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Die Kriegstoten im Klostergarten

Ausbettung in Neisse (Nysa/Polen)

Ein voll funktionstüchtiges Fieberthermometer findet man nur selten in einem Kriegsgrab. Ebenso ungewöhnlich ist auch der Fundort der jüngst in Polen exhumierten Kriegsopfer – denn es handelt sich um den Garten eines alten Klosters. Umbettungsleiter Thomas Schock berichtet von einem ungewöhnlichen Ausbettungsort:

Nimmt man in Neisse den Weg zum Klosterfriedhof, steht man bald vor der örtlichen Gedenkstätte für den Ersten Weltkrieg, die zugleich von der Friedhofsmauer umfasst wird. Innenseitig ist der Kreuzweg, sind die Leiden Jesu Christi auf schon leicht verblasstem Sandstein bildlich dargestellt.

Es ist ein friedlicher Ort.

Gleich rechts neben dem Eingang liegen die gepflegten Gräber der verstorbenen Klosterangehörigen, links davon erstreckt sich eine scheinbar unberührte Grasfläche. Doch der erste Eindruck täuscht. Schon lange herrscht hier im Kloster die Ungewissheit, ob dort nicht noch andere Gräber lägen, solche die noch zu Kriegs- oder auch Nachkriegszeiten in höchster Not sowie Eile ausgehoben wurden. Womöglich, so der Verdacht, liegen dort neben gefallenen Soldaten auch noch zivile Kriegsopfer. Nun endlich wollte man Gewissheit haben – und rief den Volksbund-Umbettungsdienst.

In diesem Gebiet Polens arbeitet die polnische Suchgruppe Pomost (polnisch für: Das Podium, die Brücke) im Auftrag des Volksbundes, unterstützt durch den Referatsleiter Thomas Schock aus der Kasseler Zentrale. Die Suchexperten machten sich ans Werk und wurden schnell fündig: Nur etwa 40 Zentimeter unter der Oberfläche fanden sich die ersten Gebeine von mehreren Kriegstoten. Es handelte sich also tatsächlich um ein Massengrab, das in aller Eile, vermutlich unter dem Druck einer drohenden Seuchengefahr ausgehoben worden war.

Parallel zu den laufenden Exhumierungsarbeiten wurden auch die Gräber von zivilen Kriegstoten gesucht. Dazu zogen die Umbetter um Thomas Schock mit einem Mini-Bagger zahlreiche Sondierungsgraben, um die gesamte Bestattungsfläche lokalisieren und so sicherzustellen zu können, dass auch tatsächlich alle Gräber gefunden werden.

Thermometer zeigt noch immer 37,8 Grad

Bei den Exhumierungsarbeiten der Soldatengräber im linksseitigen Klostergarten wurden am Ende des Tages 14 Gefallene gefunden und aus ihren notdürftigen Einzelgräbern geborgen. Nach der nun anstehenden Identifizierungsphase, werden diese Kriegstoten schließlich auf der deutschen Kriegsgräberstätte Groß Nädlitz  (Nadolice Wielki) ein ewiges Ruherecht genießen. Sehr überraschend war dabei übrigens der Fund eines intakten Fieberthermometers, das noch immer die ursprünglich im Jahre 1944 gemessene Körpertemperatur von 37,8 Grad angezeigte. Zudem fanden sich auch zahlreiche Erkennungsmarken in den Notgräbern, die bei der oben erwähnten Identifizierungsphase wohl die entscheidenden Hinweise liefern werden.

Schnell verbreitete sich die Kunde von der Arbeit des Volksbund-Umbettungsdienstes auch unter den lokalen Medienvertretern, die darüber ausführlich berichteten. Für die Arbeit des Volksbundes ist dies nicht unwichtig, da es die Akzeptanz erhöht, wenn die staatlichen sowie privaten Besitzer von Gründstücken um Erlaubnis zur Gräbersuche gebeten werden.  

Am Ende blieb auch die Suche nach den zivilen Kriegstoten, die vermutlich Bombenopfer waren, nicht ergebnislos: Insgesamt 5 Bombenopfer wurden geborgen, deren Gebeine allerdings durch die enorme Druckeinwirkung der Bomben untrennbar vereint wurden. Auch sie waren in der Eile notdürftig in einer Grube verscharrt – und werden nun bald ein würdiges Grab erhalten.

Inzwischen hat Umbettungsleiter Thomas Schock bereits erste Hinweise zur möglichen Herkunft dieser Kriegstoten gesammelt: So spülte die große Dynamik und Tragik dieses Krieges estnische Freiwillige im Dienste der deutschen Streitkräfte in dieses Gebiet. Tatsächlich wurde – nach den willkürlichen Deportationen der Balten durch die Sowjetarmee –  die später einrückende deutsche Armee oftmals als Befreier begrüßt. Viele junge Esten und Letten meldeten sich anschließend freiwillig zum Dienst. Nur einen Wimpernschlag der Geschichte später ließen einige dieser Esten ihr Leben in Schlesien. Auch die in Berlin archivierten Dokumente des Bundesarchivs (ehemals: Deutsche Dienststelle) geben Hinweise, dass die in Neisse gefallenen Soldaten baltischer Herkunft sein könnten. Bestätigt ist dies allerdings noch nicht.

Thomas Schock