Letzte Ruhestätte nach acht Jahrzehnten: Bundesvorstandsmitglied Tore May bei der Einbettung der Kriegstoten auf der Kriegsgräberstätte Székesfehérvár (© Helga Ostorházi)
Ein weiterer Weltenbrand darf niemals mehr geschehen!
Einbettung von 1.058 Kriegstoten im ungarischen Székesfehérvár
Ein würdiges Grab nach mehr als 80 Jahren: Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. bestattete 1.058 ungarische und deutsche Tote des Zweiten Weltkrieges auf dem deutsch-ungarischen Soldatenfriedhof in Székesfehérvár (Stuhlweißenburg). Sie waren 1945 in den Kriegswirren in Baja umgekommen.
Es war schon viele Jahre bekannt, aber erst 2024 wurde durch den Volksbund und die Umbetter der ungarischen Armee die mutmaßliche Lage eines Massengrabes in Baja sondiert. Religiöse Gründe hatten dies zuvor für den Volksbund schwierig gemacht: Den Unterlagen zufolge lagen in dem Gemeinschaftsgrab neben deutschen und ungarischen Kriegsgefangenen auch in sowjetische Gefangenschaft geratene arbeitsdienstpflichtige ungarische Juden.
Das dem ungarischen Verteidigungsministerium zugeordnete Militärhistorische Institut – offizieller Partner des Volksbundes – bekam im vergangenen Jahr die Zustimmung der jüdischen Gemeinde zur Öffnung der Grablage. Damit begann die gemeinsame Sondierung und schließlich die Bergung der Toten durch die ungarische Armee und die Fachleute der Umbettungsgruppe um Gabor Kohlrusz.
Hunger, Seuchen, Gewalt
Kohlrusz forschte zudem in Bajaer und Budapester Archiven. Dort stieß er auf den Bericht des Lagerarztes Dr. Sándor Dubecz, der die Situation im Lager beschrieb. Seine Worte zeichnen das Bild eines Lagers für tausende Gefangene, in dem viele in tiefer Verzweiflung an Entkräftung, Seuchen und durch Gewalt starben.
Nach der Liste des Arztes sollen im Lager 1.023 Menschen verstorben sein. 655 Namen sind überliefert, davon gesichert 208 Deutsche und 43 Ungarn, die 1944/45 in Kriegsgefangenschaft gerieten. Bei vielen ist die Nationalität noch unklar. Todesursachen waren Erschöpfung, Unterernährung und grassierende Seuchen, aber auch Gewalt und Selbsttötungen.
Wenige Erkennungsmarken
1948 wurden die Toten aus verstreuten Massengräbern in diese Grablage umgebettet. Dabei entstand die überlieferte Namensliste. Von den über 1.000 geborgenen Soldaten konnten die Fachleute nur acht deutsche Erkennungsmarken sichern. Der Volksbund übermittelte sie an das Bundesarchiv mit der Bitte um Zuordnung und Bestätigung.
Imre Kovacs, Oberst a.D. und Länderbeauftragter für Ungarn, plante dann kurzfristig mit zahlreichen Partnern die Beisetzung. Das Pflegeteam um Norbert Hambuch bereitete mit den Umbettern und der ungarischen Armee die Einbettung auf der Kriegsgräberstätte Székesfehérvár vor. Wegen der knappen Zeit zwischen Bergung und Einbettung war es leider nicht möglich, die Identitäten der Toten zu ermitteln und amtlich bestätigen zu lassen sowie Angehörige zu ermitteln und zu informieren.
Hunderte Namen verlesen
Ob alle in der Liste des Lagerarztes genannten Toten geborgen werden konnten, ist nicht sicher. Eine Trennung nach Individuen war bei dem Gemeinschaftsgrab nicht mehr möglich.
Dennoch verlas Arne Schrader, Abteilungsleiter Kriegsgräberdienst, zum Gedenken alle für Baja überlieferten Namen vor den 40 Holzsärgen: Die Gäste lauschten bei hochsommerlichen Temperaturen den fast 700 ungarischen und deutsche Namen, gedachten dem Leid der Toten und dem Schmerz ihrer Angehörigen.
Gemeinsames Gedenken
Zum Auftakt der Gedenkzeremonie spielte das Militärorchester der Garnison Székesfehérvár die Nationalhymnen Ungarns und der Bundesrepublik Deutschland. Anschließend begrüßte Bundesvorstandsmitglied Tore May die Gäste. Die Vize-Bürgermeisterin von Baja, Andrea Csubák-Besesek, die mit Schülerinnen und Schülern des dortigen zweisprachigen Gymnasiums angereist war, dankte den Beteiligten für die pietätvolle Arbeit zum würdigen Abschluss eines furchtbaren Kapitels ihrer Stadtgeschichte. Sie betonte ihre Hoffnung, dass zukünftige Generationen aus diesen hier sichtbaren Schrecken lernen mögen.
Der Kommandeur für Territorialverteidigung und Mobilisierung der ungarischen Armee, Brigadegeneral Dr. László Drót, dankte den Soldaten und Reservisten für ihre Unterstützung bei der Bergung und Einbettung. Er erinnerte aber auch an die psychisch fordernde Aufgabe der Umbetter im Umgang mit dem massenhaftem Tod.
Das Wertvollste gegeben
Der Bürgermeister der Stadt Székesfehérvár, András Cser-Palkovics, schilderte die Schrecken der vergangenen Kriege, die Spuren in jeder Familie in seiner alten Garnisonsstadt bis heute hinterlassen haben: „Ein weiterer Weltenbrand darf niemals geschehen! Die hier Ruhenden haben für diese Lehre das Wertvollste gegeben. Wir schulden ihnen, dass wir nicht vergessen – und dass wir den Frieden wählen!“
In seiner Gedenkansprache erzählte Tore May von einem ungarndeutschen Mädchen auf der Flucht vor der Roten Armee – stellvertretend für Hoffnung und Leid der Zivilbevölkerung. Das Mädchen überlebte – anders als die in Székesfehérvár bestatteten Toten.
Andacht, Musik und Kränze
Der ungarndeutsche Gemeinschaftschor sang Volkslieder. Stellvertretend für alle Toten überreichten Ehrengäste sechs schwarze Särge, die ungarische Soldaten der Erde übergaben. Den letzten Sarg übergab der deutsche Verteidigungsattaché, Oberstleutnant Daniel Passbach. Ein ungarischer Militärrabbiner hielt eine Andacht, ein katholischer und ein evangelischer Militärpfarrer sprachen Gebete und Segen.
Auf den Kranz des Büros des ungarischen Staatspräsidenten Tamás Sulyok folgten über dreißig weitere Kränze staatlicher und ziviler Institutionen und Organisationen aus Österreich, Deutschland und Ungarn. Sie kamen von Schülerinnen und Schüler des örtlichen Gymnasiums, die im Sommer an einem Volksbund-Jugendlager in Berlin teilnehmen werden, von ungarischen und deutschen Reservisten, dem aus Österreich stammende Doyen für das in Budapest akkreditierte Militärattaché-Corps sowie vielen lokalen Vereinen der ungarndeutschen Gemeinschaft. Der ungarische Zapfenstreich und das Lied vom „Guten Kameraden“ beendeten die Gedenkveranstaltung.
Die Schicksalsklärung beginnt
Die gute Partnerschaft zwischen Volksbund und Militärhistorischem Institut hat sich durch diese Umbettung weiter intensiviert. Nun beginnt die Schicksalsklärung in Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv, denn möglichst vielen Angehörigen möchte der Volksbund die lang erwartete letzte Nachricht überbringen.
Tore May lobte die partnerschaftliche Zusammenarbeit von Kadetten, Schülerinnen und Schülern, Soldaten und Reservisten aus beiden Ländern, der Geistlichen und politischen Repräsentanten sowie den Freiwilligen des Umbettungsdienstes als Ausdruck von Freundschaft in Frieden und Freiheit: „Dafür danke ich allen Beteiligten und stellvertretend dem Hauptorganisator Imre Kovacs mit Gabor Kohlrusz, Norbert Hambuch und Roland Marusz und deren Mitarbeitern!“
Der Volksbund ist ...
ist ein gemeinnütziger Verein, der im Auftrag der Bundesregierung Kriegstote im Ausland sucht, birgt und würdig bestattet. Mehr als 10.000 waren es im vergangenen Jahr. Der Volksbund pflegt ihre Gräber in 45 Ländern und betreut Angehörige. Mit seinen Jugend- und Bildungsangeboten erreicht er jährlich rund 38.000 junge Menschen. Für seine Arbeit ist er dringend auf Mitgliedsbeiträge und Spenden angewiesen.

