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„Es grüßt und küsst dich vielmals dein Vater“

Wilhelm Abel: Sattler und Landwirt mit inniger Beziehung zum einzigen Sohn
Ein Artikel von Christiane Deuse

„Jung sein heißt fröhlich sein“, steht auf der Rückseite des Fotos, das Werner Abel im Februar 1944 von Konstanz aus nach Frankreich schickt. Und außerdem: „Meinem Vater gewidmet, damit er seinen Sohn kann stets bei sich tragen.“ Vier Jahre und drei Monate ist Wilhelm Abel zu dem Zeitpunkt schon als Soldat im Krieg und der 16-Jährige vermisst ihn sehr. Im November desselben Jahres wird der Vater verwundet und stirbt.
 

Seine Biographie ist in der neuen Dauerausstellung auf der Kriegsgräberstätte Niederbronn-les-Bains im Elsass nachgezeichnet, wo Wilhelm Abel als einer von fast 15.500 Kriegstoten begraben ist. Dort ist dieses Porträt mit Widmung zu sehen – so, wie weitere Fotos, Briefe und Dokumente aus seinem Nachlass. Seine Geschichte ist dort nacherzählt als eine von sieben, die eindringlich und nachhaltig die grausamen Folgen des Krieges greifbar machen. Die Enkelin, Susanne Abel, hat dem Volksbund das Material zur Verfügung gestellt.

Erziehung aus der Ferne

Ein Foto zeigt die kleine Familie im Januar 1940 beim Heimaturlaub des Vaters in Kork bei Kehl am Rhein (Foto oben): Der Sattler und seine Frau betreiben eine kleine Landwirtschaft im Nebenerwerb. Werner ist der einzige Sohn, geboren 1927. Er packt mit an, seit der Vater zehn Wochen nach Kriegsbeginn in die Wehrmacht eingezogen wurde. In Cannstatt bei Stuttgart ist Wilhelm Abel als Kompanie-Sattler bis Anfang 1943 stationiert.

Nach Cannstatt geht 1941 auch ein Päckchen mit Konserven: Werner wurde konfirmiert, doch der Vater war nicht dabei. Mutter Mina bringt das Festtagsessen in Dosen per Post auf den Weg.

Aus der Ferne versucht Wilhelm Abel, seinen Sohn mit zu erziehen. Am 14. Dezember 1942 schreibt er an den 15-Jährigen, der inzwischen eine Lehre als Maschinenschlosser beim Ausbesserungswerk der Reichsbahn in Offenburg angefangen hat: „Passe du gut auf, daß du was lernst, du sei anständig mit Deinen Lehrkameraden. Das ist was ich dir ans Herze lege.“ Und auch das liest der Sohn: „Sei du anständig mit der Mutter. Ich möchte keine Klagen hören, wenn ich nach Hause komme.“

Zwischen Emotion und Pragmatismus

Was hier streng klingt, verdeckt eine ungewöhnlich enge, wenn nicht sogar innige Beziehung. In späteren Briefen wird sie deutlicher: „Es grüßt und küsst dich vielmals dein Vater – Auf Wiedersehn“ heißt es zum Beispiel am 10. April 1944 in einem Feldpostbrief. Und immer sind die Grenzen fließend, folgt auf Emotion Pragmatisches – meist die Sorge um die Landwirtschaft. Anfang 1943 etwa steht das tiefe Bedauern über das Getrenntsein an Weihnachten zwischen den Zeilen. Dann geht es um eine Jauchepumpe.

Nicht nur die beiden schreiben sich häufig – auch mit seiner Frau Mina pflegt Wilhelm Abel regen Briefkontakt. An Frau und Sohn adressiert er immer wieder Anweisungen für die Landwirtschaft: „Werner das Kühputzen nicht vergessen. Mache der Kalbin die Bollen weg, denn 2 Mal in der Woche kann man die Kühe sauber machen.“ Zwischenzeitlich wird er in Straßburg stationiert und fährt auch von dort – so oft es geht – nach Kork, um die Landwirtschaft weiter mit zu versorgen.

Sonderurlaub und ein Helfer

Ein weiteres Foto in der Ausstellung zeigt ihn mit seinem Kameraden Alex Zink, der ihn gelegentlich begleitet, um auf den Feldern zu helfen. Wenn es den beiden gelingt, Pferde der Reichswehr mitzunehmen, geht die Arbeit schneller. Das hilft enorm, doch irgendwann werden sie verpfiffen.

„Mit der Feldarbeit für die Aussaat und Feldbestellung ist meine Mutter nicht zurechtgekommen“, erinnert sich Werner Abel später. „Für Vater konnte ab und zu Sonderurlaub für die schwere Feldarbeit beantragt werden. Für Mutter war das ein Gräuel, weil ihr oft mit fadenscheinigen Begründungen solche Wünsche abgelehnt wurden.“ Jung sein, heißt fröhlich sein? – Unter diesen Umständen wohl oft schwer bis unmöglich.

Schalke 04 und zwei Autogramme

Noch etwas verbindet Vater und Sohn: die Leidenschaft für Fußball. Die Karte, die Werner von seinem Vater im Juli 1940 bekommt, dürfte von besonderem Wert für ihn gewesen sein. Denn Wilhelm Abel sieht am 15. Juli in Stuttgart den damaligen „Groß-Deutschen Meister“ FC Schalke 04 gegen Mannheim spielen. In der „Adolf-Hitler-Kampfbahn“ bittet er die Stars der Mannschaft um Autogramme für den Sohn. Ernst Kuzorra und Fritz Stepan unterschreiben. Auch diese Karte geht per Feldpost in die Heimat.

1943 wird Wilhelm Abel nach Südfrankreich versetzt. Im Oktober 1943 legt der Sohn die Gesellenprüfung ab. Am „Staatstechnikum” in Konstanz beendet er im März 1944 eine weitere Ausbildung. Gerade 17 Jahre alt geworden, hat er damit so etwas wie die Fachhochschulreife in der Tasche.

Geburtstagsgruß und ein letzter Besuch

Zuvor, am 1. März, schreibt der Vater aus Clermont: „Wie geht es in der Schule? Ich denke doch gut. Passe gut auf und sei fleißig und tüchtig. Lernen, daß du für dein späteres Leben etwas bist und kannst. Nun hast du bald Geburtstag. 17 Jahre ich wünsche dir alles Gute für dein späteres Leben und will hoffen, dass der Krieg bald zu Ende geht.“ Sein Stuhl bleibt am Geburtstag leer.

1944 gehört Wilhelm Abel beim Rückzug der Wehrmacht zur Nachhut.  Werner beginnt erst ein Studium in Konstanz und wird dann zum Reichsarbeitsdienst eingezogen. Er wird früh genug entlassen, um Mitte November wieder zu Hause zu sein. Zu dem Zeitpunkt ist der Vater mit seiner Einheit am Rand der Vogesen stationiert – nur noch rund 70 Kilometer von Kork entfernt. Am 19. November besucht er die Familie noch einmal für wenige Stunden.

„… daß der Sattler schwer verwundet ist“

Zwei Tage später wird der 42-Jährige durch einen Lungendurchschuss schwer verletzt. Sein Kamerad Alex Zink erlebt das mit und bringt ihn mit dem Auto zum Verbandsplatz. Noch in der Nacht schreibt Zink an seine Frau: „Liebe Marile, will dir kurz mitteilen, daß der Sattler schwer verwundet ist. Ob er davonkommt ist eine Frage.“ Er bittet sie, erst den Schwiegervater zu informieren, um die Ehefrau zu schonen.

Wilhelm Abel kommt nicht davon: Am frühen Morgen des 23. November 1944 stirbt er auf dem Hauptverbandplatz in Schirmeck im Elsass. Für seine Frau und den Sohn bricht eine Welt zusammen.
 

Zwei Gräber: Schirmeck und Niederbronn

Beerdigt wird er zunächst in Schirmeck, später auf der Kriegsgräberstätte in Niederbronn. Viele Jahre hindurch besucht Werner Abel mit seiner Mutter, seiner Frau und den drei Kindern dort das Grab seines Vaters. Tochter Susanne fährt mit, solange sie klein ist.

Erst kurz vor seinem Tod zeigt Werner Abel ihr die Feldpostbriefe, die er gesammelt und aufgehoben hat: „2013, bei seinem letzten Weihnachtsfest, stellte er den Karton auf den Tisch und las mir daraus vor“, erinnert sie sich.
 

Tränen dreier Generationen

Wenige Monate zuvor hatte Susanne Abel nach langer Zeit noch einmal mit ihrem Vater das Grab in Niederbronn besucht. Inzwischen hatte sie sich intensiv mit der Geschichte ihres Großvaters beschäftigt, hatte seine Spuren verfolgt – auch, um herauszufinden, was er als Obergefreiter der Wehrmacht getan hatte. „Er ist ein guter Typ gewesen“, ist ihre Erkenntnis am Ende. „Ich hätte ihn gerne kennengelernt.“

Bei dem Besuch am Grab 2013 überkommt sie tiefste Trauer – „so, als wenn mein Großvater gestern gestorben wäre.“ Und sie ist überzeugt, dass die Tränen an diesem Tag auch die Tränen ihres Vaters und die ihrer Großmutter sind. Transgenerationale Weitergabe von Traumata ist das Stichwort.

Zwei Romane und ein Entschluss

Das Thema beschäftigt die Regisseurin und Autorin. Zwei Romane entstehen, in denen es unter anderem darum geht: um unverarbeitete Trauer, die auch die nachfolgenden Generationen empfinden.

Nachdem der Vater 2014 gestorben ist, stellt Susanne Abel dem Volksbund Feldpostbriefe, Fotos und Dokumente zur Verfügung. Auch ein Geschenk für ihren Vater zu seinem letzten Geburtstag ist dabei: eine Broschüre, in dem sie sein Leben in Wort und Bildern dokumentiert hat.

Sie überlässt all das dem Projekt „Kriegsbiographien“, das Material für neue Ausstellungen zusammenträgt und auswertet. Schwer gefallen ist ihr der Entschluss dazu nicht – „im Gegenteil: Ich finde die Volksbund-Arbeit extrem wichtig. Das ist wirklich Friedensarbeit“, sagt sie.

„… daß ich es immer vor Augen habe“

Bei der Eröffnung der Dauerausstellung am 25. Juni 2022 in Niederbronn ist Susanne Abel dabei. Noch einmal ist es ein sehr emotionaler Besuch am Grab ihres Großvaters. Ein Cousin und ein Onkel, der den Großvater kannte, begleiten sie.

Zusammen sehen sie sich in der Ausstellung auch das Porträt mit Widmung an, das Werner Abel im Februar 1944 verschickt hatte – „Jung sein heißt fröhlich sein“. Am 5. März antwortete der Vater: „Lieber Werner! ich habe deinen lieben Brief mit Sehnsucht erhalten. Meinen besten Dank dafür. Wie du schreibst geht es dir noch gut. Dasselbe kann ich von mir auch berichten. Das Bild hat mir gut gefallen. Es freute mich sehr. Ich werde es auf meinen Tisch stellen, daß ich es immer vor Augen habe.“

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