?

Dann begann der Erste Weltkrieg. Kipling, ein hasserfüllter Deutschenfeind befürwortete den Krieg und ebenso, dass sein Sohn sich freiwillig meldete. Er setzte sogar seine Beziehungen dafür ein, dass Jack trotz seines Sehfehlers und seiner jungen Jahre zum Militär gehen konnte. 1915 starb Jack bei einer Schlacht zwischen deutschen und britischen Truppen an der Westfront in Frankreich. Er galt viele Jahre als vermisst, erst 1992 wurde er identifiziert.

Nach der Lesung ließen die beiden Künstler, Nina Osina und Christoph Förster ein beeindrucktes, fast betroffenes Publikum zurück. Ein paar Minuten zum Nachdenken waren für viele notwendig, um wieder Worte zu finden.

Dann flammte die Diskussion auf dem Flur auf: „Warum hat Kipling das getan? Er hat seinen eigenen Sohn in den Krieg gehetzt!“ „Nun ja, das war der Zeitgeist. Patriotismus in Deutschland, imperiales Denken in Großbritannien, damals noch ein Imperium mit zahlreichen Kolonien…“.Aber es gab doch auch andere Stimmen!“ „Es gab genügend Menschen, die sich gegen den Zeitgeist stellten“.

War Kipling ein Kriegstreiber, ein Hetzer? Darf man urteilen von unserem heutigen Stand her? Darf man ihn verdammen?

Die Söhne starben, weil die Väter logen

Wie ging es mit Kipling weiter? Nach dem Tod seines Sohnes fällt Kipling in tiefe Trauer und kämpft mit seinen Schuldgefühlen. Die Grabinschrift, die Kipling für seinen Sohn schrieb verdeutlicht dies:
„If any question why we  died, tell them, because our fasthers lied“ Sinngemäß ins Deutsche übersetzt heißt das. Wenn jemand fragt, warum wir starben, sagt ihm, weil unsere Väter logen.“

Diane Tempel-Bornett