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Das Ende des Ersten Weltkrieges in Ostafrika

Diskussion mit Humangeograf Prof. Dr. Bodo Freund

Am späten Nachmittag des 30. November 2018 fanden sich rund 50 interessierte Gäste im Berliner Abgeordnetenhaus zum Vortrag von Bodo Freund über „Das Ende des Ersten Weltkrieges in Ostafrika“ ein. Der Landesverband Berlin des Volksbundes hatte eingeladen.

Dr. Ingolf Wernicke, Geschäftsführer des Landesverbandes Berlin begrüßte das Publikum und führte den Referenten, Prof. Dr. Bodo Freund, em. Humangeograf an der Humboldt- Universität zu Berlin ein.

Dieser Bericht gibt inhaltlich Auszüge aus dem Vortrag wieder. Ein Manuskript des Vortrags liegt uns nicht vor.

Eine noch nicht erzählte Geschichte

Am 11. November 1918 war der Krieg zu Ende, aber nicht überall. General Paul von Lettow-Vorbeck, Befehlshaber der Deutschen Schutztruppe in Ostafrika, legte erst am 25. November die Waffen nieder.

Wenn man an den Ersten Weltkrieg denkt, dann denkt man häufig an Frankreich, seltener an Osteuropa, noch seltener ans Osmanische Reich und ganz selten an Afrika. Für die kriegführenden Parteien war Ostafrika ein Nebenschauplatz, eine untold history, forgotten front. Und ein Krieg, den man nach 1918 vergessen wollte. Dabei waren an diesem Krieg Menschen aus unzähligen afrikanischen Ländern beteiligt, später auch aus Indien.

Eigentlich sollten bei einem innereuropäischen Konflikt nach der sog. „Kongo-Akte“, der Berliner Afrika-Konferenz, die Kolonien nicht beteiligt werden, doch schon in der ersten Kriegswoche zerstörten britische Streitkräfte den Sendemast in Daressalam. Die Reaktion der deutschen Schutztruppe ließ nicht auf sich warten. In Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Tansania, Ruanda und Burundi lebten bei Kriegsbeginn 7,1 Mio Menschen.

Die Aussichten, die deutschen Kolonien zu halten, waren von Anfang an gering, auch weil sie an britischen Kolonien grenzten. Portugal spielte eine – eindeutig-zweideutige Rolle, wie Freund erklärte. Das Land zählte sich zu den Alliierten, ohne mit dem Deutschen Reich verfeindet sein zu wollen. Die Unterstützung der Briten erfolgte eher subversiv. Erst 32 Monate nach Kriegsbeginn – also fast drei Jahre – erklärte das Deutsche Reich Portugal den Krieg.

In Europa wurde mit neuer Technik, in Afrika mit alten Waffen gekämpft

Während in Europa der Krieg im Zeichen der neuen technischen Waffen und Industrialisierung stand, wurde in Afrika mit alten Waffen gekämpft. Zwei Eisenbahnlinien durchzogen ein riesiges Gelände – isoliert. Es gab 18 Autos, die für eine Ausstellung nach Ostafrika gebracht worden waren – aber keine Straßen. Ein Großteil der Rinder, Pferde und Esel starben in kürzester Zeit an Übertragungen der Tse-tse-Fliege. Das wichtigste Verkehrsmittel waren afrikanische Träger, die in den Malariagebieten aufgewachsen und immunisiert waren.

Die Deutsche Schutztruppe stand mit ca. 3.000 Mann und 14.000 afrikanischen Söldnern einer Übermacht der alliierten Kräfte gegenüber. Trotzdem gelang es ihm, die Grenze zu Portugiesisch-Ostafrika, dem heutigen Mosambik zu überschreiten. Dort waren vier portugiesische Zollstationen auf 500 Kilometer Küste verteilt. Es war für die Deutsche Schutztruppe einfach, sie zu überfallen und einzunehmen.

Prof. Freund wies in seinem Vortrag auf die Auspressung und Versklavung der einheimischen Bevölkerung hin. So wurde den Menschen eine Hüttensteuer auferlegt und da sie nicht bezahlen konnten, wurden sie als „Vertragsarbeiter“ in die Minen von Transvaal geschickt. Als Transvaal diese Praxis verbot, wurden die Männer nach Zaire in die Kupferminen verschickt oder besser gesagt, versklavt.

In den Regenzeiten war es so nass, dass die Kampfhandlungen eingestellt wurden. Nicht nur der Krieg, sondern auch die Krankheiten waren eine ständige Bedrohung. Kranke mussten getragen werden, dies wiederum verlängerte die Marschzeiten und machte die Truppen unbeweglicher.

Das Interesse der Portugiesen an der Kriegsteilnahme ist nur schwer nachvollziehbar. Portugal lag 1916 wirtschaftlich am Boden und war abhängig von Getreideimporten. Eine rettende Staatsanleihe konnte nur aus London kommen. Die portugiesischen Soldaten waren jedoch entsetzt, als sie in Mosambik ankamen und dort auf ihre Vorgänger trafen, die meist krank und apathisch waren. Freund führte aus, dass die portugiesischen Soldaten häufig aus sozialen Randgruppen kamen, später waren es Strafeinheiten, die nach Mosambik zwangsversetzt worden waren. Ein Großteil der portugiesischen Mannschaften waren europäisch – im Gegensatz zu den britischen und deutschen Mannschaften. Dort waren die meisten Afrikaner, nur die Offiziere und Unteroffiziere waren Weiße.

Der Krieg war zu Ende, das Sterben nicht

Am 13. November erfuhr Lettow-Vorbeck von einem abgefangenen Boten vom Kriegsende in Europa. Er glaubte es bis zum 25. November nicht. Dann ging er – ehrenvoll – darauf legte er Wert – in die Gefangenschaft der Alliierten.

Damit war der Krieg zu Ende, aber nicht das Sterben. Die kolonialen Truppen hatten rund 1 Millionen afrikanische Männer zwangsrekrutiert. Diese Männer fehlen in der Landwirtschaft. Die meisten Opfer der Kampfhandlungen waren Träger und Hilfskräfte. Nach dem Krieg starben in Ostafrika ca. 365.000 Menschen an Hunger und 100.000 an der Spanischen Grippe.

Lettow-Vorbeck wurde in Berlin in einem Triumphzug empfangen. Seine Form der asymmetrischen Kriegsführung und militärischen Taktik des schnellen Zuschlagens und Zurückziehens (hit and run) diente später vielen revolutionären Bewegungen als taktisches Vorbild. Angeblich hat sich auch Che Guevara dies zum Vorbild genommen.

Anschließend wurde heftig applaudiert, aber es gab auch kritische Nachfragen: „War dieser Vortrag nicht unfair? Es hörte sich so an, wie toll die deutschen Soldaten waren, wie unfähig die portugiesischen Soldaten und es gab keine Kritik zur Kolonialpolitik, so kritisierte ein Zuhörer. Prof. Freund betonte ausdrücklich, dass dies nicht das Thema war, und es ihm fernläge, die Kolonialpolitik in gutem Licht erscheinen zu lassen.

Die Diskussion verließ dann leider rasch die argumentative Ebene, auch als ein Zuhörer die moderne Geschichtsschreibung beklagte, die durch die 68er Bewegung verfälscht worden und Deutschland die Schuld an zwei Weltkriegen zugeschoben hätte. Eine Bewohnerin des Berliner Stadtteils Wedding bedauerte, dass durch die Umbenennungen der Straßen im Afrikanischen Viertel die Namen ihrer Kindheit verloren gingen.

Insgesamt war es schade, dass die Diskussion die Wendung nahm. Diesem komplexen Thema und der schwierigen Diskussion wäre mehr Sorgfalt bei der Definition der diskutierten Begriffe zu wünschen gewesen.

Unterschiedliche Gedenkpraktiken: Heldenehrung und Picknick am Grab

Am nächsten Tag besuchte ich den Garnisonsfriedhof am Columbia Damm und suchte den Gedenkstein der Namibia-Schutztruppe, von dem Dr. Wernicke berichtet hatte. Der Weg über den Friedhof bietet erstaunliche Eindrücke in unterschiedliche Gedenkpraktiken. Zahlreiche martialische Kriegerdenkmäler aus dem Ersten Weltkrieg sind mit schwerer Symbolik versehen. Aus einem abgedeckten Steinsarkophag erhebt sich eine drohende (Stein)Faust. Viele Kriegerdenkmale sind noch vom Volkstrauertag mit inzwischen welkenden Kränzen geschmückt. Hier werden Helden geehrt. Ich lese die Kranzschleifen und bin überrascht: Den Stahlhelm-Bund hatte ich bis dahin in den Geschichtsbüchern verortet. Das ist falsch, wie ich gelernt habe. Der Stahlhelmbund hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg wieder gegründet und heute rund 4.000 Mitglieder. Ganz anders wirkt der Friedhof nur wenige Meter weiter. Die Gräber der muslimischen Toten sind nach Mekka ausgerichtet, opulent mit Kunstblumen und Lämpchen geschmückt. Erstaunlich wirken die Campingstühle, die um manche Gräber aufgestellt sind – wie um eine Tafel. Ob hier gemeinsam gepicknickt wird? Verbringen Muslime Zeit mit den Toten anders?

Der Gedenkstein der Namibia-Schutztruppe ist nicht leicht zu finden. Er steht fast unauffällig an der Friedhofsmauer, dahinter liegt das Schwimmbad.

Hier wird den Angehörigen des Regiments eines Feldzugs in Südwest-Afrika gedacht, die dort den Heldentod starben, niedergelegt vom Traditionsverband ehemaliger Schutz- und Überseetruppen, Freunde der früheren deutschen Schutzgebiete, wie es auf der Kranzschleife heißt. Die Bezirksverordnetenversammlung Neukölln und das Bezirksamt Neukölln haben den Stein 2009 um eine Gedenktafel für die Opfer der deutschen Kolonialherrschaft mit einem Zitat von Wilhelm von Humboldt ergänzt: Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft.