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Langemarck – eine Schlacht und ihr Mythos

#volksbundhistory erinnert an die Kämpfe 1914 in Westflandern und ihre ideologische Instrumentalisierung

Am 10. November jährt sich die „Schlacht von Langemarck“ zum 110. Mal. Bei den verlustreichen Kämpfen 1914 in der Nähe der belgischen Stadt kamen nicht nur außergewöhnlich viele junge Soldaten ums Leben. Ihr Tod wurde zum Auftakt des „Mythos von Langemarck“, eines der wirkmächtigsten deutschen Mythen der Zwischenkriegszeit, der besonders im bürgerlichen und speziell im studentischen Milieu rezipiert wurde. 
 

Die Kämpfe an diesem Tag gehörten zur „Ersten Flandernschlacht“ oder „Ypernschlacht“ vom 20. Oktober bis zum 18. November 1914 zwischen deutschen und alliierten Truppen in Westflandern. 

Die Absicht der deutschen Führung, durch einen Angriff der 4. Armee entlang der belgischen Kanalküste das britische Expeditionskorps von seinen Nachschublinien abzuschneiden, ließ sich trotz hoher Verluste an Menschenleben nicht erreichen.
 

Unter dem Hashtag #volksbundhistory berichten wir von historischen Ereignissen und liefern Hintergrundinformationen. Unser Autor heute: Philipp Schinschke. Er ist Geschäftsführer vom Volksbund-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern und hat Geschichte und Politikwissenschaften studiert.

Entstehung des Mythos

In das kollektive Gedächtnis der deutschen Bevölkerung sind dabei die Kämpfe am 10. November aus besonderem Grund eingegangen. Die Oberste Heeresleitung kommentierte die Ereignisse einen Tag darauf mit einem folgenreichen Bericht, der von fast allen deutschen Zeitungen auf der Titelseite abgedruckt wurde:

„Am Yserabschnitt machten wir gestern gute Fortschritte. Dixmude wurde erstürmt. Mehr als 500 Gefangene und neun Maschinengewehre fielen in unsere Hände. Weiter südlich drangen unsere Truppen über den Kanal vor. Westlich Langemarck brachen junge Regimenter unter dem Gesange Deutschland, Deutschland über alles gegen die erste Linie der feindlichen Stellungen vor und nahmen sie. Etwa 2000 Mann französischer Linieninfanterie wurden gefangen genommen und sechs Maschinengewehre erbeutet. Südlich Ypern vertrieben wir den Gegner von St. Eloi, um das mehrere Tage erbittert gekämpft worden ist. Etwa 1000 Gefangene und sechs Maschinengewehre gingen dort in unseren Besitz über.“
 

„Deutschland, Deutschland über alles”

Zentral in dieser Meldung ist der Satz „Westlich Langemarck brachen junge Regimenter unter dem Gesange ‚Deutschland, Deutschland über alles’ gegen die erste Linie der feindlichen Stellungen vor und nahmen sie“. Er beinhaltet alle Bestandteile, die den ‚Mythos von Langemarck’ ausmachten: die jungen Regimenter, den Gesang des Deutschlandliedes und das Vorstoßen gegen die vorderste Linie der gut befestigten feindlichen Stellung. 
 

Kriegspropaganda auf der Titelseite

Dabei beschreibt der Heeresbericht nicht die Wahrheit, sondern entpuppt sich schnell als Kriegspropaganda. Weder bestanden die in Flandern kämpfenden deutschen Truppen zum größten Teil aus jungen Freiwilligen noch ist es sehr wahrscheinlich, dass die Soldaten das Deutschlandlied singend ins Feld gezogen sind.

Nicht einmal der Ort Langemark war Schauplatz der Kampfhandlungen, sondern wurde wahrscheinlich lediglich für seinen deutsch klingenden Namen als Handlungsstätte des Gefechtes gewählt – deshalb wurde er auch in der Rezeption eingedeutscht, also mit „ck“ geschrieben.

Selbst das Ergebnis der Flandernschlacht wurde mit dieser Meldung konterkariert. Statt die feindlichen Stellungen zu nehmen, starben zwischen 80.000 und 100.000 Soldaten, und die Front kam endgültig zum Erliegen.

 

Tod als moralischer Sieg

Der tatsächliche Ausgang des Angriffs drang nach und nach an die Öffentlichkeit. Das tat dem Mythos jedoch keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil: Das Opfer des eigenen Lebens wurde zum Selbstzweck, zum Opfer an sich stilisiert. Wer sich wie die „Helden von Langemarck“ dem sicheren Tod entgegenwarf, so die zeitgenössische Meinung, erfüllte seine Pflicht und errang ungeachtet des militärischen Ergebnisses einen moralischen Sieg. 

Die Quintessenz des in diesem Mythos beschriebenen Heldentums lag nicht in dem banalen Geländegewinn, sondern in der vermeintlich übermenschlichen Willensstärke, mit der die Soldaten gegen die zerstörerische Gewalt von Material und Technik angerannt waren. 
 

Symbol für Opferbereitschaft

Da schon sehr bald nach der Veröffentlichung des Heeresberichtes die jungen Regimenter mit kriegsfreiwilligen Studenten gleichgesetzt wurden, entwickelte sich Langemarck zu einem Symbol für eine opferbereite, elitäre Studentenschaft. 

Vor allem konservative und nationalistische Studenten verstanden sich als verantwortliche Erben der „Jugend von Langemarck“. In der Zwischenkriegszeit, als die Fundamente ihrer kulturellen Orientierung und Überzeugungen erschüttert waren und ihre soziale Identität verlorenzugehen drohte, trug der „Mythos von Langemarck“ zu einer rückwärtsgewandten Stabilisierung bei und verherrlichte die Ideale von Ritterlichkeit und heldenhaftem Opfer. 

 

Umdeutung der Niederlage

Indem sich jedoch bei dem Gedenken an die „Jugend von Langemarck“ eine Akzentverschiebung vom „Opfer für das Vaterland und die Freiheit“ zum „Opfer als moralische Tugend“ an sich vollzog, kann von einer politischen Radikalisierung ausgegangen werden. 

Das Opfer als einen moralischen Sieg über den Gegner darzustellen, war der Versuch, die eindeutige Niederlage – nicht nur der Flandernschlacht sondern implizit des ganzen Krieges – ex post in einen Sieg umzuwandeln. 
 

Bau der Kriegsgräberstätte

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 verblieben die sterblichen Überreste der gefallenen Soldaten zunächst verstreut in zahlreichen provisorischen Gräbern. Langemark und die umliegenden Gebiete wurden schwer verwüstet, die Identifizierung und ordentliche Bestattung der Toten war eine langwierige Aufgabe.

Die belgischen Behörden und der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. begannen, Soldatenfriedhöfe anzulegen, darunter auch den „Studentenfriedhof“ in Langemark. Der Versuch, das Symbol für das „Opfer der deutschen Jugend“ darzustellen, schlug sich auch bei der Neugestaltung dieser Kriegsgräberstätte nieder.  

 

Instrumentalisierung des Friedhofs

Die Initiative dazu kam 1929 von der Deutschen Studentenschaft. Sie setzte sich mit dem Volksbund und dessen Chefarchitekten Robert Tischler in Verbindung. Die Bauarbeiten begannen im Herbst 1930 und am 10. Juli 1932 wurde die Anlage eingeweiht. Seine Gestaltung ist ein Musterbeispiel für die Instrumentalisierung der deutschen Soldatenfriedhöfe zur Bewältigung des Kriegstraumas und zur geistigen Vorbereitung des Zweiten Weltkrieges. 

Die Kriegsgräberstätte wurde in zwei große Einheiten unterteilt: einen Eichenhain und ein etwas erhöht liegendes Ehrenfeld. Zunächst befanden sich nur im Eichenhain Gräber. Das Ehrenfeld wurde von einer Trockenmauer und einem dahinter liegenden Wassergraben eingefasst. Später fanden auch hier die bei der Auflösung kleiner Grabanlagen exhumierten Toten ihre letzte Ruhestätte. 

Heimat in „Feindesland“

Auf dem Gelände des Ehrenfeldes befanden sich drei Betonbunker aus dem Krieg. Sie wurden mit Grasdächern versehen und in die Gestaltung mit einbezogen. Zwischen ihnen wurden zahlreiche rechteckige Steinklötze aufgestellt. Gemeinsam formten sie eine geschwungene, unregelmäßige Linie, die den Frontverlauf von 1914 darstellen sollte. Auf den Steinklötzen sind die Namen der „Paten” des Friedhofes eingemeißelt – der Korps und Studentenverbände, die sich mit Geld beteiligt hatten. 

Ein monumentaler Eingangsbau wurde – ebenso wie die Mauern des Friedhofs – aus rotem Wesersandstein aus Deutschland errichtet. Sowohl die Eiche als „deutscher Baum“ als auch das Wesersandstein als „deutsches Gestein“ markierten ein Stück Heimat in „Feindesland“.

 

Mythos in der Studentenschaft

Die deutschen Universitätsleitungen und die organisierten Studentenschaften etablierten im Laufe der 1920er Jahre Formen des ritualisierten Gefallenengedenkens. Ab der zweiten Hälfte der 1920er Jahre trat  ̶  in unterschiedlicher Intensität  ̶  das Gedenken an die Gefallenen von Langemarck hinzu. 

Der rituelle Ablauf der Feiern ähnelte sich stark. Man kann von einem festen nationalen Kanon an sinnstiftenden Symbolen, wie beispielsweise dem Stahlhelm, und Gemeinschaftsgefühl stiftenden rituellen Abläufen, wie beispielsweise dem gemeinsamen Singen des Deutschlandliedes oder des Liedes vom „guten Kameraden“, sprechen. 

Opferstilisierung ohne Realitätsbezug

In den ritualisierten Gedenkfeiern wurde nicht der konkreten Toten der jeweiligen Universitäten gedacht, sondern einer imaginierten Gemeinschaft von Gefallenen, denen ex post ganz bestimmte vorbildhafte und sinnstiftende Eigenschaften zugeschrieben wurden.

In unterschiedlicher Intensität, aber doch durchgängig zu erkennen, war eine Opferstilisierung der gefallenen Kommilitonen als Verteidiger des Vaterlandes. Die tatsächlichen Umstände des Kriegsausbruchs 1914 wurden dabei ausgeblendet. 

 

Heldenkult soll Identität stiften

Der universitäre Totenkult der Zwischenkriegszeit diente somit weniger der Erinnerung an die Vergangenheit als dazu, das Fundament für die damals gegenwärtigen Identitätsstrukturen zu legen. Denn die politische Sinnstiftung des gewaltsamen Sterbens diente immer den Bedürfnissen der Überlebenden – mit den Idealen und Zielen der Getöteten hatte sie nicht notwendig etwas zu tun. 

So wurden die Gefallenen, ungeachtet ihres wahren Schicksals, immer als Helden instrumentalisiert, die per definitionem schon nachahmenswerten Charakter besaßen. Sie wurden mit Attributen wie Mut, Stärke, Tapferkeit und vor allem Treue zum Vaterland versehen. 
 

Studenten radikalisieren sich

Der Gedanke hinter diesen Zuschreibungen wurde mal mehr, mal weniger offen formuliert, aber im größtenteils nationalistisch bis reaktionären studentischen Milieu instinktiv verstanden: Der eigentliche Ausgang des Krieges sollte noch bevorstehen und es galt, die gleichen herausragenden Eigenschaften zu zeigen, wenn der Tag der Revanche gekommen war. 

Dieser Dauerappell zum Heldentum und die damit einhergehende Normalisierung des gewaltsamen Todes als natürliches Element des politischen Lebens kann als Symptom des Abgleitens der deutschen Studentenschaft in den politischen Radikalismus verstanden werden. 

 

Antirepublikanische Mentalität

So waren es lediglich die völkisch-nationalistischen Studenten, die das Gefallenengedenken politisch deuteten. Teilnahme oder gar politische Sinnstiftung von republikanischen oder gar linken Studentengruppen gab es bis auf wenige Ausnahmen nicht. 

Bei den Gefallenen- und Langemarckfeiern herrschte eine antirepublikanische, revanchistische Mentalität vor, die die Studenten durch nationalistisch-völkisches und zum Teil auch revanchistisch-bellizistisches Gedankengut erweiterten. 
 

Nationalsozialistisches Gedenken

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten zeigten die Gefallenengedenkfeiern in der Konsolidierungsphase des Nationalsozialismus einen gewissen Grad an Kontinuität. Sie wurden jedoch deutlich militärischer organisiert und ausgestaltet. 

In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre – nachdem der Kampf innerhalb der NSDAP um die Zuständigkeit für das Langemarckgedenken beendet war und mit Hilfe des Vierjahresplans die Kriegsfähigkeit hergestellt werden sollte – rückten „Langemarckfeiern“ an die Stelle des traditionellen, an den jeweiligen Universitäten individuell gestalteten Gedenkens.

 

Einstimmung auf neuen Krieg

Dieser Vorgang beschreibt die Gleichschaltung des Gedenkens an die Gefallenen des Ersten Weltkrieges und die endgültige Inanspruchnahme der „Jugend von Langemarck“ für die Kriegspolitik der Nationalsozialisten. Die Feiern wurden nun zentral orchestriert und die Partei bestimmte die Sinnstiftung. 

Die Glorifizierung des Opfers an sich und der Frontgemeinschaft hatten das Ziel, die Studentenschaft mental auf den zu diesem Zeitpunkt bereits fest eingeplanten Krieg vorzubereiten. „Langemarck“ spielte bei der nationalsozialistischen Propaganda und der Motivation der Jugend, in den nächsten Krieg zu ziehen, eine große Rolle. Der Friedhof in Langemark war auch der einzige Soldatenfriedhof Flanderns, dem Adolf Hitler einen Besuch abstattete.

 

Mythos wird unbrauchbar

Im Gegensatz zum August 1914 entstand im September 1939 keine vergleichbare Kriegseuphorie. Damit kann das Ziel der Nationalsozialisten, eine kriegsbereite, opferwillige Jugend zu erziehen, als gescheitert angesehen werden.

Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde der „Mythos von Langemarck“ zudem unbrauchbar, weil andere Helden, nämlich erfolgreiche, gefragt waren. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Mythos Opfer des so genannten Mythenschnitts, da er seine Funktion verloren hatte. 
 

Text: Philipp Schinschke, Landesgeschäftsführer Mecklenburg-Vorpommern
Kontakt



Die Kriegsgräberstätte Langemark gehört seit September 2023 zu den UNESCO-Weltkulturerbestätten.

Lesetipps

Hettling, Manfred/Echternkamp, Jörg: Heroisierung und Opferstilisierung. Grundelemente des Gefallenengedenkens von 1813 bis heute, in: Hettling, Manfred/Echternkamp, Jörg (Hrsg.): Gefallenengedenken im globalen Vergleich. Nationale Tradition, politische Legitimation und Individualisierung der Erinnerung, München 2013, S. 123–158.

Ketelsen, Uwe-K.: „Die Jugend von Langemarck“ Ein poetisch-politisches Motiv der Zwischenkriegszeit, in: Koebener, Thomas/Janz, Rolf-Peter/Trommler, Frank (Hrsg.): „Mit uns zieht die neue Zeit“. Der Mythos Jugend, Frankfurt am Main 1985, S. 68–96.

Krumeich, Gerd: Langemarck, in: François, Etienne/Schulz, Hagen (Hrsg.): Deutsche Erinnerungsorte, Band 3, München 2001, S. 292–309.

Steward, Roger: Studentenfriedhof to Soldatenfriedhof. A History of Langemark German Cemetery and self-guided tour, London 2021.

Unruh, Karl: Langemarck. Legende und Wirklichkeit, Koblenz 1986.

Weinrich, Arndt: Kult der Jugend – Kult des Opfers. Der Langemarck-Mythos in der Zwischenkriegszeit, in: Vorzeitiger Tod: Identitäts- und Sinnstiftung in historischer Perspektive (=Historische Sozialforschung Vol. 34, No. 4 (130) 2009), S. 319–330.
 

#volksbundhistory

Ob der Beginn einer Schlacht, ein Bombenangriff, ein Schiffsuntergang, ein Friedensschluss – mit dem Format #volksbundhistory möchte der Volksbund die Erinnerung an historische Ereignisse anschaulich vermitteln und dabei fachliche Expertise nutzen. Der Bezug zu Kriegsgräberstätten und zur Volksbund-Arbeit spielt dabei eine wichtige Rolle.

Die Beiträge werden sowohl von Historikern aus den eigenen Reihen als auch von Gastautoren stammen. Neben Jahres- und Gedenktagen sollen auch historische Persönlichkeiten und Kriegsbiographien vorgestellt werden. Darüber hinaus können Briefe, Dokumente oder Gegenstände aus dem Archiv ebenfalls Thema sein – jeweils eingebettet in den historischen Kontext.

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. ist ein Verein, der seine Arbeit überwiegend aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden finanziert.

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