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Aus der Geschichte lernen – für die Gegenwart kämpfen

Diskussionen über kontroverse Erinnerungen, Denkmalstürze und Europa als Friedensprojekt

Nach Stationen in Berlin, Riga, Kaunas und Danzig (Gdansk) fand die „Blaue Route“ der PEACE LINE ihren Abschluss mit einem Workshop in der Jugendbegegnungsstätte Golm auf Usedom. Dort diskutierten die 25 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 15 Nationen mit Volksbund-Generalsekretär Dirk Backen über schmerzhafte Erinnerungen, Denkmalstürze und mögliche Chancen zur Versöhnung.

Angeregt durch die Berichte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer erzählte Dirk Backen von den Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges auf seine eigene Familiengeschichte. Aus seiner 40-jährigen Tätigkeit als Berufssoldat kennt er die Themen Krieg, Flucht und Vertreibung aus unmittelbarer Nähe. Doch auch in seiner Funktion als Generalsekretär des Volksbundes erlebt er Orte, die ihn ganz besonders berühren. „Auf vielen Kriegsgräberstätten des Ersten Weltkrieges sehe ich Grabsteine mit dem Davidstern. Dort liegen die jüdischen Soldaten, die im Ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft haben. Sie waren unsere Kameraden. Wir haben sie verraten. Als einstiger Soldat trifft mich das tief.“

Wir müssen erinnern, aber wie?

Vieles, was die Teilnehmerinnen und Teilnehmer diskutierten, ist derzeit sehr aktuell: Sollte man das sowjetische Denkmal am Treptower Park entfernen, so wie das sowjetische Denkmal in Riga, das an die Befreiung Lettlands von den Nationalsozialisten erinnert und gerade abgerissen wurde, als die Gruppe in Riga war? Oder umgestalten? Celine Scholl: „In Riga sprachen wir viel über die doppelte Okkupation von Lettland durch Nazideutschland und durch die Sowjetunion. Für mich als Deutsche war gar nicht klar, dass die sowjetische Besatzungszeit von vielen Menschen in Riga als schrecklich empfunden wurde.“

Wie denken die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den Niederlanden, Spanien und Portugal über die Denkmäler, die in ihrer Heimat an die koloniale Vergangenheit erinnern? Elena Carulla, Spanien: „Wir waren uns einig, dass wir an die Kolonialzeit erinnern müssen. Aber wie wir mit den Denkmälern an diese Zeit umgehen, ob wir sie erhalten, darüber haben wir sehr kontrovers diskutiert. Manche Leute sind dafür, andere dagegen.“

Ein Land voller Musik

Viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren vorher noch nie in Osteuropa. „Was willst du denn in Litauen?“ war eine der gern von Freunden vorab gestellten Fragen. Die Gruppe erlebte, dass es dort viel zu entdecken gibt. „Kaunas ist eine lebendige Stadt, mit vielen neu angelegten Parks, voller Musik“, so Valérie van Diepen aus den Niederlanden.

Auf die Frage, welchen Tag der Reise sie noch einmal wiederholen möchte, antwortete Rosie Tunnadine aus Großbritannien: Den Tag in Riga, der mit dem Besuch des Okkupationsmuseums die Bedeutung von Freiheit und Unabhängigkeit für Lettland und die baltischen Staaten veranschaulichte. Die PEACE LINEr besuchten das lettische Landesbüro im Deutsch-Baltischen Jugendwerk. Dort nahmen sie an einem Workshop mit lettischer Musik und Tänzen teil. Ein fröhlicher Ausflug in die lettische Kultur – aber eigentlich viel mehr als das. Musik und Tanz sind ein Teil der kulturellen Identität der Balten. Die nationalen Bewegungen und der friedliche Protest im Baltikum von 1987 bis 1991 ging als „Singende Revolution“ in die Geschichte ein.

Die Besuche von lettischen Erinnerungsorten wie Rumbula, Salaspils und Riga-Bikernieki, wo mehr als 35.000 Menschen ermordet wurden, hinterließen bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern tiefe Eindrücke. Dvir Aviam Ezra: „Ich komme aus Israel und der Holocaust ist in meinem Land ein sehr zentrales Thema. Auch in meiner Familie ist das auch so. Dann bin ich nach Deutschland gekommen und erkannte, wie zentral auch dort das Thema ist. Überall hast du dort die Stolpersteine. Und hier haben wir Orte besucht, wo dieses Thema nicht so präsent ist. Aber wir können über unsere Erfahrungen sprechen, uns darüber austauschen und darüber verständigen.“

Geschärftes Bewusstsein führt zu eigenem Engagement

Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Großbritannien, die nach dem Brexit nicht mehr an EU-Programmen teilnehmen können, waren dankbar, dass es durch PEACE LINE für sie Möglichkeiten der Begegnung und des Austauschs mit anderen jungen Menschen aus Europa gibt.

In vielen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer hat PEACE LINE etwas ausgelöst: Es hat ihr Bewusstsein für die Perspektive der anderen geschärft. Sie wollen sich selbst engagieren gegen Hass, Hetze und Nationalismus. Und sie wollen ihre Botschaft für ein friedliches Miteinander in Europa weitertragen.

Gerard Izquierda i Toda aus Spanien sagte nach der Tour: „Diese Erfahrung hat mich davon überzeugt: Nur wer die Vergangenheit kennt und reflektiert, wird für die Gegenwart kämpfen.“

Erfolgreiches Friedensprojekt – und eine neue Route

Dirk Backen war nach der Diskussion vom Erfolg der PEACE LINE überzeugt: „Ich bin wirklich zuversichtlich, dass diese Form der internationalen Bildung in die Zukunft führt. Als überzeugter Europäer denke ich, dass Europa eines der erfolgreichsten Friedensprojekte weltweit ist.“

Zurzeit findet erstmals die neue „Gelbe Route“ auf dem Balkan statt. Sieben Stationen in vier verschiedenen Ländern verdeutlichen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus 19 Ländern die bewegte Geschichte des Balkans. Auf Sarajevo folgt der Gedenkort Srebrenica, dann geht es über Belgrad nach Kragujevac, einem der wichtigsten Gedenkorte, der an Massaker der Nationalsozialisten im ehemaligen Jugoslawien erinnert. Die „Gelbe Route“ führt weiter über Skopje und Prilep bis nach Thessaloniki. Inhaltliche Schwerpunkte sind der Erste und Zweite Weltkrieg, der Jugoslawienkrieg und die Europäische Einigung. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bringen ihre eigenen verschiedenen Erinnerungskulturen mit und setzen sich mit dem schwierigen Erinnern auf dem Westbalkan auseinander.

Im Jahr 2022 reisen rund 150 junge Menschen auf fünf PEACE LINEs durch Europa. Sie erleben Geschichte an den historischen Schauplätzen und diskutieren gemeinsam über ihre Bedeutung in den verschiedenen Ländern. Das sind häufig die Erinnerungsorte an die Tragödien der beiden Weltkriege, aber auch glücklichere Orte der europäischen Einigung. Über diese Erfahrungen tauschen sich die PEACE LINEr aus ihrer jeweiligen Perspektive miteinander aus.

PEACE LINE ist ein gemeinsames Projekt des Volksbundes mit dem Auswärtigen Amt, das 2018 auf Wunsch junger Menschen anlässlich einer internationalen Jugendkonferenz zum Gedenken an 100 Jahre Ende Erster Weltkrieg mit Unterstützung der Präsidenten Steinmeier und Macron ins Leben gerufen, vom Auswärtigen Amt finanziert und vom Volksbund realisiert wird.