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„Ich glaube an die Freundschaft zwischen Polen und Deutschland“

Viel Applaus bei der Gedenkstunde im Bundestag für das Verhältnis der Nachbarn

Der Ausbau des deutsch-polnisches Verhältnisses, die europäische Integration und der mutige Kampf gegen rechtsradikale Hetze - das waren zentrale Themen bei der Gedenkstunde zum Volkstrauertag im Deutschen Bundestag. Prominente Gäste waren Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident a.D. Horst Köhler, Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Bundestags-Vize Wolfgang Kubicki (FDP) und Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), aktuell Vorsitzender des Bundesrats.

Im nahezu voll besetzten Plenarsaal warnte Volksbund-Präsident Wolfgang Schneiderhan in seiner Rede eindringlich vor den Ursachen von Krieg, vor Hass und Hetze. Mit Blick auf die Weimarer Republik, in der das deutsche Soldatentum heroisiert sowie Demokratie und Parlamentarismus geschmäht worden seien, sagte der Präsident: "Schon damals haben sich die rechtsextremen Populisten als Opfer geriert und waren in Wirklichkeit doch Täter. "Und die Mehrheitsgesellschaft ließ sie gewähren, bis aus der Splitterpartei NSDAP eine schlagkräftige und erfolgreiche Organisation geworden war."

 

Schneiderhan, der zuvor die zahlreichen polnischen Besucher im Reichstag begrüßt hatte, verwies auf die immens hohen polnischen Opferzahlen nach dem Angriff nationalsozialistischen Deutschlands: "Zwischen 60 und 70 Millionen Menschen haben in diesem Krieg ihr Leben verloren, unter ihnen rund sechs Millionen Polen. Das waren jeweils zur Hälfte Menschen jüdischen und Menschen christlichen Glaubens, die meisten waren Zivilisten."

In Polen habe sich die ganze Grausamkeit der Menschenverachtung der von der nationalsozialistischen Ideologie angetriebenen deutschen Kriegsmaschinerie gezeigt. Angesichts der Kriegsverbrechen sei es bemerkenswert, wie sich das deutsch-polnische Verhältnis entwickelt habe. "Dass uns von dieser geschundenen Nation nur 20 Jahre nach dem Krieg die Hand der Versöhnung entgegengestreckt wurde, ist der Ausdruck einer unermesslichen menschlichen Größe", sagte Schneiderhan. Dieses Versöhnungsangebot Polens sei "ein Geschenk", mit dem Deutschland "sorgsamst" umgehen müsse.

Die Botschaft, die vor dieser deutsch-polnischen Freundschaft zu sehen sei, müsse lauten: "Nie wieder Feindschaft! Nie wieder Krieg!" Präsident Schneiderhan führte weiter aus: Wir trauern um die Toten der Weltkriege, wir pflegen ihre Gräber. Wir wollen damit die Erinnerung an die Menschen wachhalten, die ihr Leben verloren haben. Aber wir wollen auch dazu beitragen, dass die Toten, derer wir hier gedenken, die letzten Kriegstoten in Europa bleiben."

Schneiderhan nahm die aktuelle politische Situation in den Blick. "Wir erleben in unserem Land gerade wieder, dass aus Hasspropaganda Hass und aus Hass Mord wird. Und wir lernen aus der Geschichte, dass wir nicht nur die Straftäter verurteilen, sondern den geistigen Brandstiftern mutig entgegentreten müssen."

Sein Fazit im Deutschen Bundestag: "Frieden und Freiheit brauchen Mut! Aber die Kriegsgräberstätten in Europa zeigen, wohin es führt, wenn uns dieser Mut verlässt."

Die anschließende Festrede hielt Rafał Dutkiewicz. Von 2002 bis 2018 war Dutkiewicz Bürgermeister der Stadt Breslau. Er erinnerte an die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges, die mit dem Überfall auf Polen begann. In den letzten Kriegswochen wurde Breslau zu fast 80 Prozent vernichtet. Von Februar bis Mai 1945 starben dort 170.000 Zivilisten.

Auch deshalb sei die Europäische Union die einzig mögliche Antwort des Kontinents auf die Tragödie des Zweiten Weltkrieges. Dutkiewicz blickte aber auch in die Zukunft: "Es gibt nichts Wichtigeres als die zwei Aufgaben, welche uns Europäern noch bevorstehen: Vertiefung der europäischen Integration - für den Frieden, Klimaschutz - für unsere Existenz."

Für das Fazit des Festredners, der aus Breslau stammt und derzeit in Berlin lebt, gab es im weiten Rund des Parlaments viel Applaus: "Ich glaube an die polnisch-deutsche Versöhnung. Ich glaube an die Freundschaft zwischen Polen und Deutschland, zwischen Polen und Deutschen. Das sage ich heute hier als polnischer Europäer, als ein Breslauer. Das sage ich heute hier als ein Berliner."

Zum hundertjährigen Bestehen des Volksbundes beleuchten außerdem vier Menschen aus drei Generationen die Facetten der Arbeit des Volksbundes.

Heinrich Pankuweit, 94 wurde 1944 eingezogen und kämpfte in Frankreich und Belgien. Sein älterer Bruder fiel bei einem Luftwaffeneinsatz über England. Im Bundestag erinnerte er sich an die Woche vor Kriegsbeginn, als Ende August 1939 durch das damalige Ostpreußen reiste. "Als wir durch den Polnischen Korridor fuhren, bewachten polnische Soldaten bereits die Weichselbrücken. Wie es diesen polnischen Soldaten ergangen sein mag? Eine Woche später marschierte die Wehrmacht in Polen ein. Und das war erst der Beginn eines Weltenbrandes.

Mein Bruder ruht mit britischen und deutschen Soldaten in der englischen Hafenstadt Hull, die oftmals Ziel deutscher Bomber war. Seit vielen Jahren besuche ich mit englischen Freunden sein Grab - und spreche mit ihm. Sein Schweigen ist eine Anklage gegen den Krieg, der ihm sein junges, hoffnungsvolles Leben raubte."

Mariusz Siemiątkowski, 39, Wissenschaftlicher Leiter der Jugendbegegnungs- und Bildungsstätte Golm auf Usedom, berichtete von dem Leben in zwei Ländern, das schon seine Familie prägte: "Meine ersten deutschen Wörter lernte ich von meinen Großmüttern. Später studierte ich Germanistik in Olsztyn. Als Freiwilliger kam ich zur Jugendbegegnungs- und Bildungsstätte Golm des Volksbundes auf Usedom. Der Golm ist ein Lernort der Geschichte. Wir sammeln die Erinnerungen von Zeitzeugen und vermitteln die leidvollen Geschichten dieser Menschen. Zugleich blicken wir auf gegenwärtige Konflikte.

Seit langem verfolge ich das Zusammenwachsen auf Usedom. Das Leben an und über diese offene Grenze hinweg ist besonders: Es entstehen viele Beziehungen auf beiden Seiten, beruflich wie privat. Heute besucht mein Sohn den Kindergarten in Ahlbeck. Ich hoffe, dass wir weiter gute Nachbarn bleiben werden."

Emiliya Schwarz, 20, geboren in Mikolajiw, Ukraine, ist Studentin und Workcamp-Leiterin. Sie leitete 2019 erstmals selbst ein Workcamp in Masuren. Jugendliche aus Polen, Russland, Deutschland und der Ukraine pflegten die entlegenen Waldfriedhöfe, lernten über die Geschichte der dort begrabenen Toten und die deutsch-polnische Geschichte.

"Junge und ältere Freiwillige aus Polen, Russland, der Ukraine und Deutschland kamen in Masuren zusammen - über Länder- und Altersgrenzen hinweg. Gemeinsam haben wir eine deutsche Kriegsgräberstätte gepflegt. Dort liegen deutsche und russische Soldaten des Ersten Weltkrieges. Der Krieg in Mitteleuropa scheint endlos weit weg - doch in der Ukraine ist Krieg. Wir fragten uns: Wie kann es sein, dass wir in diesen zwei Wochen gemeinsam Gutes bewirken, während sich unsere Heimatländer bekämpfen? Wie kann es sein, dass wir hier unter uns das Menschsein über die eigene Nationalität stellen können - während anderswo die Nationalität die Menschen im Krieg trennt?

Winfried Nachtwei, 73, deutscher Politiker (Bündnis 90/Die Grünen), engagiert sich in verschiedenen Gremien und Initiativen für zivile Konfliktprävention, internationale Zusammenarbeit und Erinnerungskultur. Er regte die Gründung des Internationalen Riga-Komitees an und begleitet es seit 2001. Nachtwei erinnerte sich an den Sommer 1989, als er mit seiner Frau in Riga auf Spuren der nationalsozialistischen Okkupation stieß: das ehemalige Ghetto, in das über 20.000 jüdische Menschen vor allem aus Deutschland deportiert worden waren, die Massengräber in den Wäldern von Rumbula und Bikernieki, wo zehntausende Juden aus Riga und Deutschland erschossen worden waren." Nachtwei weiter: "Auf den Massengräbern von Bikernieki, auf dem Meer an Soldatengräbern im niederländischen Ysselstein spürte ich mit den Jugendlichen, wie das unfassbare Leiden der fernen Anderen persönlich nahe kam und auf politisches Handeln drängte: Darum Europa! Darum bin auch ich Mitglied des Volksbundes geworden: Die Erinnerungs- und Versöhnungsarbeit des Volksbundes ist elementare Friedensarbeit nach vorne - und wo persönliche Kriegserinnerungen verblassen, notwendiger denn je."

Für die Musik konnten Chöre aus Deutschland und Polen gewonnen werden: der Adoramus-Kammerchor aus der Slubice und der Landesjugendchor Brandenburg. Sie sangen gemeinsam "Herr, wenn Trübsal da ist" von Gottfried August Homilius.

Das Bläsernonett des Musikkorps der Bundeswehr spielt die "Petite Symphonie pur vents".

Das polnische Totensignal "Spij Kolego" (Ruhe in Frieden, Kamerad) intonierte der Obergefreite Mateusz Rubaj vom Repräsentations-Regiment der Polnischen Streitkräfte. Das deutsche Totensignal "Lied vom Guten Kameraden" wurde von Oberfeldwebel Matthias Heßeler vom Musikkorps der Bundeswehr Siegburg gespielt.

Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier sprach am Ende der Veranstaltung das Totengedenken.

Harald John / Diane Tempel-Bornett / alle Fotos Uwe Zucchi

Vertieften die ohnehin gute Kooperation: Volksbund-Präsident Wolfgang Schneiderhan (Mitte) mit dem Generalsekretär des Österreichischen Schwarzen Kreuzes, Alexander Barthou (links), dem steirischen Landesgeschäftsführer Dieter Allesch und Ehefrauen (Foto: Harald John)

Musikalische Grenzüberschreitung: Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke beglückwünschte die Leiter des Adoramus-Kammerchores aus Slubice und des Landesjugendchores Brandenburg zur gelungenen Zusammenarbeit.