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Homosexualität in den deutschen Truppen des Ersten Weltkriegs

Vortrag und Diskussion in Berlin

„Unter den Millionen Gefallener der Weltkriege waren Hunderttausende Homosexueller“ schätzt Dr. Fritz Felgentreu, Landesvorsitzender von Berlin im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Damit stellte er die Verbindung zum Veranstaltungsort, dem „Schwulen Museum“ in Berlin her. Im vollbesetzten Café des Schwulen Museums hatte sich am 3. November ein vorwiegend jüngeres Publikum versammelt.

Das Foto zeigt Dr. Dirk Reitz (links) und Dr. Fritz Felgentreu bei der Begrüßung.

An army is the horniest thing…

Einführend skizzierte Moderator, Dr. Dirk Reitz, anhand juristischer (§ 175 StGB), literarischer (Zögling Törless), sittengeschichtlicher und historischer Beispiele die Relevanz des Themas: von Achill und Patroklos über Friedrich und Katte bis zu den Affären und Skandalen des 20. Jahrhunderts: Fürst Eulenburg, Oberst Redl (1913), Generaloberst Frhr. v. Fritzsch (1938) und General Dr. Kiessling (1984). Mit dem Zitat „An army is the horniest thing one can imagine” von Martin van Creveld übergab Reitz an den Referenten.

Der Dresdner Militärhistoriker Dr. Sebastian Schaar, entwarf unter anderem aus den Selbstzeugnissen des homosexuellen Literaten Ludwig Renn (alias: Arnold Vieth von Golßenau) ein Sittengemälde des königlich sächsischen Offizierskorps, das auf die Korps anderer Kontingente und Armeen übertragbar sei. Zwischen Standesbewusstsein, Initiationsritualen und männerbündisch-erotischen Verquickungen, rangierte Homosexualität als ein – bisweilen von der Führung argwöhnisch überschätzter – Faktor im Beziehungsgeflecht des Korps.

Schaar (Foto oben) machte deutlich, wie unter den Bedingungen der strafrechtlichen Drohung des § 175 StGB das Phänomen nach innen und außen behandelt und gegebenenfalls sanktioniert wurde, wobei zudem das Verhältnis zu Unteroffizieren und Mannschaften eine gewisse Rolle spielte.

Frauen traten nur als Krankenschwestern oder im Feldbordell in Erscheinung

Doch blieben Offiziere auf diesem Felde meist unter sich. Unter den Bedingungen des Krieges gewann das mann-männliche Miteinander noch eine neue Dimension – in einer Welt, in der Frauen nur noch als Krankenschwestern oder im Feldbordell in Erscheinung traten.

Im Anschluss an den Vortrag entspann sich eine rege Diskussion, die nicht bei den historischen Aspekten des Ersten Weltkriegs Halt machte, sondern das Thema auf den Zweiten Weltkrieg, die Bundeswehr, andere Armeen, monastische Gemeinschaften oder die katholische Kirche erweiterte …

Bis zum „Kujat-Erlass“ des Jahres 2000 galten homosexuelle Handlungen unter Soldaten in der Bundeswehr als Dienstvergehen und erfuhren disziplinarrechtliche oder truppendienstgerichtliche Ahndung. Dies bot unter dem Gesichtspunkt der Rehabilitierung weiteren Gesprächsstoff. Das facettenreiche und spannende Thema bot noch viele Anknüpfungspunkte für informell-anregende Gespräche bis in die späten Abendstunden. 

Dr. Dirk Reitz

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Weiterführend:

SCHAAR, Sebastian: Wahrnehmungen des Weltkrieges – Selbstzeugnisse Königlich Sächsischer Offiziere 1914-1918 [=Zeitalter der Weltkriege Bd. 11], Paderborn 2014. 

Rezensiert in:  http://portal-militaergeschichte.de/reitz_zu_schar_wahrnehmungen

Schwules Museum: https://www.schwulesmuseum.de

GInsp-Erlass über die Sexualität in den Streitkräften