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Was bedeutet das Jahr 1918 für Jugendliche heute?

Eindrücke von der Auftaktveranstaltung von Youth for peace

Ist eine gemeinsame Erinnerungskultur möglich? Wenn ja – ist sie wünschenswert? Kann damit der Frieden in Europa gesichert werden? Mit diesen Fragen beschäftigten sich über 500 Jugendliche aus ganz Europa, Nordafrika und dem Nahen Osten sowie etliche geladene Gäste aus Politik und Kultur bei der Auftaktveranstaltung von Youth for peace und EUSTORY Summit am 14.11. in den Berliner Bolle-Festsälen.

Staatssekretär Andreas Michaelis, der Außenminister Heiko Maas vertrat, sprach über den besonderen Jahrestag 2018: „1918 markierte das Ende des ersten globalisierten, industrialisierten Massenkrieges, bei dem über 17 Millionen Menschen ihr Leben verloren. Man dachte, dies wäre der Krieg, der die Menschen zum Umdenken verlassen würde: „the war, who end all wars“, doch erst der Zweite Weltkrieg in seiner ganzen Grausamkeit führte Europa zum Umdenken. Und auch dies wäre ohne Frankreichs Versöhnungsbereitschaft nicht möglich gewesen.“

1918 bedeute für jede Nation etwas anderes, erklärte Michaelis weiter, gesellschaftliche Umwälzungen, neue Grenzen. An die Jugendlichen appellierte er dringlich: „Die Zukunft ist Ihr Thema. Überlassen Sie es nicht alten Männern mit zu langen Krawatten!“

Mit zwanzig Partnern führt Youth for peace die internationale Jugendbegegnung zum 100. Jahrestag des Endes des Ersten Weltkrieges durch. Ein Ziel ist die Erarbeitung eines transnationalen Gedenkens.

Béatrice Angrand, Generalsekretärin des FGYO, des Deutsch-Französischen Jugendwerkes betonte das Besondere daran, dass in diesem Jahr Deutschland und Frankreich gemeinsam am 11. November des Ende des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren gedachten.

Wir wollen nicht, dass Geschichte als Waffe benutzt wird

Die Botschafterin der Republik Frankreich in der Bundesrepublik, Anne-Marie Descotes wies darauf hin, dass die Geschichte jeweils ganz unterschiedlich in die Politik eingebunden sei. Thomas Paulsen aus dem Vorstand der Körber-Stiftung erklärte: „Wir haben Geschichte stark in das Zentrum unserer Arbeit gestellt. Wir wollen mit unseren Projekten entgegen wirken, dass Geschichte als Waffe benutzt wird.“  Auf die Frage, was den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge jetzt schon hundert Jahre am Leben erhalte, antwortete Volksbund-Generalsekretärin  Daniela Schily: „Die Erinnerung. Sie ist ein Instrument, das man nutzen muss. Und die Jugendarbeit, die wir seit den frühen 50er Jahren machen. Auf unserer Kriegsgräberstätte Ysselsteyn stehen Sie vor 30.000 Gräbern von Leuten, von denen die meisten in Ihrem Alter waren, als sie starben. Sie hatten keine Chance, etwas zu verändern!“

In ihrem Impulsvortrag berichtete die britische Journalistin Afua Hirsch von der Geschichte ihrer Familie und wie dies auf ihr jetziges Leben wirkt. Väterlicherseits mit deutsch-jüdischen Wurzeln, mütterlicherseits mit afrikanischen Wurzeln hat sie sich viel mit dem Thema Identität und Geschichte beschäftigt. Sie erzählte, wie entsetzt ihre Familie von dem neuen Nationalismus in Europa sei und dass sie, sobald sie als Journalistin eine kritische Anmerkung zur britischen Politik macht, Hassmails bekommt – mit dem Hinweis, sie könne ja gehen, wenn ihr was nicht passen würde.

Ich erzähle Geschichten, die ich erlebt habe

Auf dem Podium diskutierten Jean-Marc Ayrault, früherer französischer Premierminister und Spezialist für deutsch-französische Beziehungen, Afua Hirsch, Anete Kalnina, Gewinnerin eines Geschichtswettbewerbs, der Historiker Sönke Neitzel, als jüngster Teilnehmer Julius Niewisch, Friedensbotschafter des Deutsch-Französischen Instituts und Jasmila Zbanic, preisgekrönte Regisseurin aus Bosnien. Letztere kritisierte, dass alle über Geschichten reden würden, die sie selbst gar nicht selbst erlebt hätten. „Wir hören hier Geschichten. Aber ich erzähle Geschichten aus dem Krieg, die ich erlebt habe. Sarajevo war dreieinhalb Jahre besetzt. Unsere Eltern hatten nichts zu essen für uns. Wir hatten kein Wasser, keinen Strom. Wir konnten nicht raus, weil sekündlich Bomben fielen.“ Sie erklärte zur Frage nach einer gemeinsamen Erinnerungskultur: „Europa ist schrecklich nationalistisch. Wie wäre es, wenn wir als Gemeinsamkeit die Geschichte von Frauen in den Kriegen erzählen würden, die Opfer von Grausamkeiten wurden? Das sind keine Heldengeschichten, aber wirkliche Geschichten. Meine Rolle ist es, Geschichten über Menschen mit der Kamera zu zeigen, nicht erzählte Geschichten“. Und zum Bezug zur Gegenwart ergänzte sie: „Wie wäre es denn, über wirklich wichtige Dinge zu sprechen? Die globale Erderwärmung zum Beispiel. Da ist es dann tatsächlich nicht wichtig, wo wir herkommen!“

Wir Europäer sind nicht friedlich

Sönke Neitzel erklärte zur europäischen Geschichte: „Wir müssen akzeptieren, dass wir als Europäer an Kriegen beteiligt sind. Wir denken immer, wir wären so friedlich. Sind wir aber nicht. Und wir müssen akzeptieren, dass es Menschen auf der ganzen Welt gibt, für die Krieg ein Mittel der Politik ist, das sie einsetzen und nutzen.“

Zum Thema des Blickwinkels auf die Geschichte ergänzte die bosnische Regisseurin Jasmila Zbanic: „Es gibt immer zwei Seiten, von der ich die Kamera auf die Geschichte halten kann. Sage ich: „Deutschland verdient viel Geld mit dem Verkauf von Waffen. Deutschland nimmt Flüchtlinge aus Syrien auf. Oder sage ich: Menschen flüchten aus Syrien, weil ihre Kinder mit Waffen aus Deutschland getötet werden.“

Die Moderatorin Almut Möller hatte die schwierige Aufgabe, die lebhafte Diskussion zusammenzufassen und ein Schlusswort finden. Sie zitierte Clemenceau, der 1918 gesagt habe: „Wir haben den Krieg gewonnen. Aber jetzt müssen wir den Frieden gewinnen. Und das ist viel schwerer.“

Diane Tempel