Noch liegt der größte Teil des Aufstiegs vor ihnen: die Gruppe des Workcamps auf dem Weg zum Krn (Gipfel ganz rechts), den sie halb umrunden wird an diesem Tag. Großartige Kulisse, Sonnenschein und herrliche Natur sind ein wohltuender Gegensatz zum bedrückenden Thema Erster Weltkrieg. (© Christiane Deuse)
Auf dem „Weg des Friedens“: mit schwerem Gepäck steil bergauf
Workcamp für Erwachsene in Slowenien und Italien – neues Format findet großen Anklang
Leicht war ihr Gepäck und gleichzeitig schwer, als sich die 19-köpfige Gruppe auf den Weg machte zu ihrer ersten Etappe auf dem „Walk of Peace“, dem „Weg des Friedens” in Slowenien. Spuren des Ersten Weltkrieges folgte sie bei einem der ersten Volksbund-Workcamps für Erwachsene. In den Rucksäcken Verpflegung, Sonnencreme, Regenjacken, in den Köpfen verstörende Bilder aus dem Museum Kobarid und eine Stimme.
„Wir schlafen in einer Kaverne, wir leiden unter der Kälte wegen der unaufhörlichen Schneestürme (…) Besonders am Abend packt mich das Heimweh. Ich hoffe und träume mit offenen Augen. Das sind schreckliche Gefühle. Dann zerrinnen die Träume. Im Nu ist man wieder Soldat und sieht die Berge, die Flüsse und hört wieder das Donnern der Geschütze…“ – Worte eines italienischen Soldaten.
Ein Tisch im Halbdunkel
Im Museum Kobarid ist eine Kaverne nachgebaut: Man sieht den Soldaten im Halbdunkel am Tisch sitzen. Eine Stimme liest vor, was er an seine Eltern schreibt. Ob er die Isonzo-Schlachten überlebt hat, die in dieser so malerischen Landschaft zweieinhalb Jahre tobten, weiß die Gruppe nicht, als sie sich auf den Weg macht.
Dicht hinter dem kleinen Ort marschiert sie auf der „Napoleon-Brücke“ über die türkisblaue Soča, die auf italienisch Isonzo heißt, und biegt kurz darauf auf einen kleinen Pfad in den Wald ab. Die Frauen und Männer aus Deutschland, der Slowakei, Polen und Slowenien, die mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. hier sind, kennen dieses bittere Kapitel des Ersten Weltkrieges. Am Vortag haben sie das Museum besucht.
Kriegserklärung im Mai 1915
Sie wissen, dass Italien am 23. Mai 1915 seine Neutralität aufgegeben, Österreich-Ungarn den Krieg erklärt und Truppen den Isonzo hoch nach Norden geschickt hatte. Bei Kobarid – wie an anderen Orten – hatte sich die k.u.k.-Armee ins Hochgebirge zurückgezogen. Ein erbitterter Stellungskrieg hatte begonnen.
Rund 1.000 Höhenmeter bergauf
Die Gruppe hat den „Weg des Friedens” erreicht. Von nun an geht es fast stetig bergauf. Rund 1.000 Höhenmeter wird sie am Ende geschafft haben auf einem Pfad bis halb auf den Krn. Mit 2.244 Metern ist es der höchste Berg der Region. Ihn hatten die italienischen Truppen 1915 nur drei Wochen nach ihrem Vorstoß erobert, schnell und fast ohne Verluste. Weitere Gipfel und Höhenzüge bleiben zweieinhalb Jahre lang umkämpft.
Elf Versuche, die österreichisch-ungarischen Linien zu durchbrechen, scheiterten. Am Ende stand die zwölfte Isonzo-Schlacht, das „Wunder von Karfreit“ (deutsch für Kobarid), in der die Truppen der k.u.k.-Monarchie die Italiener mit Hilfe von sieben deutschen Divisionen bis über die Piave zurückdrängten. Mehr als eine Million Tote, Verwundete und Vermisste waren die Bilanz, rund 300.000 verloren ihre Leben.
Bis zu 48 Kilo Gepäck
Die Italiener trugen bis zu 40 Kilo Gepäck, bei der österreichisch-ungarischen Armee waren es bis zu 48 Kilo, erklärt Leon Četrtič. Er arbeitet bei der Stiftung „Wege des Friedens im Soča-Tal“ („Fundacija Poti miru v Posočju“), dem Kooperationspartner des Volksbundes in Kobarid.
Bei idealem Wanderwetter mit angenehmen Temperaturen und Sonnenschein führt er durch den dichten Mischwald bergan und weist auf Spuren, die der Erste, aber auch der Zweite Weltkrieg hier hinterlassen haben. Die Bäume sind jung: Bis in die 1960er Jahre blieben die Hänge kahl, alles Holz war im Krieg oder danach zum Heizen und den Wiederaufbau verbraucht worden. Was Leon Četrtič zeigt und erklärt, lässt die Bilder aus dem Museum wieder wach werden.
Granaten und Gewehre als Zierde
Zu Ende ist der Aufstieg an diesem Tag an der „Kapelle auf der Planica”, auf 1.200 Metern Höhe. Erbaut zum Gedenken an die gefallenen italienischen Soldaten, ist die Fassade mit stilisierten Granaten und Gewehren verziert. Worte eines Psalms stehen über dem Eingang: „Trösterin der Betrübten”. Nicht weit von hier befand sich ein Versorgungslager der italienischen Armee, auch an diesem steilen Berghang forderte der Krieg viele Tote.
Auf dem kleinen Plateau versammeln sie sich, verschnaufen, nehmen Gespräche wieder auf: Der 19-Jährige Fran aus der Slowakei, ist über Instagram auf den Volksbund aufmerksam geworden war. Er ist der jüngste der Gruppe. Manuela aus Deutschland ist mit 44 Jahren die Älteste. Als junge Frau hat sie eine Zeitlang jährlich an Volksbund-Workcamps teilgenommen, hat sich auch als Teamerin engagiert. Jetzt, nach Familienpause und Jahren im Ausland hat sie den Volksbund wiederentdeckt, und begrüßt dieses neue Format für Erwachsene sehr.
Frieden braucht Wissen
Sie ist überzeugt: „Die Volksbund-Arbeit wird immer wichtiger – auch weil immer weniger Zeitzeugen da sind. Workcamps liefern Hintergrundwissen und bieten Kontakte auch zu Einheimischen. Ich bin sicher: What you know, you usually don’t fight.” (Was Du kennst, bekämpfst Du normalerweise nicht) – Frieden braucht Wissen, könnte der Umkehrschluss sein.
Antonina aus Deutschland bringt es auf den Punkt nach dieser ersten anstrengenden Etappe: „Der Weg des Friedens ist kein leichter”. Auch die 38-Jährige hat viel Volksbund-Erfahrung und hofft auf weitere Angebote dieser Art. Madeleine schließlich ist 33 und lernt den Volksbund gerade erst kennen. Sie sagt: „Ich finde es wichtig, sich mit dem Ersten Weltkrieg auseinanderzusetzen, bin aber froh, dass er nicht jeden Tag Thema ist.”
Zurück ins Tal und in die Gegenwart
Die letzten beiden von 13 Kilometern führen bergab und enden an der Almhütte in Planina Kuhinja. Dort belohnt sich die Gruppe mit kalten Getränken, Deftigem oder Süßem aus der slowenischen Küche. Mit einem Kleinbus oder auch zu Fuß kehren die Wanderer ins Tal und in die Gegenwart zurück. Am Abend gibts ein Resumee, fragt Campleiter Uli Creydt nach den Eindrücken. Gemeinsames Verarbeiten kann wichtig sein an dieser Stelle, kann helfen.
„Ich fand das Museum sehr schockierend. Beim Aufstieg in die Berge hatte ich dauernd die Frage im Kopf: Warum beginnen Menschen solche Kriege?”, meint Dilara (32) aus Deutschland. Unterwegs schon hatte sie zu Dominic Lagoski, dem Co-Campleiter, gesagt: „Wir erleben heute, dass Krieg nur einen Wimpernschlag entfernt ist, das ist so erschreckend. Eine tolle Arbeit, die Ihr hier macht!”. Für sie ist das Camp eine Premiere.
„Jeder Mensch sollte regelmäßig solche Museen besuchen oder sich mit diesen Themen auseinander setzen”, ist das Fazit von Madeleine, „sollte sehen, wie viel Leid und Tod Kriege schon verursacht haben. Das ist keine abstrakte Geschichte. Hinter jedem der 300.000 Opfer der Isonzo-Front steht eine individuelle Geschichte.”
Auf dem Wasser, in der Luft
Noch eine zweite Etappe auf dem „Weg des Friedens” steht in Kobarid auf dem Programm, doch am nächsten Tag ist erstmal Freizeit angesagt: Vormittags gehts ins Käsemuseum und nachmittags wahlweise in die Luft oder aufs Wasser. Manche wagen sich beim Rafting in Schlauchbooten auf die Soča, andere bem Tandemsprung mit Gleitschirm sogar weit in den Himmel. Wieder andere leihen sich Mountainbikes oder schnüren wieder die Wanderstiefel und genießen die Gegend, die für Touristen so attraktiv ist.
Die Spuren der Geschichte wird die Gruppe aber nicht aus den Augen lassen. Sie wird ein italienisches und ein deutsches Beinhaus besuchen, in denen Gefallene bestattet sind, und eins der zahlreichen Freilichtmuseen in der Region mit historischem Bezug.
Das italienische Beinhaus wurde 1938 vom italienischen Diktator Benito Mussolini eingeweiht. Ironie der Geschichte: 1917 flohen die Italiener aus Kobarid, nach dem Ende des Ersten Weltkrieges kehrten sie zurück und errichteten ein rigides Regime. Verboten waren unter anderem Slowenisch als Sprache etwa in den Schulen und slowenische Vornamen für neugeborene Kinder. © Christiane Deuse
Ein Kranz für die Verstorbenen
Geplant war auch ein Arbeitseinsatz in Tolmin an Kriegsgräbern, doch die Anlage ist schlicht zu gut gepflegt. Eine kleine Gedenkveranstaltung mit Kranzniederlegung wird dort trotzdem stattfinden.
Dann wird das Volksbund-Camp das Quartiert wechseln und im italienischen Triest seinen Abschluss finden: mit einer dritten Etappe auf dem „Weg des Friedens”, mit Baden im Meer und mit einem Party-Abend.
„Weiter begeistern und motivieren”
Uli Creydt hat dieses junge Volksbund-Format für Leute, die dem Workcampalter (bis 26) entwachsen sind, vorangetrieben. „Der Volksbund leistet sehr gute Jugend- und Friedensarbeit, aber die Angebote brechen abrupt ab, wenn man älter wird. Mit diesem Anschlussformat wollen wir weiter begeistern und motivieren.” Gerade bei der heutigen geopolitischen Lage sei das wichtig.
„Demokratie lebt vom Mitmachen. Das gilt für alle Altersklassen, nicht nur für Jugendliche”, so der Campleiter in einem Interview. „Ich habe aus den Jugend-Camps noch viele Kontakte und weiß, dass die meisten die Verbindung zum Volksbund verloren haben. Die möchte ich zurückgewinnen.”
Erbe bewahren und vermitteln
Und noch jemand begrüßt dieses neue Volksbund-Angebot: die Stiftung „Wege des Friedens im Sočatal“, die seit rund 20 Jahren bei Workcamps Kooperationspartner ist. Sie bewahrt das materielle und immaterielle Erbe des Krieges in diesem Tal. Der Volksbund vermittelt das an junge Leute – vor allem das schätzt die Stiftung, so Leon Četrtič. Dass jetzt eine ältere Zielgruppe dazukommt, halten alle Seiten für einen wichtigen Schritt in die Zukunft.
Das Interview mit Uli Creydt finden Sie hier: „Demokratie lebt vom Mitmachen – das gilt nicht nur für Jugendliche“.
Über internationale Jugendbegegnungen und Workcamps auch für Erwachsene informiert Angelika Müller (Kontakt).
Hintergrund: „Walk of Peace”
Dieser Fernwanderweg mit vielen Verästelungen führt über rund 500 Kilometer von den Julischen Alpen in Slowenien bis nach Triest in Italien. Das Erbe des Ersten Weltkrieges, das entlang der Wege zu sehen ist, ist gewaltig: 300 Stationen der Erinnerung, 50 Museen und Sammlungen, 25 Freilichtmuseen, 30 Mahnmale, 70 österreichisch-ungarische Friedhöfe, vier deutsche und italienische Beinäuser sowie acht Kirchen und Kapellen gehören dazu.
Kurz vor Campbeginn war der Volksbund an der Seite der Stiftung „Wege des Friedens” bei einem internationalen Treffen in Kobarid dabei: bei einer Auftakt-Konferenz zu einem neuen Langfrist-Projekt. „GOV4PeaCE“ heißt es. Finanziert von der EU, bringt es Partner aus Belgien, Frankreich, Italien, Slowenien, Ungarn, der Ukraine, der Slowakei, Polen und Rumänien zusammen. Der Volksbund unterstützt mit seiner Expertise. Das Ziel: ein „European Walk of Peace“ entlang der Fronten des Ersten Weltkrieges.
Der Volksbund ist ...
... ein gemeinnütziger Verein, der dringend auf Spenden und Mitgliedsbeiträge angewiesen ist. Im Auftrag der Bundesregierung sucht und birgt er Kriegstote im Ausland, bestattet sie würdig, pflegt ihre Gräber in 46 Ländern und betreut Angehörige. Mit seinen Jugend- und Bildungsangeboten erreicht er jährlich rund 30.000 junge Menschen. Mit Workcamps für Erwachsene baut er sein Angebot noch aus.