Ein festlich geschmückter Weihnachtsbaum hat eine ganz besondere Bedeutung – nicht nur für ein Mädchen im Jahre 1949, das sich entscheiden soll ... (© Pixabay / Myriams Fotos)
„Das glücklichste Menschenkind auf Gottes Erdboden“
Erinnerungen an Weihnachten in schwerer Zeit: Von einer bitteren Frage, einem kümmerlichen „Besenbaum“ und einer herrlichen Entdeckung
Was ist Dir wichtiger: Geschenke oder der Baum? Ein neunjähriges Mädchen steht im Advent 1949 vor dieser Frage, mit der die Eltern eine Lektion erteilen … Ab jetzt veröffentlichen wir wieder zu den Adventssonntagen Geschichten aus der Kriegs- und Nachkriegszeit. Die erste hat uns Ingrid Hoffmann geschickt. Sie ist in unserem Weihnachtsbuch „Licht in der Dunkelheit” erschienen.
Diese Geschichte ereignete sich in einem der ersten Nachkriegsjahre – es muss 1949 gewesen sein. Ich war neun Jahre alt. Wir – meine Eltern, meine Schwester und ich – bewohnten bescheiden eine kleine Zwei-Zimmer-Barackenwohnung am Stadtrand von Preetz. Mein Vater war arbeitslos und es fehlte an allem Nötigen.
Bedenkzeit statt Antwort
Eines Tages in der Adventszeit bat mein Vater mich zu sich. Er schaute mich mit ernstem Gesicht an und sagte: „Liebes Mädchen, du weißt: Wir haben nicht viel Geld. Möchtest Du einen Tannenbaum oder lieber Geschenke?“
Ich war erschrocken und konnte nicht antworten, denn beides war mir als Kind gleich wichtig. Der Baum gehörte einfach zu Weihnachten. Selbst in den Kriegsjahren hatten wir immer ein bescheidenes Bäumchen gehabt. Sollte ich darauf einfach verzichten? Nein! Aber auch Geschenke sehnte ich herbei und hoffte nichts sehnlicher, als dass viele meiner Wünsche in Erfüllung gingen. Wofür sollte ich mich also entscheiden?
Ich bat meinen Vater um Bedenkzeit. Lange habe ich mit mir gerungen, mir immer wieder die gleiche Frage gestellt: Soll ich mir einen Baum wünschen oder lieber Geschenke, wie es für Kinder wohl auch verständlich ist?
Unvergessliche Adventszeit
Die Adventszeit war schön. Zu Hause haben wir es uns bei Kerzenschein gemütlich gemacht, gesungen und gespielt. Auch in der Schule gab unser Lehrer sich große Mühe, uns Kindern eine unvergessliche Adventszeit mit vielen Liedern und Geschichten zu gestalten. Im Programm stand auch ein Weihnachtsgedicht, das wir auswendig lernen sollten, was mir besonders viel Freude machte.
Ich war immer schon eine begeisterte Gedichtaufsagerin und ich hatte mir fest vorgenommen, dieses Gedicht am Heiligen Abend vor dem Tannenbaum aufzusagen. Dass wir keinen Baum haben würden – daran konnte und wollte ich einfach nicht glauben.
Gebrannte Mandeln auf den Tellern
Der Heilige Abend rückte immer näher. Alle waren auf ihre Art irgendwie mit Festvorbereitungen beschäftigt, die Spannung stieg. Am Abend vor dem 24. Dezember wurde uns allen dann aber so richtig weihnachtlich zumute, nachdem mein Vater mit bescheidenen Mitteln für die bunten Teller seine gebrannten Mandeln gezaubert hatte und die ganze Wohnung danach duftete – dieser Duft ist auch heute noch der typische Weihnachtsduft für mich.
Am Vormittag des Heiligen Abends waren wir zunächst damit beschäftigt, die Wohnung zu putzen, um sie im sauberen Glanz erstrahlen zu lassen. Am Frühnachmittag waren wir selbst mit einer Ganzkörperwaschung an der Reihe. Danach haben wir uns mit unseren bescheidenen Kleidungsstücken so festlich wie möglich eingekleidet. Nur so, in diesem würdigen und festlichen Rahmen, konnten wir diesen besonderen Festtag begehen, der mit der Christvesper in der Stadtkirche eingeläutet wurde. (…) Wieder zu Hause angekommen, zog ich im Foyer meinen Mantel und meine Schuhe aus, ebenso meine Mutter.
Schwarze Borsten mit Lametta
Die Spannung war groß, mein Herz klopfte, als Mutti langsam die Tür zum Wohnzimmer öffnete. Was ich dort erblickte, ließ meine Sinne erstarren: Ein hässlicher schwarzer Besen steckte mit dem Stiel in einem Christbaumständer. Der Stiel war mit rotem Geschenkband umwickelt. Die schwarzen Borsten schmückte Lametta und obendrauf brannten vier Kerzen.
Bei diesem Anblick verschlug es mir förmlich die Sprache, so erschrocken und enttäuscht war ich! Dann spürte ich Wut in mir aufsteigen: Vor diesem hässlichen Besenbaum sollte ich mein Gedicht aufsagen? Ich stampfte mit dem Fuß auf und schrie: „Eins will ich euch sagen. Ich sage heute kein Gedicht auf! Das habt ihr nun davon!“
Ein heller Schimmer
Ich wollte mich gerade in eine Ecke verkrümeln, als mein Blick zum gegenüberliegenden Schlafzimmer fiel, durch dessen Tür ein heller Schimmer fiel. Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf: Sollte dort etwa der richtige Tannenbaum versteckt sein? Ich äußerte meinen Gedanken laut.
Mein Vater aber schüttelte den Kopf und meinte nur: „Mädchen, das bildest du dir doch nur ein.“ Ich aber ließ mich nicht von meinem Gedanken abbringen und wollte mich selbst überzeugen. Mit schnellen Schritten ging ich hinüber zum Schlafzimmer und öffnete die Tür.
In strahlendem Kerzenschein
Was erblickte ich? Ein wunderschön geschmückter Tannenbaum stand dort im strahlenden Kerzenschein. Ich weiß nicht, was mehr strahlte: die Kerzen am Baum oder meine Kinderaugen. Ich glaube, in diesem Moment war ich das glücklichste Menschenkind auf Gottes Erdboden. Ich hätte die ganze Welt umarmen können!
Schnell wurde der Besenbaum entfernt und der Tannenbaum nahm seine ehrwürdige Stelle ein. Der weitere Abend verlief so, wie ich ihn mir in meinen Wunschträumen immer vorgestellt hatte. Es wurden schöne Weihnachtslieder gesungen.
Gedicht und kleine Geschenke
Auch mein Gedicht kam nun zu Ehren, das mit viel Pathos vorgetragen wurde. Es gab Leckeres zu essen und natürlich fehlten auch kleine Geschenke nicht, über die wir uns sehr, sehr freuten. Dazu gehörte auch immer ein bunter Teller, auf dem die gebrannten Mandeln nicht fehlen durften.
Der Heilige Abend war gerettet. Er hat mir aber in Zukunft viel zu denken gegeben, was vielleicht beabsichtigt war. Auch fühlte ich mich immer wieder genötigt – es hat mir auch Spaß gemacht –, mein Kindheitserlebnis mit dem Besenbaum zu erzählen.
Erinnerungen auch als Hörbuch
Ausgewählte Geschichten wie diese vom „Besenbaum” aus unserem jüngsten Weihnachtsbuch haben wir als Hörbuch veröffentlicht. „Licht in der Dunkelheit“ heißt die CD, die wir Ihnen gerne zuschicken. Jede Geschichte ist auch direkt über die Mediathek anzuhören.
Diese Erinnerungen hatten uns Mitglieder und Förderer für den vierten Band „Weihnachten in schwerer Zeit“ in der Volksbund-Buchreihe zugeschickt. Zu beziehen sind CD und Buch kostenfrei über die Mediathek und per E-Mail (Bestellung bis 11. Dezember).
Wenn auch Sie noch eine Geschichte zu Weihnachten zu erzählen haben, freuen wir uns über Ihre Zuschrift per E-Mail oder per Post an den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, FRIEDEN-Redaktion, Sonnenallee 1 in 34266 Niestetal.
Schmücken Sie mit uns den Baum!
Versöhnung und Frieden sind unsere wichtigsten Ziele. Dafür setzen wir uns auf vielen Feldern ein und finanzieren das überwiegend aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden.
Schmücken Sie mit uns einen Weihnachtsbaum – die roten Kugeln stehen bereit.
Ganz gleich, wieviel Ihre Kugel wert ist – ob 5 oder 50 Euro: Sie zeigt, dass Sie sich mit uns für eine friedliche Zukunft einsetzen. Dafür danken wir sehr.