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Schatten auf der Sonneninsel

LV Thüringen organisierte Studienreise nach Kreta

Die Beziehung zwischen der griechischen Insel Kreta und dem Volksbund-Landesverband Thüringen hat eine lange Tradition. Gute Gründe dafür sind neben der offiziellen Patenschaft für die 1974 eingeweihte Kriegsgräberstätte Maleme vor allem die vielfältigen, teils widersprüchlichen Erfahrungen, die man dort sammeln kann. Es ist ein schöner Ort, eine Sonneninsel, auf der aber seit den Verbrechen des Zweiten Weltkrieges zugleich ein dunkler Schatten liegt. So wurde Kreta zu einem Brennpunkt der Volksbund-Bildungsarbeit. Seither gab es hier zahllose Besuche, Bundeswehr-Arbeitseinsätze und Workcamps. In diesem Jahr ging Bildungsreferent Sebastian Fehnl mit einer Gruppe Pädagogen auf die Reise.

Ende März 2018 – es war soweit, die lange geplante Studienreise für Lehrerinnen und Lehrer aus Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen stand auf dem Programm. Für mich (Bildungsreferent Sebastian Fehnl) war es mittlerweile die fünfte Reise nach Griechenland, genauer gesagt auf die Insel Kreta. Meist waren es Studienreisen, die mich dorthin führten.

Für die 31 Teilnehmenden ging es am 24. März bereits um 4:45 Uhr mit dem ersten Flieger von Frankfurt am Main nach Heraklion, in die Hauptstadt Kretas. Ein Reisebus brachte die Gruppe dann über die Schnellstraße nach Chania, dem eigentlichen Ziel unserer Reise. Vor uns lagen nun sieben intensive Tage mit dem Hauptziel, die Sensibilisierung für die mitunter sehr schwierigen Beziehungen zwischen Deutschland und Griechenland.

Im Hafen von Chania

Nach einer kurzen Erholungsphase vom Flug mit wenig Schlaf, ging es vom Hotel in die naheliegende katholische Kirche mit Seminarraum. Die Gruppe lernte nun die Partner vor Ort kennen. Die Historikerin Anja Zückmantel und der Künstler Konstantin Fischer stellten sich und ihre Ambitionen während der kommenden Tage vor. Ein Fachvortrag über die Beziehungen Deutschlands und Griechenlands von der Antike bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges, vorgestellt durch Frau Zückmantel, folgte. Der Abend endete mit einem ersten gemeinsamen Essen im Hafen von Chania.


Am Sonntag begann der Tag mit einer Stadtführung durch Chania. Das erste Mal stießen die Teilnehmenden direkt auf die Spuren der Eroberung Kretas durch die Wehrmacht im Frühjahr 1941. Die meisten der zerstörten Gebäude wurden bis heute wieder aufgebaut. Einige Trümmerfelder offenbarten aber zudem Spuren von Hochkulturen, die in Chania und Umgebung bereits vor mehreren tausend Jahren herrschten.

„Operation Merkur“ – und die Folgen

Am Nachmittag setze Frau Zückmantel ihren Vortrag fort und brachte den Teilnehmenden vor allem die Zeit zwischen 1914 und 1945 in Griechenland näher. Mit diesen neuen Kenntnissen über die zeitgeschichtlichen Ereignisse vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis Ende des Zweiten Weltkrieges aus griechischer Perspektive ausgestattet, fanden sich die Lehrkräfte am Montagmorgen auf einer Bergkuppe am Rande von Afrata wieder. Sean Johnston, ein ehemaliger Pilot der Royal Air Force, beeindruckte die Zuhörenden mit seinem Wissen über die „Operation Merkur“, die Eroberung Kretas durch die Wehrmacht. Dabei erklärte er sowohl die militärische Perspektiven, zwischen den Angreifern und den Verteidigern, die letztendlich zu solch hohen Verlusten bei den Neuseeländern, Australiern, Briten, Deutschen und eben auch bei den Griechen geführt haben.

Zudem besuchte er gemeinsam mit uns auch verschiedene Denkmale und wusste dazu von Einzelschicksalen zu berichten. Eine dieser Erzählungen handelte von A.C.I. Hess. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er auf Seiten der Deutschen auf den Schlachtfeldern Europas. Die Machtergreifung der Nazis zwang ihn, sein Heimatland als ehemaliger jüdischer Frontsoldat zu verlassen und nach Palästina zu emigrieren. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges meldete er sich wiederum freiwillig zum Kriegsdienst und kämpfte nun auf Seiten der Alliierten gegen die Wehrmacht. Sein Leben verlor er dann während der Kämpfe um Kreta im Mai 1941.

Die Besuche der beiden Kriegsgräberstätten in Maleme und in der Souda-Bucht (Alliierter Soldatenfriedhof) folgten. Einige der Teilnehmenden kannten bereits große Soldatenfriedhöfe unterschiedlichster Nationen vor allem durch Besuche in Frankreich. Die beiden Anlagen auf Kreta sahen jedoch noch einmal anders aus. Ich versuchte den Besuchern einen Einblick in die Geschichte der beiden Orte zu geben, wieso sie letztlich so gestaltet wurden und wie der Volksbund in der Bildungsarbeit mit dem Lernort Kriegsgräberstätte umgeht. Dazu griff ich unter anderem auf eine Rede Helmut Kohls, dem damaligen Deutschen Bundeskanzler, aus dem Jahr 1991 und einzelbiografischen Material von dort bestatteten Soldaten, zurück.

Parallel zu unserem Besuch auf der deutschen Kriegsgräberstätte erreichte eine italienische Reisegruppe diesen Ort und verweilte dort für etwa eine halbe Stunde. Das der Soldatenfriedhof in Maleme von so vielen Menschen unterschiedlichster Herkunft aufgesucht wird, liegt wohl auch an dessen Erwähnung in einigen Reiseführern für die Insel Kreta. Auf dem Friedhof der Alliierten in der Souda-Bucht mussten wir leider feststellen, dass Vandalismus und Diebstahl auch nicht vor Kriegsgräberstätten halt machen. Die Informationstafeln auf dem Friedhof, die die Umstände erklärten, warum es diesen Ort gibt, waren nicht mehr auffindbar.

Am Dienstag fuhren wir mit dem Bus von Chania Richtung Südküste, genauer gesagt nach Paleochora. Wir besichtigen auf diesem Weg die Märtyrerorte Kakopetros, Floria und Kandanos. Diese Orte waren 1941 im Rahmen der Verfolgung der alliierten Truppen durch die Wehrmacht Richtung Südküste zerstört worden, wobei sehr viele Zivilisten ums Leben kamen. Im Jahr 1944 wurden Sie ein zweites Mal zerstört, wobei es Massaker an der griechischen Zivilbevölkerung gab. Heute erinnern in allen drei Orten sehr unterschiedliche Gedenksteine an die Ereignisse von vor über 70 Jahren.

Am „merkwürdigsten“ empfanden die Teilnehmenden die Darstellung der Geschehnisse während der Besatzung Kretas in Floria. Die Hauptstraße trennt die beiden Gedenkorte. Ist das griechische Denkmal geprägt von vielen verschiedenen Daten, an denen Kreter ums Leben kamen (u.a. 1941 und 1944), so stilisiert das Denkmal auf der gegenüberliegenden Seite den heroischen Tod der Soldaten der Wehrmacht. Auf dem restaurierten Denkmal kann man stürmende Wehrmachtssoldaten mit Handgranaten entdecken. Die Aufschrift „Gefallen für Großdeutschland“ wirkt besonders an diesem Ort unpassend, vor allem mit der Information, dass es sich um eine zu Beginn der 1990er Jahre restaurierte Gedenkstätte handelt.

Zwischen Gastfreundschaft und Konfrontation

In Kandanos angekommen, empfing uns der stellvertretene Bürgermeister des Ortes und führte uns durch das Rathaus. Dort sahen wir historische Aufnahmen über die Verbrechen der Wehrmacht, die vor Ort an der griechischen Zivilbevölkerung begangen wurden. Er erwähnte aber auch, dass die Beziehungen zwischen Deutschland und Griechenland aktuell so gut wie seit langem nicht mehr sind. Es ist diese immer wiederkehrende Situation, zwischen einer sehr herzlichen Gastfreundschaft der Griechen auf der einen und der Konfrontation mit den Verbrechen der Wehrmacht zwischen 1941 bis 1945 auf der anderen Seite, welche die Gruppe sehr nachdenklich werden ließ.

Am Mittwoch führte es auch mich das erste Mal in das nautische Museum in Chania. Nach einer englischsprachigen Führung hatten alle Studienreisenden noch einmal die Gelegenheit, sich selbst ein Bild von den dargestellten Dokumenten und Ausstellungstücken zu machen. Mein Blick wanderte in den letzten Raum, welcher sich mit der Besetzung Kretas durch die Wehrmacht auseinandersetzte. Neben Relikten dieser Zeit, konnte man auch ein Modell eines Bauvorhabens „bestaunen“, welches 1991 beschlossen wurde. Es handelt sich um eine größere Anlage, eine Gedenkstätte, welche an die Schlacht um Kreta erinnern soll, mit Workshop-Räumen und vielem mehr. Mein erster Gedanke war: Wenn dieser Ort genau zwischen Chania und dem Friedhof in Maleme liegt, genauer gesagt bei Galatas, wieso haben wir das nicht in unser Programm aufgenommen? Aber ich wurde schnell darüber informiert, dass der Bau nicht beendet wurde. Für eine zukünftige Reise nach Kreta gilt es für mich zu klären, woran es lag, dass dieses gemeinsame Projekt der ehemaligen Kriegsgegner nicht umgesetzt werden konnte.

Blick auf den Bürgerkrieg

Im Seminarraum der katholischen Kirche von Chania angekommen, berichtete Frau Zückmantel von den wirtschaftlichen Folgen der deutschen Besatzung in Griechenland. Es wurde dadurch Licht ins Dunkel der Begriffe „EU-Finanzkrise“, „Reparationsforderungen“ und „Zwangskredit“ gebracht. Am Nachmittag traf noch Prof. Margaritis aus Thessaloniki ein. Er stellte uns die aktuelle wissenschaftliche Aufarbeitung der Situation in Griechenland nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bis heute dar. Gerade der Blick auf die Zeit des griechischen Bürgerkrieges zwischen 1946 und 1949 war für die meisten Teilnehmenden inhaltlich gesehen „absolutes Neuland“.

Mit all den gesammelten Eindrücken ging es am Donnerstag in die deutsch-griechische Austauschrunde für mögliche bi-nationale Schulaustauschprojekte. Spontan erhielten wir die Möglichkeit, unser Treffen in einer zentral gelegenen Schule in Chania abzuhalten. Insgesamt 60 Lehrkräfte beider Länder erhielten einen Einblick in die jeweils andere Bildungslandschaft bis hin zu Informationen über finanzielln Fördermöglichkeiten. Anschließend konnten wir die Schule besser kennen lernen und erste mögliche Kooperationsideen auszutauschen. Intensiviert wurden diese Gespräche dann beim gemeinsamen Mittagessen.

„Flowers Fade Early“

Am Nachmittag galt es, Eindrücke vom Abend zuvor zur Sprache zu bringen. Einen sehr emotionalen Einblick in die Aufarbeitung der Besatzungszeit von 1941 bis 1945 erhielten einige unserer Teilnehmenden am Mittwochabend. Sie entschieden sich spontan, eine Filmvorführung mit dem Titel „Flowers Fade Early“ zu besuchen. Erwartet wurde eine überschaubare Gruppe von Besuchern, die sich diesem auch inhaltlich sehr schwierigen Thema widmen wollten. Der Kinosaal war jedoch mit über 400 Gästen mehr als ausgebucht, so dass einige Interessierte auch stehen mussten. Was die Gäste dann erlebten, ist sehr schwer in Worte zu fassen. Der Film behandelte die Verbrechen der Wehrmacht im Dorf Kakopetros, eben jener Ort, welchen wir einige Tage zuvor besucht hatten und vor diesem Mahnmal stehend Informationen über das Massaker 1944 erhielten.

Nun waren also auch Zeitzeugen und Angehörige der damaligen Opfer unten den Zuschauern. Eine bedrückende und aufwühlende Situation für die kleine Gruppe von deutschen Gästen. Wir tauschten uns aus und sprachen über Möglichkeiten, diesen Film auch in Deutschland zeigen zu können, wenn es a) die Filmemacher so befürworten würden und b) eine Produktion mit deutschen Untertiteln möglich wäre. Der aktuelle Stand der Gespräche lässt die Vermutung zu, dass wir diese Filmvorführung auch zeitnah in ausgewählten deutschen Städten umsetzen können.

Der Freitag begann mit der Feedbackrunde. Was lief gut, wo gibt es Verbesserungsmöglichkeiten? Grundlegend konnte man festhalten, dass die Studienreise gelungen war. Die Teilnehmenden gaben an, dass Ihre Erwartungen hinsichtlich der Vertiefung der deutsch-griechischen Beziehungen, dem Finden von neuen Schulaustauschpartnern und weiteren praktischen Ideen für die eigene Unterrichtsgestaltung erfüllt wurden. Ausdrücklich gedankt wurde den beiden Ansprechpartnern vor Ort, Frau Zückmantel und Herrn Fischer für deren Unterstützung.

Den Nachmittag konnte jeder Teilnehmende dann selbst gestalten, bevor es am Abend eine Führung durch die Synagoge in Chania gab. Anschließend nahm unsere Gruppe am Sederabend teil, was für die Meisten von uns auch eine völlig neue Erfahrung war.
Vielen Dank an alle Studienreisenden für diese äußerst erlebnisreichen sieben Tage.

Sebastian Fehnl

(Bildungsreferent Volksbund-Landesverband Thüringen)