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PEACE LINE: Die Reise beginnt

Neues Jugendformat des Volksbundes startet mit Blauer Route in Berlin

Was lange währt, wird endlich gut!  Mit fast 15-monatiger Verspätung startet nun die erste Gruppe auf einer PEACE LINE-Route. Junge Menschen aus ganz Europa reisen durch den Kontinent und entwickeln dabei neue Formen des Erinnerns unter der Einbeziehung unterschiedlicher nationaler Narrative. Das neue Format des Volksbundes wird endlich Wirklichkeit.

Die Blaue Route macht den Auftakt: 24 junge Menschen zwischen 18 und 26 Jahren aus zehn europäischen Nationen haben sich am 7. August 2021 an der Spree getroffen, um in den kommenden zwei Wochen mit dem Volksbund auf Tour zu gehen. Zwei Routen quer durch Europa gibt es, die Gedenk- und Erinnerungsorte verbinden. Sie zeigen, dass Geschichte und Gegenwart untrennbar miteinander verknüpft sind, und öffnen den Blick für unterschiedliche nationale Perspektiven.
 

Einer von 20 Vorschlägen

Die Idee zum Projekt geht zurück auf ein Treffen von 500 Jugendlichen aus 48 Ländern zum 100. Jahrestag des Weltkriegsendes 1918. Gemeinsam hatten sie dem Bundespräsidenten – der auch Schirmherr des Volksbundes ist – und dem französischen Staatspräsidenten 20 Ideen für den Frieden vorgestellt.

Dazu gehörte auch der Vorschlag, „Peace Lines“ durch Europa zu ziehen, um an Gedenk- und Erinnerungsorten mit verschiedenen Sichtweisen aus der Geschichte zu lernen. Sich an schwierige Zeiten in Europa zu erinnern, sei wichtig, so die Ideengeber – um dauerhaft Frieden zu sichern und zu zeigen, dass Versöhnung möglich ist.
 

Fünf Reisen sind geplant

Der Volksbund hat diese Idee zu einem Projekt weiterentwickelt. Zum 80. Jahrestag des Weltkriegsendes am 8. Mai 2020 sollten die PEACE LINE-Reisen starten. Aber: Coronabedingt musste vieles umgeplant und in kleineren Formaten umgesetzt werden. Für 2021 sind nun fünf Reisen auf zwei verschiedenen Routen geplant. 

Das Projekt wird vom Auswärtigen Amt finanziert und von einer Reihe von Partnerorganisationen unterstützt. Darum kommt es nicht von ungefähr, dass einer der ersten Programmpunkte beim Auftakt in Berlin ein Treffen mit Dr. Andreas Görgen ist. Er leitet die Abteilung für Kultur und Kommunikation im Auswärtigen Amt. Mit den jungen Teilnehmenden diskutiert er, warum das Auswärtige Amt Programme wie PEACE LINE fördert, was seine Botschaft an die Gruppen ist und welche Bedeutung die unterschiedlichen Geschichtsnarrative aus seiner Sicht haben.
 

Blaue Route: von Petersburg bis Usedom

Die Blaue Route führt von St. Petersburg bis nach Usedom – über Riga, Kaunas und Danzig. Schwerpunkte sind der Erste und der Zweite Weltkrieg, die europäische Teilung und auch der Aufbruch in Europa ab 1989. Wegen der aktuellen Einschränkungen im Reiseverkehr verzichtet der Volksbund allerdings jetzt auf St. Petersburg, beginnt die Reise in Berlin. 

Dort beschäftigt sich die Gruppe mit der „Geteilten Stadt“, mit der doppelten Diktaturerfahrung sowie dem russischen Gedenken an den Zweiten Weltkrieg in der deutschen Hauptstadt. Von Berlin führt die Reise per Flugzeug weiter nach Riga. Hier werden die Teilnehmenden mit einem besonders tragischen Aspekt des nationalsozialistischen Terrors konfrontiert: An der Gedenkstätte Bikernieki, die an Massengräbern für ermordete Juden errichtet wurde, steht der Holocaust im Fokus. Auch die Gedenkstätte Rumbula – ebenfalls ein Ort der massenhaften Ermordung von Juden – sowie die KZ-Gedenkstätte Salaspils sind Stationen.
 

Lettland und der „Baltische Weg“

Lettland war eine Republik der Sowjetunion, aber keineswegs freiwillig. An die deutsche und die sowjetische Besetzung des Landes erinnert das Okkupationsmuseum, an die Wiedererlangung der staatlichen Unabhängigkeit das Volksfrontmuseum, das den „Baltischen Weg“ in die nationale Souveränität widerspiegelt.

Im litauischen Kaunas verbindet PEACE LINE den Besuch der Gedenkstätte „Fort IX“ mit der Erarbeitung verschiedener nationaler Blickwinkel auf den Zweiten Weltkrieg.
 

Danzig und die Westerplatte

Danzig, die nächste Station, hat eine komplizierte Geschichte. Es wurde nach dem Ersten Weltkrieg von Deutschland abgetrennt und zu einer Freien Stadt unter Verwaltung des Völkerbundes erklärt. Mit dem deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt – dem „Hitler-Stalin-Pakt“ – im Rücken, begann Adolf Hitler hier am 1. September 1939 den Zweiten Weltkrieg. Mehrere Gedenkorte besucht die Gruppe:

Die Westerplatte, eine zu Danzig gehörende Halbinsel und 1939 Ort eines polnischen Munitionsdepots, wurde von einem deutschen Kriegsschiff beschossen. Praktisch zeitgleich begann ein Luftangriff auf die Stadt Wieluń. Heute ist die Westerplatte eine Gedenkstätte, über deren Ausbau und Gestaltung in Polen heftig diskutiert wird.


Gedenkort Polnische Post

Eine durch den Status von Danzig bedingte Besonderheit war auch die Polnische Post – ein Postamt unter polnischer Verwaltung, das von den Nationalsozialisten gestürmt und besetzt wurde. Die Verteidiger der Post wurden, soweit sie nicht bei dem Angriff umkamen, nach einem Scheinprozess der deutschen Militärjustiz hingerichtet (erst 1998 wurde dieses Urteil vom Landgericht Lübeck aufgehoben). Heute ist die Polnische Post im Zentrum der Stadt ein Museum, das einen wichtigen Platz in der polnischen Erinnerungskultur hat.

Auch umstritten im innerpolnischen Diskurs ist das Museum des Zweiten Weltkrieges, das die Geschichte mit einem klaren Narrativ so erzählt: Der Zweite Weltkrieg endete erst 1989 mit den ersten halbfreien Wahlen, die zur Berufung eines nichtkommunistischen Ministerpräsidenten führten.


Ausklang auf dem Golm

In der Nähe von Danzig liegt der Ort Sztutowo (auf deutsch: Stutthof). Hier befand sich ein deutsches Konzentrationslager. Im dortigen Museum nehmen sich die Teilnehmenden bei einer Führung sowie Gruppenarbeiten und Eigenrecherchen viel Zeit, sich mit dem Terrorregime des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Diesen Ort verlässt niemand unbeeindruckt.

Die Route endet in der Jugendbegegnungs- und Bildungsstätte des Volksbundes auf der Insel Usedom. Dort fassen die jungen Erwachsenen zwei Tage lang ihre Eindrücke zusammen, machen sich die Narrative, die sie kennengelernt haben, noch einmal bewusst, werten sie aus und diskutieren sie, bevor sie die Heimreise antreten – als Botschafter für PEACE LINE und für die Verständigung in Europa.

Grüne Route: Von Berlin bis ins Elsass

Die Grüne Route, die eine Woche später startet, nimmt neben der Zeit des Nationalsozialismus mit Okkupation und Widerstand auch den Ersten Weltkrieg als Schwerpunkt in den Fokus. Sie beginnt in Berlin und führt weiter nach Weimar.

Was ist in der Weimarer Republik falsch gelaufen, dass es überhaupt zur Machtübernahme durch die Nationalsozialisten kam? Dieser Frage geht die Gruppe im „Haus der Weimarer Republik“ nach, bevor sie sich mit dem Thema Terror und Vernichtung durch die Nationalsozialisten in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald auseinandersetzt – bei einer Führung, in Gruppenarbeit und Eigenrecherche.
 

Prag und Lidice

Dann geht es weiter nach Prag. Der Terror der Nationalsozialisten hatte viele Formen. Eine war die Vernichtung ganzer Dörfer, um Rache zu nehmen und die Bevölkerung einzuschüchtern. Als Reaktion auf das (erfolgreiche) Attentat auf den amtierenden „Reichsprotektor von Böhmen und Mähren“, den SS-Führer Reinhard Heydrich, 1942 wurde der tschechische Ort Lidice dem Erdboden gleichgemacht. Alle Bewohner wurden ermordet, die Bewohnerinnen und ihre Kinder in Konzentrationslager verschleppt, in denen die meisten ebenfalls umkamen.

Die PEACE LINE-Teilnehmerinnen und Teilnehmer besuchen diesen Ort unweit der tschechischen Hauptstadt, den es nicht mehr gibt, und befassen sich in der Gedenkstätte mit dem Thema. Auch bei Stadterkundungen in Prag selbst wird das Attentat Thema sein. Ebenso befassen sich die jungen Menschen dabei mit der Entwicklung Prags in der Zeit des Kommunismus.
 

Auf dem Münchner Waldfriedhof

Die nächste Station ist München. Die vom Volksbund betreute Kriegsgräberstätte auf dem Waldfriedhof ist letzte Ruhestätte für Gefallene der beiden Weltkriege und Opfer 18 verschiedener Nationen. Die Gruppe beschäftigt sich dort mit einzelnen Biografien. Nachmittags sind Gespräche und Workshop mit jungen Menschen aus der Stadt vorgesehen.

Die Bodenseeregion ist eine reizvolle und friedliche Gegend, aber auch hier finden sich Spuren des Zweiten Weltkrieges. Bei Überlingen mussten Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter unter unmenschlichen Bedingungen den Goldbacher Stollen graben, in dem die örtliche Rüstungsindustrie vor Bombenangriffen geschützt werden sollte. Eine Führung verdeutlicht das Schicksal dieser Menschen.
 

Gedenkstätte Lerchenberg

Auf der nahegelegenen Kriegsgräberstätte Lerchenberg wird der Toten des Ersten Weltkrieges gedacht. Die Gruppe besucht die Gedenkstätte und beginnt, sich mit den Jahren 1914 bis 1918 zu beschäftigen, die in der deutschen Erinnerungskultur sehr stark im Schatten des Zweiten Weltkriegs stehen.

Im Ersten Weltkrieg waren rund 17 Millionen Tote zu beklagen. Die wahnsinnigen und militärisch völlig sinnlosen großen Schlachten geben bei PEACE LINE – im Elsass auf dem Hartmannswillerkopf sowie in Verdun – Gelegenheit, die Geschehnisse in ihrer ganzen Grausamkeit besser zu verstehen.
 

Die Gegenwart: Besuch in Schengen

Das Europa von heute zeigt sich nirgendwo so symbolisch wie in dem kleinen luxemburgischen Ort Schengen. Das dortige Museum, das dem Schengener Abkommen gewidmet ist, zeichnet die Abschaffung der Binnengrenzkontrollen in der Europäischen Union nach.

Im Anschluss fährt die Gruppe weiter nach Niederbronn-les-Bains im Elsass, in die Jugendbegegnungs- und Bildungsstätte des Volksbundes. Auch auf dieser Route dienen die letzten beiden Tage der Zusammenfassung und Reflexion.


Fazit im Voraus

Fest steht schon jetzt: Die PACE LINE-Touren werden das Verständnis für europäische Geschichte vergrößern. Sie werden zeigen, was für ein zerbrechliches Gut der Frieden ist, und wie wichtig es bleibt, sich für ihn einzusetzen. Und sie werden allen Teilnehmenden einen wertvollen Erfahrungsschatz mitgeben. Dazu gehört das Kennenlernen von Menschen aus anderen Ländern, anderer Standpunkte, Empfindungen, aber auch Empfindlichkeiten.

Auf der Basis von Respekt und Toleranz sind die Teilnehmenden eingeladen und aufgefordert, ihre unterschiedlichen, oftmals national geprägten Narrative zu artikulieren und zur Diskussion zu stellen. PEACE LINE wird für ein gelebtes Europa stehen. Die Routen helfen dabei, ein Netzwerk zu knüpfen – gegen Hass und Hetze und für ein friedliches Miteinander in Europa.

Text: Christiane Deuse / Viola Benz
 

Lesen Sie mehr:
Bericht zur Blauen Route
Bericht zur Grünen Route

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Der Volksbund ist ein gemeinnütziger, 1919 gegründeter Verein, der seine Arbeit vor allem aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden finanziert. In 46 Ländern pflegt und unterhält er 832 Kriegsgräberstätten. Jugend- und Bildungsarbeit ist ein weiterer Schwerpunkt, der jetzt um das Format PEACE LINE erweitert ist.