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In eigener Sache

Stellungnahme zu dem Artikel der Elbe-Jeetzel-Zeitung: „Wem gehören die Toten?“

Kriegsgräberfürsorge und Umbettungen in Gartow

Im September 2012 fanden in der Samtgemeinde Gartow insgesamt 13 Umbettungen von Kriegstoten statt, die von den Friedhöfen in Brünkendorf, Gartow, Lanze, Meetschow und Nienwalde auf die Kriegsgräberanlage in Gartow überführt wurden. Dazu erschien am 17. November 2012 in der Elbe-Jeetzel-Zeitung ein ganzseitiger Artikel, der vor allem die bedauerlichen Versäumnisse in der Kommunikation dieses Vorhabens gegenüber den mancherorts mit der Grabpflege betrauten Personen herausstellte. Unter der plakativen Überschrift „Wem gehören die Toten?“ wirft der Artikel darüber hinaus eine Reihe weiterer Fragen auf, die es dringend geboten erscheinen lassen, die Thematik der Kriegsgräberfürsorge einmal grundlegend zu erörtern.

Im Gegensatz zu den zivilen Gräbern in unserem Kulturkreis, die bereits nach einer Ruhezeit von 20 bis 30 Jahren eingeebnet werden können, sollen Kriegsgräber dauernd bestehen bleiben. Diese Regelung entspricht internationalem Recht, sie geht zurück auf die Genfer Konventionen. Diese bilden auch die Grundlage für die Arbeit des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.

Der Volksbund

Der Volksbund ist eine humanitäre Organisation, die im Interesse der Angehörigen von Kriegstoten Friedhöfe anlegt und pflegt und ihnen somit letzte Gewissheit und einen Ort der Trauer vermittelt. 1919 nach dem Ersten Weltkrieg gegründet, arbeitet der Volksbund seit 1952 auf der Grundlage bilateraler Kriegsgräberabkommen im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland vor allem im Ausland. Gegenwärtig unterhält er 825 Kriegsgräberstätten in 45 Staaten mit etwa 2,5 Millionen Kriegstoten. Seine Arbeit finanziert der Volksbund zu 75 Prozent aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden, der Rest sind Zuschüsse des Bundes, vor allem des Auswärtigen Amtes, und der Länder.

Diese Arbeit ist auch 67 Jahre nach Kriegsende noch keineswegs abgeschlossen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Mehr als eine Million Schicksale von deutschen Soldaten des Zweiten Weltkrieges sind bis heute ungeklärt. In der erdrückenden Mehrzahl der Fälle verlieren sich die Spuren dieser Menschen irgendwo in den Ländern Osteuropas. Der Volksbund arbeitet seit ziemlich genau 20 Jahren daran, diesen Umstand zu ändern: Am 16. Dezember 1992 schlossen die Bundesrepublik Deutschland und die Russische Föderation ein Kriegsgräberabkommen, weitere Abkommen mit anderen ost- und südosteuropäischen Ländern folgten. Seitdem hat der Volksbund in diesen Ländern nahezu 500 Friedhöfe neu angelegt bzw. instand gesetzt, darunter 55 zentrale Sammelfriedhöfe, auf die inzwischen fast 750.000 Umbettungen erfolgten. Allein in diesem Jahr hat der Volksbund rund 40.000 Umbettungen vorgenommen.

Das Gräbergesetz

In Deutschland sind die Bestimmungen des humanitären Völkerrechts bezüglich der Kriegsgräber in nationales Recht gefasst, und zwar in der Form eines Bundesgesetzes, des sogenannten Gräbergesetzes: „Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“. Diesem Gesetz zufolge sind nicht der Volksbund und auch nicht der örtliche Friedhofsträger, sondern grundsätzlich die Kommunen verantwortlich für die Unterhaltung und Pflege der Kriegsgräber im Inland. Sie erhalten dafür, vermittelt über die Bundesländer, eine jährliche staatliche Pflegepauschale in Höhe von derzeit 20,71 Euro pro Einzelgrab. Der Volksbund nimmt im Inland lediglich eine beratende Funktion wahr, dies allerdings durchaus im öffentlichen Auftrag: So bestimmt die „Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Gräbergesetz“ im Paragraph 5, Abs. 2, dass „vor der Anlegung, Ausgestaltung, Änderung und Erweiterung geschlossener Begräbnisstätten … der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. gehört werden“ soll – anknüpfend an seine Fachkompetenz als Gräberdienst.

Im Jahre 2005 hat der deutsche Bundestag das Gräbergesetz novelliert, unter anderem auch in dem in unserem Zusammenhang wichtigen Punkt der Zusammenlegung von Kriegsgräbern. War bis dahin die Umbettung von Kriegstoten mit Rücksicht auf die Wahrung der Totenruhe nur in besonderen Ausnahmesituationen genehmigungsfähig, so verhält es sich heute geradezu umgekehrt: Im Paragraph 6, Abs. 2, heißt es jetzt zur Verlegung von Gräbern, dass dieser insbesondere dann zuzustimmen sei, „wenn verstreut liegende Gräber in eine oder zu einer geschlossenen Begräbnisstätte zusammengelegt werden“. Beantragen muss eine solche Verlegung von Gräbern die Kommune, die Genehmigung erteilt das jeweilige Landesinnenministerium. Der Volksbund kann nur im Auftrag dieser beiden für eine fachgerechte Ausführung sorgen.

Was aber hat den Gesetzgeber zu dieser Novellierung veranlasst? Die damalige rot-grüne Bundesregierung führt dazu in der Begründung ihres Gesetzesentwurfs folgendes an: „Mit der Zusammenlegung von verstreut liegenden Gräbern soll der Würdigung des Totengedenkens Rechnung getragen werden. Zudem kann mit dieser Maßnahme der Instandsetzungs- und Pflegeaufwand verringert werden.“ Denn Tatsache ist, dass in den letzten 30 bis 40 Jahren immer mehr verstreute Einzelgrablagen verwahrlosten, weil die festgelegten staatlichen Mittel für eine ordnungsgemäße Erhaltung und Pflege dieser Gräber nicht ausreichen. Zuweilen sind solche Gräber aber auch ganz verschwunden, weil örtliche Friedhofsträger unter Verletzung der Rechtslage diese Gräber einebneten oder sogar überbetteten. So etwas ist auch in der Samtgemeinde Gartow passiert: In Gorleben sind vermutlich in den 1980er Jahren die beiden Grabsteine von zwei auf dem Friedhof bestattet gewesenen Kriegstoten an das örtliche Gefallenendenkmal verbracht worden. Als sie jetzt umgebettet werden sollten, war nicht mehr zu ermitteln, wo sich diese Gräber mal befunden haben. Sie sind weg, gestrichen aus der „Gräberliste für öffentlich gepflegte Gräber“.

Die Umbettungen in Gartow

Der Grund für die Umbettungsmaßnahme in der Samtgemeinde Gartow bestand also darin, den Bestand der verbliebenen Gräber dauerhaft zu sichern und den Toten eine würdige Grabstätte zu verschaffen. Denn eine solche hatten die Toten in ihren bisherigen Grablagen – unabhängig vom jeweiligen Pflegezustand – eigentlich nirgends: Ob in Gartow, Lanze, Meetschow oder Nienwalde, überall befanden sich diese Gräber in versteckten Ecken oder in äußerster Randlage dieser Friedhöfe. Insoweit es sich bei den Toten um sowjetische Kriegsgefangene oder polnische Zwangsarbeiter handelt, war diese Grablage Ausfluss nationalsozialistischer Rassenideologie. So heißt es im Oktober 1941 in einem Erlass des Reichsinnenministers Frick bezüglich der „Bestattung von Leichen sowjetischer Kriegsgefangener durch die Gemeinden“: „Auf Friedhöfen ist als Begräbnisort ein entlegener Teil zu wählen“.

Ob die neue Grablage würdiger als die alte ist, dies zu beurteilen liegt, sofern es sich bei den umzubettenden Kriegstoten um Ausländer handelt, jedoch nicht allein im Ermessen des Landesinnenministeriums. Denn eine Umbettung von ausländischen Kriegstoten greift über das bundesdeutsche Gräbergesetz hinaus. Gemäß den bilateralen Kriegsgräberabkommen sind solche Umbettungen ebenfalls durch die diplomatischen Vertretungen jener Staaten, aus denen die Toten stammten, bzw. durch deren Rechtsnachfolger zu genehmigen. Für Gartow hat dies zum Beispiel die Botschaft der Russischen Föderation getan, indem sie „dem von der Samtgemeinde Gartow vorgelegten Projekt bezüglich der Umbettung sowjetischer Kriegstoter und würdige Gestaltung der Gedenkanlage auf dem Ehrenhain in Gartow zugestimmt hat“.

Für den Volksbund war unter dem Aspekt der Gestaltung der Erinnerungs- und Gedenkkultur in Deutschland entscheidend für seine Zustimmung, dass die umgebetteten Kriegstoten aus ihren abseitigen, zum Teil bereits dem Vergessen anheim gefallenen Grablagen nun buchstäblich in die Mitte des Gedenkens geholt wurden. Denn auf der Kriegsgräberanlage in Gartow findet alljährlich die Veranstaltung zum Volkstrauertag statt, bei der aller Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft gedacht wird. Die konkreten historischen Umstände, die zum Tod dieser Menschen geführt haben, sollen damit keinesfalls verwischt werden. Dem Volksbund gilt schon lange als Ziel, wie es in seinen Leitsätzen heißt, „die Erinnerung in Deutschland so zu formulieren, dass eine angemessene Würdigung aller Opfer gelingt, ohne dass Verbrechen, Versagen und Verantwortlichkeiten verschwiegen werden“.

Zur würdigen Gestaltung der Kriegsgräberanlage, zur Würdigung der dort bestatteten Toten gehört deswegen auch differenzierte historische Information. Der Volksbund setzt sich nachdrücklich dafür ein, diese im Rahmen eines Schulprojekts zur historisch-politischen Bildung zu erarbeiten und möglichst in Form einer „Geschichts- und Erinnerungstafel“ auf der Kriegsgräberanlage anzubringen. Durch die Zusammenbettung der Kriegstoten in der Samtgemeinde Gartow ist ein solches Projekt erst praktikabel geworden. Auch darum war die Maßnahme trotz nachvollziehbarer Bedenken sinnvoll.

Jan Effinger