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„Du bist und bleibst mein Bruder“

Präsentation der Forschungsergebnisse zur Kriegsgräberstätte Runkel

„Krieg ist rücksichtslos und macht keinen Unterschied zwischen den Menschen“, zu dieser Erkenntnis kamen 22 Schülerinnen und Schüler der Runkeler Johann-Christian-Senckenberg-Schule bereits am Montag vergangener Woche, als sie sich in Vorbereitung auf die gestrige Veranstaltung erstmals mit der Kriegsgräberstätte auseinander setzten. Dass dieser Friedhof kein einfacher Gedenkort ist und es einen reflektierten Umgang mit der Geschichte und vor allem auch Informationen vor Ort brauche, darüber war man sich am Ende des Tages einig. Denn neben Zwangsarbeitskräften, den Kindern von Zwangsarbeiterinnen, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen sind auch Soldaten der Wehrmacht und der SS auf dem Friedhof am Kappesborder Berg bestattet.

Den Zugang zu einem solchen Ort zu erleichtern und zugleich das Gedenken an die Toten der zwei Weltkriege und die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft aufrecht zu erhalten, ist das Ziel des Forschungsprojekts zur historischen Aufarbeitung ausgewählter Kriegsgräberstätten in Hessen.

Seit vielen Jahren geht der Landesverband der Frage nach, wie Kriegsgräberstätten zu Lernorten für nachfolgende Generationen werden können und was getan werden kann, damit die Schicksale der dort bestatteten Kriegstoten dauerhaft in das persönliche und das kollektive Bewusstsein gerückt werden. Ausgewählte Kriegsgräberstätten in Hessen sollen systematisch erforscht und insbesondere für junge Menschen versteh- und erfahrbar gemacht werden.

Hierzu gehört auch die Kriegsgräberstätte in Runkel, die bereits vor fast 15 Jahren erstmals Forschungsgegenstand war. Die Ergebnisse der damaligen Recherche wurden auf einer Informationstafel dokumentiert und sind den Besucherinnen und Besuchern des Friedhofs seit 2004 zugänglich.

Neben der Überarbeitung dieser Tafel wurden nun in einem weiteren Schritt neun exemplarische Einzelbiographien – u.a. von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, deutschen und ausländischen Soldaten, aber auch einem zwei Monate alten Baby - rekonstruiert. Hinweise und Informationen fanden sich nicht nur in Archiven. Angehörige trugen durch ihre Bereitschaft, aus ihrer Familiengeschichte zu erzählen zum Ergebnis ebenso bei wie Personen, die sich aus lokalhistorischem Interesse bereits seit Jahrzehnten mit vereinzelten Schicksalen befassen und ihre Rechercheergebnisse zur Verfügung stellten.

Diese auf Einzelstelen dokumentierten Biographien sowie die überarbeitete Informationstafel wurden in der gestrigen Feierstunde gemeinsam mit der Stadt der Öffentlichkeit übergeben. In seiner Begrüßung anlässlich dieses „Höhepunkts in seinem Leben als Bürgermeister“ betonte Friedhelm Bender, dass Orte wie dieser und die Beschäftigung mit ihnen dazu mahnen, „alles zu tun, um nie wieder Krieg erleben zu müssen.“

Der Landesvorsitzende Karl Starzacher griff in seiner Rede nochmals die Herausforderung des Ortes als Gedenkort auf: „Wo SS-Männer neben KZ-Häftlingen begraben liegen, kann der Satz, im Tode seien alle gleich, keine Versöhnung stiften.“ Aber trotz allem verdeutlichten die Biographien in ihren Unterschieden „aus verschiedenen Perspektiven auch die Schrecken und die ideologisch motivierte Gewalt des nationalsozialistischen Regimes.“

Der Beitrag der Schülerinnen und Schüler der Johann-Christian-Senckenberg-Schule verdeutlichte dies. Sie stellten den Gästen nicht nur die Biographien vor, sondern präsentierten zugleich die von Ihnen erarbeiteten Ergebnisse des vorangegangenen Projekttages. Die Beschäftigung in Kleingruppen mit je einer Biographie beinhaltete auch die Reflexion des jeweiligen Schicksals in Form eines kreativen Schreibprozesses. So bekamen die jungen Leute ein Gespür dafür, was der Verlust von Angehörigen in Kriegszeiten mit den Hinterbliebenen macht, beispielsweise mit der Mutter des kleinen Waleri Doroschin. Sie setzten sich damit auseinander, wie wegweisende Entscheidungen, wie der Entschluss zur SS zu gehen, Menschen entfremden können. Sie verdeutlichen aber auch, dass es vielleicht nicht immer einfach ist, die Geschichte in schwarz und weiß zu betrachten und zu urteilen: „Du bist mir fremd geworden. Aber trotzdem, du bist und bleibst mein Bruder. Ich vermisse dich.“, formulierte die Gruppe um Saskia beispielsweise in einem fiktiven Brief des Bruders an den in Runkel bestatteten Felix Exner.

„Durch den Zugang über diese Einzelbiographien und eine Vertiefung mit weiterem Quellenmaterial soll Vergangenheit für junge Menschen greifbar gemacht werden. Zugleich soll ihnen der Raum gegeben werden negative gesellschaftliche Entwicklungen und Diskussionen zu reflektieren und auf ihr eigenes Verhalten und Handeln zu beziehen.“, so Karl Starzacher in seiner Rede. Die Rechercheergebnisse des Forschungsprojekts werden die Grundlage für die historisch-politische Bildungsarbeit des Landesverbandes  in der Region bilden. Schülerinnen und Schüler der Johann-Christian-Senckenberg-Schule werden sich im kommenden Schuljahr erneut mit dem Ort befassen. Dies ist insbesondere dem Engagement von Rektorin Isabelle Faust zu verdanken, die das Projekt begleitete und die Kriegsgräberstätte auch mit weiteren Gruppen als regionalgeschichtlichen Lernort nutzen möchte. Auch vor diesem Hintergrund hat die Schule – zunächst für ein Jahr – die Patenschaft für den Friedhof übernommen.

Nach den Kriegsgräberstätten Ludwigstein, Bad Emstal sowie dem Hauptfriedhof Kassel ist Runkel der vierte Standort mit Einzelstelen. Der Landesvorsitzende versprach: „Weitere Tafeln und Standorte werden folgen“.

Die Texte aller 9 Tafeln können hier nachgelesen werden.

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