Keynote Speaker Tetiana Pechonchyk von der ukrainischen Menschenrechtsorganisation „ZMINA“ beim zweiten Volksbund-Friedenskongress in Berlin (© Vinzenz Kratzer)
Zweiter Volksbund-Friedenskongress: „Die Zukunft gehört der Jugend“
Auftakt für internationales Jugendprojekt „Against forgetting – for peace and solidarity in Europe“ in Berlin zum 80. Jahrestag des Weltkriegsendes
Aus 17 Ländern kamen sie zum „Peace Congress“ nach Berlin: 110 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zwischen 15 und 30 Jahren. Zum zweiten Mal hatte der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. dazu eingeladen. Kernthemen der dreitägigen Veranstaltung: Kriegsverbrechen, Menschenrechte und gemeinsame europäische Werte. Vorträge hielten die ukrainische Journalistin und Menschenrechtlerin Tetiana Pechonchyk und der Straf- und Völkerrechtsexperte Prof. Claus Kreß.
„Frieden ist der größte Wert, den wir haben, aber er ist sehr zerbrechlich“, sagte Tetiana Pechonchyk. Sie leitet die ukrainische Menschenrechtsorganisation „ZMINA“, eine NGO („non-governmental organisation“), die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit dokumentiert. In ihrem Eröffnungsvortrag schilderte sie ihre Arbeit.
Kriegsverbrechen dokumentieren
Im Verbund mit anderen Organisationen sammelt „ZMINA“ Beweise für Gerichtsverfahren. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter reisen unter Lebensgefahr in die Kriegsregionen, um direkt mit den Betroffenen zu sprechen und Verbrechen wie sexualisierte Gewalt oder Folter zu dokumentieren – die aktuelle Zahl liege bei 150.000 Kriegsverbrechen. Darüber hinaus leistet „ZMINA“ medizinische, psychologische und rechtliche Hilfe.
Aufmerksam verfolgte das junge Publikum den Vortrag der Ukrainerin, die eindringlich die Nähe des Krieges aufzeigte und zugleich an zivilgesellschaftliches Engagement appellierte: „Der Krieg ist nebenan. Es ist sehr wichtig, alles zu tun, um ihn zu stoppen und weitere Aggression und Eskalation zu vermeiden.“
Vorbereitung als Schutz
Weiter betonte die Menschenrechtlerin: „Deshalb müssen wir wissen, was in der Ukraine passiert. Wir müssen die Opfer unterstützen, Informationen teilen und Desinformation bekämpfen. Ich glaube daran: Die Zukunft gehört der Jugend – auch die Zukunft der Gerechtigkeit.“
Tetiana Pechonchyk sprach sich gegen Straflosigkeit aus, damit sich die Kriegsverbrechen nicht multiplizieren: von einigen hundert 2014 bei der Annexion der Krim zu einigen tausend bei der Besetzung des Donbass bis zu aktuell 150.000 Kriegsverbrechen. Sie rief die jungen Menschen dazu auf, sich auf den Krieg vorzubereiten, mental aber auch praktisch, indem sie beispielsweise an einer militärischer Ausbildung teilnehmen. Je besser man vorbereitet sei, desto geringer sei die Wahrscheinlichkeit, angegriffen zu werden.
An der Grenze zum Krieg
Der Krieg in Europa bewegte die jungen Kongressteilnehmerinnen und -teilnehmer, die das Gespräch mit der Referentin suchten. Alina-Maria Turcanu, eine Deutschlehrerin aus Moldawien, war zum ersten Mal bei einer Volksbund-Veranstaltung. Ihre Motivation: „Wir leben an der Grenze zum Krieg. Es ist extrem wichtig, über Kriegsverbrechen und den Umgang mit ihnen zu sprechen.“
Internationales Strafrecht aus erster Hand gab es am zweiten Abend. Prof. Claus Kreß lehrt deutsches und internationales Strafrecht an der Universität Köln und ist Berater des Chefanklägers des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag. Er erläuterte die Geschichte des internationalen Strafrechts vom Ende des Ersten Weltkrieges bis in die Gegenwart und skizzierte „die Revolution“ – den Wandel von der Haftbarmachung einzelner Staaten hin zur persönlichen Anklage kriegsführender Staatoberhäupter.
Internationaler Gerichtshof bedroht
Zugleich zeigte Kreß das Spannungsfeld auf, in dem sich das internationale Strafrecht aktuell befinde: Einerseits werde es auf Betreiben europäischer Außenminister nach zweijährigen Verhandlungen ein Sondertribunal für den Angriff auf die Ukraine geben – „ein sehr wichtiger Moment in der Geschichte des internationalen Strafrechts“, das erstmalig den Tatbestand der Aggression und damit den Angriff auf die Ukraine zum Inhalt habe. Andererseits habe die US-amerikanische Regierung Sanktionen gegen den Internationalen Gerichtshof verhängt und bedrohe seine Existenz.
Tagsüber fanden Workshops statt – angeboten von den Partnerorganisationen des EU-Projektes „Against forgetting – for Peace and Solidarity in Europe“ und von den Bildungspartnern des Volksbundes, dem Haus der Wannseekonferenz, der Bundeszentrale für politische Bildung und der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Sie beschäftigten sich ebenfalls mit Kriegsverbrechen, ihren Nachwirkungen und den Möglichkeiten, über Quellenarbeit die Erinnerung wach zu halten. Weitere Themen waren Propaganda und Geschichtsverfälschung.
Europäisches Gemeinschaftsprojekt
Der „Peace Congress“ war der Auftakt des internationalen Jugendprojektes „Against forgetting“ („Gegen das Vergessen“), das der Volksbund zusammen mit folgenden europäischen Partnerorganisationen ins Leben gerufen hat: „Education builds Bosnia and Herzegovina Jovan Divjak“, „Zachor – Organisation for social remembrance Hungary“, „National Museum of Liberation Slovenia“, „Mladinski Svet Slovenie“ (Nationaler Jugendrat Slowenien), „Les Francas“, Frankreich und „College of Eastern Europe Warszaw“, Polen.
Zwischen Juni und September 2025 finden internationale Jugendbegegnungen in Sarajevo (Bosnien-Herzegowina), Aix-en-Provence (Frankreich), Nürnberg, Budapest (Ungarn), Krakau und Wroclaw (Polen) sowie in Maribor und Celje (Slowenien) statt. Auch hier geht es um Kriegsverbrechen und den gesellschaftlichen Umgang mit der Geschichte. Bei einigen sind noch Plätze frei: Projekte & Anmeldung.
Botschaft weitertragen
Die Jugendlichen werden eine Ausstellung gestalten und Podcasts aufnehmen, um weitere junge Menschen zu erreichen. Die Ausstellung wird im Frühjahr 2026 in den beteiligten Ländern und den Niederlanden präsentiert. „Against forgetting“ endet im Juli 2026 mit einer Abschlussveranstaltung in der Jugendbegegnungs- und Bildungsstätte Ysselsteyn (Niederlande). Hier soll ein Alumni-Netzwerk gegründet werden, um die Botschaft des Projekts weiterzutragen.
„Against forgetting – for Peace and Solidarity in Europe” wird aus dem EU-Programm „CERV“ („Citizens, Equality, Rights and Values“) gefördert. Zuschüsse kommen vom Auswärtigen Amt, dem Kinder- und Jugendplan des Bundesjugendministeriums und vom Deutsch-Französischen Jugendwerk.
Lesen Sie hier:
über den ersten Volksbund-Friedenskongress im September 2023.
über das Gedenken am 8. Mai.
Der Volksbund ist …
… ist ein gemeinnütziger Verein, der im Auftrag der Bundesregierung Kriegstote im Ausland sucht, birgt und würdig bestattet. Mehr als 10.000 waren es im vergangenen Jahr. Der Volksbund pflegt ihre Gräber in 45 Ländern und betreut Angehörige. Mit seinen Jugend- und Bildungsangeboten erreicht er jährlich rund 38.000 junge Menschen. Für seine Arbeit ist er dringend auf Mitgliedsbeiträge und Spenden angewiesen.
