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Sterben in Zeiten von Covid-19

Ein Gespräch über Abschiedskulturen zwischen Religionen und Professionen

Ein ungewöhnlicher Ort, ein besondere Format und ein aktuelles Thema: Im Museum für Sepulkralkultur diskutieren Fachleute verschiedener Professionen und Religionen über "Sterben in Zeiten von Covid-19". Die Veranstaltung wird gestreamt.

Das Jahr 2020 wird in die Geschichtsbücher eingehen. Ein Virus stellt alles auf den Kopf. Die Covid-19-Pandemie hat das Leben vieler Menschen grundlegend verändert. Und das Sterben.

Selbst wenn die Todeszahlen in der Bundesrepublik im Vergleich zu anderen europäischen Ländern vergleichsweise niedrig sind - alte, schwer kranke und sterbende Menschen, vor allem in Einrichtungen der Alten- und Krankenpflege sind in besonders einschneidender Form betroffen. Kontaktsperren und physische Distanz - welche Folgen hat das für sie und ihre Angehörigen? Für die Mitarbeitenden in diesen Einrichtungen? Gibt es überhaupt Möglichkeiten des angemessenen Umgangs damit?

Darüber diskutierten im Kasseler Museum für Sepulkralkultur die muslimische Theologin und Jun-Prof. Dr. Muna Tartari, die Generalsekretärin des Volksbundes, Daniela Schily, der Sozialethiker und kath. Theologe Prof. Dr. Andreas Lüdepohl und der Gerontologe Prof. Dr. Andreas Kruse. Dr. Dirk Pörschmann vom Zentralinstitut und Museum für Sepulkralkultur moderierte das Gespräch.

Eine böse Ironie des Schicksals

Daniela Schily erläuterte den besonderen Berührungspunkt der Arbeit des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge mit diesem Thema. Die allermeisten Toten der Kriege, Zivilisten, aber vor allem Soldaten mussten alleine sterben. Ihnen war der letzte Trost, die Begleitung eines vertrauten Menschen verwehrt. Schily: „Es ist eine böse Ironie des Schicksals, dass die damals jungen Menschen, die ihre Angehörigen einsam sterben lassen mussten, jetzt wegen der Pandemie diese Erfahrung selbst machen müssen. Viele Menschen in Krankenhäusern, Hospizen und Heimen müssen die letzten Schritte ihres Lebensweges alleine gehen.“

„Über die Hälfte der Verstorbenen in der Bundesrepublik starben im Heim oder im Krankenhaus“, erklärte Lob-Hüdepohl. „Doch wie starben sie? Über die psychosoziale und spirituelle Situation sagen die Zahlen nichts, aber das muss uns als Gesellschaft und Religionsgemeinschaft beschäftigen. Wie geht es denen, die ihre Angehörigen nicht begleiten konnten? Und warum – trifft es gerade mich und meine Familie? Wie versuchen Pflegerinnen und Pfleger der Situation gerecht zu werden? Wie sieht der angemessene Umgang aus?“ Moderator Dr. Pörschmann fasste zusammen: „Die gewohnten Rituale des Abschiednehmens sind nicht mehr möglich“.

Alleine sterben heißt nicht abschließen können

Prof. Dr. Muna Tartari erläuterte einige islamische Bestattungsriten. Der Tote soll würdevoll aussehen, er wird gewaschen, parfümiert und in Pilgergewänder gekleidet. So soll er Gott entgegentreten. Die Totenwaschung sei auch ein sinnlicher Akt, denn so begreife der Angehörige regelrecht, dass der geliebte Mensch tot ist.

Der Mensch ist ein Trostwesen

Prof. Dr. Andreas Kruse wies auf die Bedeutsamkeit der letzten Lebensphase hin. In dieser Phase blicke man auf sein Leben zurück, sie sei die Abrundung der Biografie und eine Vorbereitung auf einen Übergang. Dies gelte für körperlich Erkrankte, doch auch für Demenzkranke. „Gerade sie“, so Kruse, „haben häufig in ihren letzten Lebenstagen plötzlich luzide (lichte) Momente, sie erkennen beispielsweise ihre Angehörigen. Am Lebensende geschieht viel in den Menschen – und durch die Einsamkeit fällt die Resonanzmöglichkeit weg. Alleine zu sterben, das bedeutet nicht abschließen zu können. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das seine Toten begräbt. Der Mensch ist ein Trostwesen. Und deshalb spielen sich in vielen Ecken der Welt gerade Tragödien ab“.

Lob-Hüdepohl beschrieb auch die Letzte Ölung, üblich im Katholizismus als Symbol der Leiblichkeit. Die Berührung sei ein seelischer und geistiger Akt. Daniela Schily fragte: „Doch was passiert mit uns, wenn wir gar keine Gewissheit haben? Welche Auswirkungen hat das?“ Sie berichtete von alten Menschen, die vom Volksbund wissen möchten, was aus ihren Angehörigen geworden ist, die im Krieg geblieben sind. Wenn sie es erfahren, sind sie häufig beruhigt. So erfuhr ein neunzigjähriger Sohn kürzlich, wo sein Vater bestattet ist und sagte, nun könne er in Ruhe sterben.

Kruse zitierte die Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross, dass mit der Begleitung eines Sterbenden die Trauerarbeit beginne. Daniela Schily wünschte abschließend mehr Mut: „Wir reden immer davon, was alles nicht mehr möglich ist. Wir sollten überlegen, was noch möglich ist – und das tun: Beziehungen pflegen, so gut wie es eben möglich ist“.

 

 

Besonderer Ort, besonderes Thema,besonderes Format

Die Diskussion wurde live gestreamt. Das Gespräch kann weiterhin über den Facebook-Kanal des Volksbundes abgerufen werden. www.facebook.com/watch/