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Denkmäler stürzen reicht nicht

Volksbund bezieht Stellung zu aktuellem Thema

Es ist zwar kein Gespenst, das aktuell umgeht. Aber in ganz Europa und den USA werden derzeit Denkmäler vom Sockel gestoßen oder – wie in Bristol geschehen – sogar im Wasser versenkt. Die Denkmalstürze sind nicht neu.

Sie erinnern an die heftigen Debatten um die kommunistische Vergangenheit in Osteuropa, die ebenfalls zur Entfernung, an manchen Orten aber auch zur Bewahrung von Denkmälern führten. Anlass für die gegenwärtigen Auseinandersetzungen ist der brutale, rassistisch motivierte Tod von George Floyd in Minneapolis in den USA.

In vielen Ländern erinnern bis heute Denkmäler an eine unrühmliche Vergangenheit: In Gent steht eine Büste von König Leopold II, der für die Versklavung der Bevölkerung im Kongo verantwortlich war und sie bewusst terrorisierte und brutal ermorden ließ. Im Rahmen der "Black-lives-matters"-Proteste wurde diese Büste vor kurzem aus Protest mit Farbe übergossen. Andere Statuen in Belgien wurden ebenfalls zum Ziel von Protesten gegen die gewaltsame belgische Kolonialherrschaft. Eine Petition mit 67.000 Unterschriften fordert die Entfernung aller Statuen des brutalen belgischen Königs.

Damit stellt sich die Frage: Wie  soll man mit Denkmälern umgehen, die an vielen Orten an Gewaltherrscher erinnern? Nach 1989 wurden in den vergangenen30 Jahren in ganz Osteuropa Statuen von Lenin und Stalin in teils emotional aufgeladenen Auseinandersetzungen abgerissen, verschrottet oder – wie in Moskau geschehen – in einen Park der gefallenen Denkmäler verfrachtet, wo sie als skurrile Schau „Muzeon“ der Nachwelt erhalten sind.

Jahrelanger Kampf um Lenin-Statue
Auch in Osteuropa entzündete sich die Wut der Bürger an Denkmälern, die zum Teil über Nacht demontiert wurden. Doch nicht immer war es ein schneller Abbau von heute auf morgen. Noch 2011 kämpften Anhänger der Kommunisten in Kiew um den Verbleib eines Lenin-Denkmals an einer der Hauptverkehrsadern der Stadt, am Fuße des Taras-Schevschenko Boulevards. Da die Statue von Gegnern immer wieder beschädigt wurde, stellten Anhänger ihres Verbleibs Wachen auf, die das Standbild beschützen sollten. Die Statue wurde erst 2013 während der Proteste gegen den früheren Präsidenten Janukowitsch entfernt - von ihr ist nichts mehr zu sehen.

Es gibt gute Gründe, Standbilder, Büsten und andere Zeugnisse einer unrühmlichen Vergangenheit nicht einfach stehen zu lassen. Es wäre unerträglich und undenkbar, ein Denkmal Adolf Hitlers – und sei es noch so gut kommentiert und kontextualisiert – im öffentlichen Raum stehen zu lassen. Der  Abriss macht die Geschichte nicht ungeschehen. Ihr Verbleib aber ist - wie derzeit gerade zu beobachten - eine Provokation.

Tabuthema Völkermord
Die koloniale Vergangenheit ist in vielen Ländern ein Tabuthema, das oft eher Initiativen der Zivilgesellschaft beschäftigt und nur zum Teil Eingang in die offizielle Politik findet. So fällt es auch Deutschland ausgesprochen schwer, sich für den Völkermord an den Hereros und Namas im heutigen Namibia zu entschuldigen. Eine Anerkennung des Völkermordes hätte möglicherweise Entschädigungszahlungen an deren Nachkommen zur Folge.

Rupprecht Polenz, der ehemalige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde, verhandelt im Auftrag der Bundesregierung über eine von den Nachkommen der Namas und Hereros sowie dem Staat Namibia akzeptierten Wiedergutmachungsleistung. Sie steht Polenz zufolge kurz vor dem Abschluss.

Berliner Initiative zu kolonialem Erbe
In Berlin gibt es seit März eine vom Berliner Senat und der Bundeskulturstiftung geförderte Initiative, die sich mit postkolonialem Erinnern beschäftigt – zum Beispiel mit Straßennamen, die auf die koloniale Vergangenheit zurückgehen.

Was aber bedeuten  die Denkmalstürze, die wir gerade erleben, für die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und die Erinnerungskultur in Europa? Denkmäler zu stürzen allein reicht nicht. Es reicht auch nicht, die Vergangenheit „ruhen zu lassen“, wie das gerne von Gegnern von Geschichtsaufarbeitung gefordert wird. Vielmehr ist eine aktive Auseinandersetzung mit der Vergangenheit notwendig. Das gilt für den Zweiten Weltkrieg genauso wie für die noch ausstehende Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe Deutschlands. Oder - wie die Beispiele in anderen Ländern zeigen - für die Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe Europas.

"Afrika-Stein" in historischem Kontext
An manchen Orten wird das bereits versucht. Zum Beispiel in Berlin, wo auf dem Friedhof Columbiadamm eine Inschrift auf Stein an die Opfer der deutschen Kolonialherrschaft in Namibia erinnert: Der Stein wurde im Gedenken an die Opfer der deutschen Kolonialherrschaft am 2. Oktober 2009 eingeweiht – an dem Tag, an dem sich der Vernichtungsbefehl von General Lothar von Trotha zum 105. Mal jährte. Direkt dahinter liegt der „Afrika-Stein“, der an deutsche Soldaten erinnert, die beim Völkermord an den Hereros und Namas im ehemaligen „Deutsch-Südwestafrika" gefallen sind.

Hier wird die Geschichte nicht einfach negiert, indem der Afrika-Gedenkstein entfernt wird. Statt dessen wird der Gedenkstein in einen Kontext gesetzt. Das fordert den Besucher dazu auf, sich zu fragen: Was ist damals passiert? Er wird vielleicht neugierig und möchte mehr wissen und beginnt sich zu informieren.

Auseinandersetzung und politisches Handeln
Die Kontextualisierung kann der Beginn der Auseinandersetzung mit einem schwierigen kolonialen Erbe oder anderen schwierigen Kapiteln der Geschichte sein. Folgen muss dann auch die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und – falls nötig – politisches Handeln. Das „Bewusstwerden“ der Vergangenheit ist jedoch immer die Voraussetzung und der Beginn der Auseinandersetzung. Dafür müssen Denkmäler vielleicht auch manchmal vom Sockel stürzen, wie wir es gerade erleben.

Manchmal braucht es auch neue Denkmäler, um an vergessene Schichten der Vergangenheit zu erinnern und sie ins Bewusstsein zu holen. So fordert zum Beispiel Israel Kaunatjike – ein Nachfahre der Hereros, der in Berlin lebt – ein Denkmal in der Hauptstadt, das an die Aufteilung Afrikas und den Sklavenhandel erinnert, an dem auch Deutschland beteiligt war. In einem Youtube-Video sagt Kaunatijke: „Ein Denkmal ist sehr wichtig für die neuere Generation, sich zu informieren und vielleicht diesen Fehler nicht noch einmal zu machen, was damals passiert ist.“

Fragen nach Tätern und Opfern
Im Volksbund versuchen wir, einen kleinen Beitrag zur Erinnerungskultur zu leisten. In den Jugendbildungs- und Begegnungsstätten, die sich an Kriegsgräberstätten wie etwa in Lommel mit 40.000 Kriegstoten befinden, setzen wir uns mit der Frage nach Tätern und Opfern auseinander. Anhand von Biografien und pädagogisch angeleiteten Workshops befassen wir uns mit Tätern und Opfern. Das Ziel: über das Bewusstwerden und das Verstehen, was passiert ist, eine Auseinandersetzung und Sensibilisierung über eigenes Denken und Handeln anzuregen - und damit ein Stück weit gegen rassistisches und antidemokratisches Denken zu immunisieren.

Text: Dr. Heike Dörrenbächer
Abteilungsleiterin Gedenkkultur und Bildung
Kontakt

Quellen:

- www.nzz.ch/international/black-lives-matter-holt-belgiens-geschichte-ein-ld.1560702

- www.tagesspiegel.de/politik/voelkermord-an-herero-und-nama-wann-wird-sich-deutschland-entschuldigen/22942938.html

- www.freiburg-postkolonial.de/Seiten/2009-Zeller-Namibiagedenkstein-Berlin.htm