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Der Kessel von Halbe

Ein Erlebnisbericht

Ich, 1925 geboren, war eines der sogenannten „Hitler Kindern“. Meine Erziehung im Dritten Reich war auf Deutschland konzentriert. So meldete ich mich 1941 freiwillig zum Kriegsdienst. 1942 wurde ich einberufen und als Infanterist ausgebildet, besonders für einen Angriffskrieg. An der Ostfront ereilte mich im Juli 1943 auf dem Schlachtfeld, bei einem Sturmangriff am Mius, einem Fluss in Russland das Schicksal. Ein feindliches Explosivgeschoss traf meinen linken Arm. Ich blieb auf dem Schlachtfeld liegen, blutete aus, war ohnmächtig, wurde aber gerettet. Durch die direkte Blutspende eines Kameraden auf dem Hauptverbandsplatz erhielt ich wieder Lebenskräfte, aber der linke Oberarm wurde amputiert. Nach meiner Ausheilung wurde ich zu einer Kriegsschule kommandiert und 1944 zu einem jungen Offizier mit dem Rang eines Leutnants gemacht. Ich war damals sehr stolz auf mich.

 

Im Februar 1945 wurde ich als Bataillonsadjutant – man brauchte jeden Mann – an der Oderfront eingesetzt. So erlebte ich den letzten sowjetischen Großangriff am 16. April 1945 in vorderster Front. Ein Panzerangriff auf Berlin war in einer gewaltigen Breite von 200 Kilometern angelegt, wir lagen in der Mitte. Doch nördlich und südlich waren die Sowjets mit großer Übermacht an Soldaten, Geschützen, Panzern und Flugzeugen durchgebrochen. Plötzlich war unsere 9. Armee mit ihren 200.000 Soldaten eingeschlossen. Unser Armeegeneral Busse hatte mit der 6. Armee, General Wenk (es war die 12. Armee, Anmerkung der Redaktion) vereinbart, dass die Eingeschlossenen einen Ausbruch versuchten sollten, der für den 27. April 1945 vorgesehen war.

 

 

Treffpunkt war am westlichen Kesselrand in Märkisch-Buchholz und dann rund 60 Kilometer durch den Wald zu der 6. Armee (12.Armee). Wir sollten den Kessel sichern, was auch gelang. Tagelang hielten wir diese Position… bis der Termin des Aufbruch Tages unseren Abzug forderte. Hungrig und völlig ermattet trafen wir abends in Märkisch-Buchholz ein. Der Ausbruchsversuch war misslungen, es herrschte völliges Chaos, die Einheiten befanden sich in Auflösung, ausgespannte und wildgewordene Pferde rasten umher und Granaten schlugen ein. Wir saßen in der Falle und hatten nur noch den Wunsch, an die Elbe zu kommen und vorher nicht in die Hände der Sowjets zu geraten. Selbst waren wir durch die vorausgegangenen Strapazen nicht mehr in der Lage, am Kampf teilzunehmen. Doch der Lebenswille trieb uns an. Mit blutigen Füßen, ohne Verpflegung liefen wir los. Es wurde immer schlimmer. Tote und Verwundete lagen überall zerstreut, doch im Ortskern von Halbe waren Gehwege und Straßen von Leichen total bedeckt. Egal ob Soldaten, Zivilisten, Russen, es war ein Gräuel. Wir Lebenden mussten vorbei, hindurch, darüber weg, nur Richtung Westen, um unser Leben zu retten. Man spricht von 40.000 Toten, die dort auf dem Waldfriedhof Halbe in namenlosen Massengräbern bestattet wurden. Meinen Kommandeur sah ich auch dort tot liegen. Es ging nur ums eigene Leben. Nur weiter Richtung Westen. Nach langem Fluchtweg bei Tag und Nacht oft von sowjetischen Fliegern bedroht, Artillerieeinschlägen und Versuchen von Seydlitz-Leuten (ehemalige deutsche Soldaten die sich der Roten Armee angeschlossen hatten), uns von dem „richtigen“ Weg abzubringen, erreichten die Durchgekommenen die auf uns wartenden Soldaten der 6. Armee (Anmerkung Redaktion: 12. Armee). Es war der 1. Mai 1945 und wir erfuhren vom Tod Hitlers. Hatte uns bisher die Hoffnung auf eine deutsche Wunderwaffe mit Zuversicht erfüllt, erfüllte uns jetzt Trauer und das Wissen, dass Deutschland den Krieg verloren hatte. Nun galt es nur, sich über die Elbe zu retten. Am 3. Mai traf ich im Ort Burg bei Magdeburg ein. Es war dort eine  Entlassungsstelle eingerichtet und ich wurde laut Urkunde, die noch in meinem Besitz ist, offiziell aus der Deutschen Wehrmacht entlassen. Eine Schlafstelle bei wildfremden Leuten war im Ort schnell gefunden. Die Hausfrau, deren Mann noch irgendwo Soldat war, wollte auch in den Westen flüchten. Ich durfte meine Uniform ausziehen, erhielt Zivilkleidung ihres Mannes und brach am frühen Morgen des 4. Mai 45 per Fahrrad zur 5 Kilometer entfernten Elbe auf. Menschenströme, in Uniform oder Zivil flüchteten in diese Richtung. Die Elbe hatte an dieser Stelle keine Brücke, die Fähre konnte nicht mehr fahren, aber bei Rogätz brachte ein Fischerboot, jeweils 20 Personen fassend, Soldaten über den breiten Fluss. In Zivil, aber durch mein Soldbuch ausgewiesen, wurde ich für die Überquerung zugelassen. Auf der Fahrt über das Wasser warf ich meinen Revolver mit dem letzten Schuss darin, der mich im Ernstfall von allen Qualen erlösen sollte, in die Elbe. Die amerikanischen Soldaten untersuchten alle neuen Angekommenen, nahmen ihnen Uhren und Geldbörsen ab (mir auch) und die Gefangenschaft begann. Wir waren gerettet.

 

Historischer Hintergrund:

 

Die Kesselschlacht von Halbe fand im April 1945 im Gebiet der Ortschaft Halbe, südlich von Berlin statt. Die russischen Armeen schlossen einen den Ring um die deutsche 9. Armee und den nach Westen flüchtenden Zivilisten in einem kleinen Waldgebiet zwischen Märkisch Buchholz und Halbe. Durch einen Entsatzangriff der 12. Armee konnten am 29. und 30. April große Teile der eingeschlossenen nach Westen ausbrechen und die deutsche Front  bei Beelitz erreichen. Die Schlacht als Kesselschlacht wird oft mit Stalingrad verglichen. Noch heute findet man in dem weitläufigen Waldgebiet Überreste der Schlacht -  menschliche und militärische.

 

 

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