Mehr als 150 Gäste wohnten am Samstagabend auf dem ehemaligen Standortfriedhof Lilienthalstraße der großen Gedenkveranstaltung des Volksbundes bei. (© Uwe Zucchi)
„Botschaft, die aus jedem einzelnen Kriegsgrab dröhnt"
Klare Statements gegen Rassismus und Ausgrenzung bei Gedenkstunden am Vorabend des Volkstrauertages
Mit gut besuchten Veranstaltungen auf dem ehemaligen Standortfriedhof Lilienthalstraße, in der Gedenkstätte Plötzensee sowie mit kleineren, stillen Kranzniederlegungen hat der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. vor dem Volkstrauertag in Berlin aller Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft gedacht. Präsident Wolfgang Schneiderhan machte dabei deutlich, dass die Toten der gegenwärtigen Kriege ausdrücklich in das Gedenken einbezogen sind.
Auf dem mit Fackeln erleuchteten ehemaligen Standortfriedhof Lilienthalstraße in Berlin-Neukölln leitete die internationale Gedenkveranstaltung des Volksbundes traditionell den Volkstrauertag ein.
Generalsekretär Dirk Backen begrüßte Militärattachés vieler Länder, Vertreter der Bundeswehr, Polizei, Feuerwehr und anderer zivilgesellschaftlicher Organisationen, Gäste aus Politik, Wirtschaft und Geistlichkeit sowie Unterstützerinnen und Unterstützer des Volksbundes auf der Anlage, auf der knapp 5.000 Kriegsopfer ruhen – Soldaten, Kriegsgefangene, zivile Opfer.
Starke Reaktion gefordert
Angesichts der Bedrohungen des Friedens durch Ausgrenzung, Desinformation und Radikalität, angesichts von offen gezeigtem Antisemitismus – wie zuletzt in Amsterdam – und islamistischen Terrorismus sei, so Backen, eine starke Reaktion gefordert.
„Nie wieder ist jetzt! Das ist die Botschaft, die heute Abend aus jedem einzelnen Kriegsgrab dröhnt“, rief der Generalsekretär mit Blick auf Ausschreitungen gegen jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger. Sie, so Backen, hätten „Schande über mein Vaterland“ gebracht.
Betroffene der Bundespolizei
Als Gastredner sprach der Präsident des Bundespolizeipräsidiums, Dr. Dieter Romann. Der 62-Jährige berichtete vom Ehrenmal der im Dienst ums Leben gekommenen Angehörigen der Bundespolizei, auf das er jeden Tag von seinem Büro in Potsdam aus blicke. Während seiner Amtszeit seien sechs der 51 verstorben, die dort genannt sind – fünf davon im Inland, einer im Ausland.
Für die Ehrung der Betroffenen mache es keinen Unterschied, ob sie im Dienst der Bundeswehr oder der Polizei starben, ob sie im Jemen, am Nürnberger Hauptbahnhof oder auf dem Marktplatz in Mannheim getötet wurden, so Romann.
„Wir brauchen diese Momente”
Vor diesem Hintergrund, so der Präsident der Bundespolizei, seien Gedenktage wie der Volkstrauertag unverzichtbar. „Wir brauchen diese Momente, wir brauchen diese Orte des Gedenkens, damit sich nicht wiederholt, was verhindert werden soll.“ Am Ende zitierte Romann aus dem „Momentum“ von Mascha Kaliko: Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang, / Nur vor dem Tode derer, die mir nah sind. / Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?
Plötzensee: „Hoffnung ist nie vergeblich“
Mit Reden, Gedichten und Liedern erinnerte der Jugendarbeitskreis Berlin an der Gedenkstätte Plötzensee der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen warnten insbesondere vor rassistischer Ideologie und nationalsozialistischer Diktatur.
Annika Lang fragte: „Werden wir Unrecht rechtzeitig erkennen?“ und mahnte: „Werte wie Frieden und Freiheit sind zerbrechlich!“ Anna Uekert sagte: „Wir sind die Generation, die aus der Geschichte lernt, dass Hoffnung und Engagement nie vergeblich sind.“ Sie zitierte die Widerstandskämpferin Sophie Scholl: „Man muss etwas machen, um nicht schuldig zu werden.“
Gemeinsames Ziel kann vereinen
Mit Annette von Schlabrendorff hatte der Jugendarbeitskreis eine besondere Rednerin eingeladen. Die Geschichts- und Philosophielehrerin aus Tegel ist die Enkelin von Fabian von Schlabrendorff. Der Jurist hatte 1943 erfolglos ein Attentat auf Hitler verübt und wurde nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 verhaftet. Nur durch viele Zufälle überlebte er Folterungen und KZ-Aufenthalte und wurde von den US-Amerikanern in Südtirol befreit.
Seine Enkelin erinnerte daran, dass es unter den Widerstandskämpfern im „Dritten Reich” Bündnisse zwischen Konservativen und Kommunisten gegeben habe und man von ihnen lerne könne, wie verschiedene Lager für ein Ziel kämpfen.
Junge Sängerin aus Ungarn
Für eine beeindruckende musikalische Begleitung der Veranstaltung sorgte die junge Berliner Musikerin Veronika Bognar. So sang sie mit Madonnas „Frozen“ etwa ein Lied, in dem es darum geht, wie ein erstarrtes Herz durch die Liebe wieder lebendig wird.
Die Sängerin, die vor zehn Jahren aus ihrer Heimat Ungarn nach Berlin gekommen war, beendete die Veranstaltung mit Gary Jules „Mad World“, dem Song einer verrückten Welt.
Dank an der ukrainischen Botschaft
Am Morgen hatte eine kleine Delegation des Volksbundes der Toten des Zweiten Weltkrieges, aber auch der Opfer des gegenwärtigen russischen Angriffskrieges auf die Ukraine gedacht. Vor der Botschaft der Ukraine legte Volksbund-Präsident Wolfgang Schneiderhan einen Kranz nieder.
Botschaftsrätin Natalia Chernopashchenko bedankte sich bei ihm und bei Generalsekretär Dirk Backen für die solidarische Geste, die der Volksbund nun im dritten Jahr zeigt.
Stilles Gedenken in kleinstem Kreis
Gemeinsam mit Pankows Bezirksbürgermeisterin Dr. Cordelia Koch folgte eine stille Kranzniederlegung ohne offiziellen Charakter am Sowjetischen Ehrenmal auf der Schönholzer Heide. Auf dem Gelände des Ehrenmals wurden rund 13.200 Tote der mehr als 80.000 in der Endphase des Zweiten Weltkriegs gefallenen Rotarmisten sowie ums Leben gekommene sowjetische Kriegsgefangene bestattet – unter ihnen 120 Frauen.
Die Anlage auf der Schönholzer Heide ist das größte sowjetische Ehrenmal in Berlin. Volksbund-Präsident Schneiderhan erinnerte daran, dass noch vor wenigen Jahren die Botschafter der Russischen Föderation, der Ukraine und von Belarus gemeinsam Kränze vor dem mächtigen Obelisken niedergelegt hatten.
Zeichen setzen bundesweit
An unzähligen Orten bundesweit finden am Volkstrauertag Gedenkstunden statt. Die Botschaft: Die Erinnerung an die Opfer der Vergangenheit mahnen heute zum Frieden. Wenn auch Sie teilnehmen und damit ein Zeichen setzen möchten, finden Sie aktuelle Termine in Ihrer Nähe im Gedenkportal.
In Berlin zeichnet der Volksbund für die zentrale Gedenkstunde am Sonntag, 17. November, im Bundestag verantwortlich. Das ZDF überträgt sie ab 13.30 Uhr. Dazu mehr hier: Volkstrauertag: Ist die Mahnung zum Frieden verstummt?
Bericht zu den Auftakt-Veranstaltungen am Anfang der Woche:
Gemeinsam erinnern: vom Remembrance Sunday bis Volkstrauertag
und am Freitag:
„Wald der Erinnerung“: Ein Platz, um Frieden zu finden
Der Volksbund ist ...
... ein gemeinnütziger Verein, der im Auftrag der Bundesregierung Kriegstote im Ausland sucht, birgt und würdig bestattet. Fast 12.000 waren es im vergangenen Jahr. Der Volksbund pflegt ihre Gräber in 45 Ländern und betreut Angehörige. Mit seinen Jugend- und Bildungsangeboten erreicht er jährlich rund 38.000 junge Menschen.
Der Volksbund ist dringend auf Spenden und Mitgliedsbeiträge angewiesen. Lassen Sie für jemanden, der verstorben ist, einen Stern aufgehen und komplettieren Sie mit Ihrer Spende das Sternbild der fünf Kreuze, die für die Volksbund-Arbeit stehen: Lichter der Ewigkeit.