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Geschichten von Flucht und Vertreibung modern erzählt

Volksbund unterstützt das neue Museum „FLUGT“ im dänischen Oksbøl und plant Ausstellung

Im historischen Gebäude des ehemaligen Flüchtlingslagers Oksbøl hat am Wochenende das Museum „FLUGT – Refugee Museum of Denmark“ eröffnet. Hier geht es um die großen Flüchtlingsströme des Zweiten Weltkrieges und ihre Unterbringung in Dänemark, aber auch um aktuelle Vertreibungen etwa in der Ukraine. Zur Eröffnung kamen Königin Margrethe II. von Dänemark und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Auf dem benachbarten Friedhof plant der Volksbund eine neue Dauerausstellung, die das Schicksal der Deutschen beleuchtet und im Frühjahr 2023 eröffnet werden soll.

 

Im rosa Kostüm zum roten Band: Es war eine royale Eröffnung in Oksbøl. Die Königin, deren zweiter Vorname Þórhildur an die einstige Kolonie Island erinnert, hat am Wochenende das neue „FLUGT“-Museums eingeweiht. Zusammen mit Vizekanzler Robert Habeck besichtigte die 82-jährige Monarchin das aufwändig gestaltete Museum.

In zwei Krankentrakten des ehemaligen Flüchtlingslagers schildert es die Geschichte der Vertreibung der Deutschen im Zweiten Weltkrieg, aber auch der großen Fluchtbewegungen der Neuzeit von Ungarn über Afghanistan bis Syrien. Dabei arbeiten die Museumsmacher um Direktor Claus Kjeld Jensen mit starken Visualisierungen und filmischen Techniken ebenso wie mit den Lebensgeschichten Geflüchteter und authentischen Exponaten.

Fünftgrößte „Stadt“ Dänemarks

In dem Teil des Museums, in dem es um die Flucht der Deutschen aus den ehemaligen Ostgebieten geht, sind berührende Exponate ausgestellt. So zeigt ein großes, handgeschnitztes Holzkreuz mit der Aufschrift „Sabinchen“, dass hier im „Flygtningelejr Oksbøl“ viele Frauen und Kinder untergebracht waren, oft unter ärmlichsten Umständen. Und dass viele das Lager nicht überlebten.

Ausgestellte Kasperlepuppen zeigen außerdem, dass es einen – bisweilen unbeschwerten – Alltag gab, in dem auch Kultur eine Rolle spielte. In dem acht Quadratkilometer großen Barackenlager, das mit seinen 35.000 Menschen 1945 die fünftgrößte „Stadt“ Dänemarks war, gab es ein Kino und ein Theater. Andererseits waren die Menschen hinter Stacheldraht kaserniert, dänisches Militär patrouillierte zwischen Wachtürmen.

Letzte Ruhe für 1.675 Flüchtlinge

Wenige hundert Meter neben dem Museum, verborgen hinter dichten Rhododendren, liegt der deutsche Friedhof. Die nüchternen grauen Kreuze lassen auf einen Soldatenfriedhof schließen. Aber hier liegen nur 121 Soldaten begraben, darunter junge Männer, die beim Minenräumen am Strand starben. Vor allem sind hier 1.675 Flüchtlinge bestattet. 

Wer die Inschriften liest, sieht an den Geburts- und Sterbedaten, dass in Oksbøl alte Menschen liegen, aber auch viele Kinder. Rund 2.000 starben in den Lagern, oft noch im Säuglingsalter. In vielen Fällen waren die Kinder schon krank und unterernährt in Dänemark an Land gegangen, aber es gab auch dänische Ärzte, die sich weigerten, Deutsche zu behandeln. Es ist ein dunkles Kapitel Kriegsgeschichte, das Claus Kjeld Jensen und sein Team beleuchten. Ein Kapitel, zu dem auch die Tatsache gehört, dass die Gestapo Mediziner, die dänische Widerstandskämpfer verarzteten, verhaftete und auch tötete.

Campleben bei minus 25 Grad

Einer, der das Flüchtlingslager Oksbøl überlebt hat, ist Jörg Baden. Heute erzählt der 82-jährige pensionierte Englischlehrer jungen Menschen davon. So auch den Jugendlichen aus Italien und Deutschland, die derzeit ein Workcamp besuchen und dabei auch den Friedhof in Oksbøl pflegen. 

Baden erinnert sich: „Ohne Zweifel war das Leben im Camp hart, im Winter froren wir bei minus 25 Grad. Aber wir mussten nie hungern. Anders als viele Menschen in Deutschland.“ So gesehen sei das Leben in Oksbøl komfortabel gewesen. Zwei Jahre habe die Familie im Lager gelebt. Zunächst in einem Pferdestall, später in festen Räumen, „mit einer Toilette mit Wasserspülung“. 

Das Leben im Lager sei organisiert gewesen: „Wir durften ans Meer gehen, wir sangen ,Kein schöner Land in dieser Zeit’.“ Unvergesslich, so Baden, sei es gewesen, als er am Strand von Blavand erstmals nach langer Zeit das Meer sah, die Wellen hörte, die Luft roch. Die Sommer seien heiß gewesen, die Winter bitterkalt. Heute stellt Baden fest: „Mein Leben ist auch eine Studie des Klimawandels.“

 

Tagebuch des Großvaters

Im Workcamp interessieren sich die Jugendlichen für das Verhältnis zwischen Deutschen und Dänen. Der Zeitzeuge berichtet, wie er zum Blumen pflücken unter den Wachzaun gekrochen sei. „Der Wachsoldat hat extra in die andere Richtung geblickt.“ Auch nachdem die Familie ins Ruhrgebiet gezogen war, blieb der Kontakt zu dänischen Bauernfamilien noch für einige Jahre lebendig.

Heute leben zwei Töchter Jörg Badens in Dänemark. Und natürlich ist er Ehrengast bei der Eröffnung des „FLUGT“-Museums: „Ich weiß, dass die überwiegende Mehrheit der deutschen Flüchtlinge Dänemark sehr dankbar ist, und das ist in vielfältiger Weise dokumentiert“ – zum Beispiel im Tagebuch seines Großvaters, das nun in einer Vitrine des Museums ausgestellt ist.

In Stein gemeißelt

Für das Auswärtige Amt spracht Katja Keul bei der Eröffnung. Die Staatsministerin für internationale Kulturpolitik betonte: „Die Geschichte von Oksbøl ist eine Geschichte von großem Leid, aber auch von großer Hilfsbereitschaft. Und es ist eine Geschichte, die in unseren Ländern noch viel zu wenige Menschen kennen.“

250.000 seien am Kriegsende nach Dänemark gekommen, das entspreche fünf Prozent der Bevölkerung des Landes. Und Keul geht auch auf den deutschen Friedhof ein: „Auf der Kriegsgräberstätte hier ganz in der Nähe ist das Schicksal unzähliger Opfer des Krieges in Stein gemeißelt.“ 

Volksbund plant neue Dauerausstellung

Diese Schicksale stehen im Mittelpunkt der neuen Dauerausstellung, die der Volksbund aktuell konzipiert und die im Frühjahr 2023 eröffnet werden soll. Dafür müssen Wege neu angelegt, die Bepflanzung erneuert und das in die Jahre gekommene Gärtnerhaus saniert werden. Der Volksbund unterstützt darüberhinaus das neue Refugee-Museum mit 50.000 Euro: Bei der Scheckübergabe am Tag der Eröffnung dankte Direktor Jensen Generalsekretär Dirk Backen und sagte: „Ich freue mich auf die neue Ausstellung, die unseren Rundgang noch attraktiver machen wird.“

Habeck spricht Dänisch

Die Königin zeigte sich angetan von der Architektur des Museums, für das Stararchitekt Bjarne Ingels verantwortlich zeichnet. Sie erinnerte daran, dass das Thema Flucht und Vertreibung durch die Ukraine eine ungeahnte Aktualität erfahren habe. Auf der Veranstaltung, die von ukrainischen Flüchtlingen in Dänemark musikalisch begleitet wurde, sprach auch Rahima Abdullah vom Jugendverband der Flüchtlingshilfe (Dansk Flygtningehjælp), die der Königin  dankte, „dass sie unser aller Königin ist – auch aller Menschen, die nach Dänemark geflüchtet sind“. Viele überraschte Gesichter gab es unter den rund 200 Gästen schließlich bei der Rede von Robert Habeck. Denn der Vizekanzler hielt sie auf Dänisch, fließend und sicher. Auch das wurde an diesem Tag als Zeichen dänisch-deutscher Normalität mit großem Wohlwollen registriert. Und es war noch Gesprächsthema, als ihre Majestät Margrethe im rosa Kostüm schon lange den roten Teppich verlassen und mit dem königlichen Rolls Royce davongefahren war.

Weiterführende Informationen zum „FLUGT“-Museum und die Kooperation mit dem Volksbund: Dänisches Leuchtturmprojekt zum Thema Flucht

Das aktuelle Workcamp Programm des Volksbundes können Sie hier finden. 

Harald John Abteilungsleiter Öffentlichkeitsarbeit