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​​​​​​​Mit Eimer, Bürste, Kopfhörer und im eigenen Tempo

Gruppe des Berufsbildungswerks Ravensburg pflegt in Bergheim im Elsass Kriegsgräber

„Wenn man auf den Friedhof kommt, kann man den Schmerz manchmal spüren“, sagt Anna-Maria. Sie ist 20 Jahre alt und besucht das Berufsbildungswerk „Adolf Aich“ in Ravensburg. Normalerweise. Heute säubert sie auf der Kriegsgräberstätte Bergheim im Elsass Grabkreuze – ein Bildungsprojekt in Zusammenarbeit mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge.

 

Seit acht Jahren bietet das Berufsbildungswerk (BBW) Auszubildenden die Möglichkeit, Kriegsgräber deutscher Soldaten nicht nur in Ravensburg, sondern auch im Ausland zu pflegen und sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen. Seit 2021 ist das BBW offizieller Bildungspartner des Volksbund-Landesverbandes Baden-Württemberg. Die Stiftung „Gedenken und Frieden“ fördert Projekte wie dieses.
 

Flechten, Moos und Erde

Auf der Kriegsgräberstätte Bergheim nehmen sich 15 junge Frauen und Männer im Alter von 18 bis 24 Jahren jeweils Eimer und Bürsten, zapfen Wasser. Zusammen mit dem Ausbilderteam befreien sie die Steinkreuze von Erde, Moos und Flechten.

Die jungen Leute sind Menschen mit Unterstützungsbedarf – begründet zum Beispiel in Lernschwäche, Autismusstörungen oder psychischen Problemen. „Machen Sie ruhig langsam. Wir sind vier Stunden hier – da brauchen Sie die Kraft“, sagt Ausbilderin Birgit Wald zu einem Schützling. „Lassen Sie sich auf den Stein ein, dann werden Sie ruhiger.“
 

Musik im Ohr

Für andere dagegen muss das Tempo hoch sein. Manche tragen Kopfhörer, arbeiten für sich und mit Musik. Sie alle stehen am Ende ihres ersten Ausbildungsjahres, lernen Verkauf beziehungsweise Hauswirtschaft. Manche brauchen mehr Motivation als andere, doch für alle gilt gleichermaßen: Wertschätzung und Anerkennung tun gut und sind besonders wichtig.

„Ich lese mir die Inschrift auf dem Stein einmal durch“, erklärt Alina (21), „dann fange ich an.“ Drei Namen sind auf jedem verzeichnet. Die schiere Menge der Kreuze, die für rund 5.300 Tote stehen, beeindruckt viele von ihnen. Gestorben sind die Soldaten an anderen Orten der Region – Bergheim ist ein Sammelfriedhof.

Gestorben am 21. Geburtstag

Felix bleibt vor dem Kreuz mit dem Namen Erich Stober stehen. Geboren am 9. Januar – genau wie er – und gestorben 1945 ebenfalls am 9. Januar, an seinem 21. Geburtstag.

„Diese Steine sind das letzte, was von den Menschen übriggeblieben ist. Es ist schon wichtig, dass man sie pflegt“, sagt der 19-Jährige. „Ich glaube, dass viele in Deutschland dankbar sind, weil sie keine Möglichkeit haben, die Gräber selber zu pflegen.“

Dankbar ist auch das Team um Manon Ehrhardt. Sie ist beim Volksbund in diesem Bezirk in Frankreich für die Pflege von mehr als 50 Kriegsgräberstätten zuständig. „Sie helfen uns – das ist sehr wichtig für uns“, betont sie gegenüber der Gruppe. An zwei Vormittagen steht Arbeit auf dem Programm. Außerdem gehören Ausflüge und ein Besuch im Europaparlament in Straßburg dazu.

Koffer als Handwerkszeug

Sebastian Steinebach, Bildungsreferent des Volksbundes in Konstanz, hatte das BBW vorab besucht. Sein Ziel: den Volksbund vorstellen und die Gruppe auf den Einsatz vorbereiten. Dabei hilft der „Volksbund-Koffer“ – inklusive Feldpostbrief und Erkennungsmarke, Grabflasche und -kerze, Landkarte, Fotos und Abzeichen. „Mir ist wichtig, dass die Gruppe die Sinnhaftigkeit in ihrer Arbeit sieht – dass klar wird: Wenn Gräber überwuchert sind, ist auch die Erinnerung weg.“

Was Steinebach besonders in der Zusammenarbeit mit Gruppen des BBW schätzt? Dass es kein enges Zeitfenster im Unterricht gibt, sondern viel Raum für alles, was nötig und wichtig ist. Und der Bildungsreferent spricht von einem achtsameren Umgang – mental wie emotional. Das führt zu Eindrücken und Gedanken wie diesem: „Es ist komisch, auf einem Grab zu knien, auf einer Stelle zu sein, wo Menschen begraben sind. Sonst geht man ja immer außen herum“, sagt eine Auszubildende am Morgen des zweiten Tages.
 

„Wie viele hier liegen, ist erschreckend“

Andere Empfindungen und Reaktionen wiederum sind bei allen gleich, die auf Kriegsgräberstätten wie dieser arbeiten und bewusst wahrnehmen, wofür die Kreuze stehen. Der 20 Jahre alte Tom sagt: „Die Masse – wie viele Leute hier liegen – finde ich erschreckend. Und wie viele unbekannte Soldaten hier liegen, ist nochmal erschreckender. Es ist sehr schade, dass es keine Familien gibt, die man benachrichtigen konnte.“

Zum Europaparlament nach Straßburg

Für Ausbilderin Birgit Wald ist der Arbeitseinsatz in Bergheim eine Premiere – wie für viele aus der Gruppe auch. „Gerade in der heutigen Zeit rückt der Krieg wieder näher an uns alle heran. Wir möchten der Gruppe zeigen, dass Frieden nicht selbstverständlich ist und dass man etwas dafür tun kann.“

Dem Ausbilder-Team ist es wichtig, diesen jungen Menschen das Gedenken an die Kriegstoten nahe zu bringen und dies mit dem europäischen Gedanken zu verbinden. Sie möchten Begriffe wie Demokratie und Versöhnungsarbeit mit konkreten Inhalten füllen. „Darum fahren wir auch nach Straßburg zum Europaparlament“, sagt Birgit Wald.
 

Zum ersten Mal im Ausland

Manchen aus der Gruppe ermöglicht das BBW Ravensburg mit dieser Fahrt die erste Auslandsreise ihres Lebens. Ein fremdes Land, eine andere Sprache, dazu die ungewohnte Arbeit und Auseinandersetzung mit einem schwierigen Thema – das ist für viele ein Gewinn, aber eine mindestens ebenso große Herausforderung.

Im Dezember erhalten alle, die in Bergheim dabei waren, eine Volksbund-Urkunde als Dank für ihr Engagement. Dafür wird Sebastian Steinebach noch einmal nach Ravensburg fahren. Und er weiß jetzt schon: Auch in dieser Gruppe wird die Anerkennung sehr geschätzt. Die Arbeit in Bergheim wird bei den meisten einen tiefen Eindruck hinterlassen haben und das Feedback dürfte sehr positiv sein.