„Erinnerungskulturen im Gespräch“– auf dem Podium (v. l.): Sicherheitsexpertin Dr. Claudia Major, Volksbund-Generalsekretär Dirk Backen, Dr. Heike Dörrenbächer, Abteilungsleiterin Gedenkkultur und Bildung, Veronika Wand-Danielsson, schwedische Botschafterin, und Professor Bernd Henningsen (© Ladan Rezaeian)
Die „Tragik der Zeitenwende“
Volksbund lädt zum deutsch-schwedischen Sicherheitsforum
Der russische Angriff auf die Ukraine und die Verteidigung Europas – das waren die Themen einer hochkarätig besetzten Abendveranstaltung des Volksbundes in Berlin. Historiker und Sicherheitsexperten analysierten mit Blick auf die gemeinsame Geschichte die aktuelle „Zeitenwende“. Im Rahmen der Reihe „Erinnerungskulturen im Gespräch“, zu der die Schwedische Botschaft eingeladen hatte, sprach auch Volksbund-Generalsekretär Dirk Backen.
Schwedens Botschafterin Veronika Wand-Danielsson betonte das neue Gefühl von Bedrohung ihrer Landsleute: „Für uns fängt die Verteidigung Europas an mit der Verteidigung der Ukraine.“ Dieses Gefühl der Bedrohung sprach auch Professor Bernd Henningsen an: „Schweden und das Baltikum sind dichter dran.“ Seit Jahren würden deren Gewässer- und Lufthoheit durch Russland verletzt.
Eine „sicherheitspolitische Revolution“
Henningsen, emeritierter Professor am Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität zu Berlin, thematisierte in seinem Impulsvortrag die sicherheitspolitische Bündnisfreiheit als wesentlichen Bestandteil der schwedischen nationalen Identität. Die NATO-Mitgliedschaft seit März 2024 sei eine Abkehr von überlieferten nationalen Erzählweisen und eine „sicherheitspolitische Revolution“.
Dass diese scheinbare Neutralität ein Mythos gewesen sei, belegte der Nordeuropa-Experte unter anderem damit, dass Schweden schon lange vor dem Beitritt mit der NATO eng kooperiert habe. Anders als in Deutschland sei die gesamtgesellschaftliche Verteidigungsbereitschaft in Schweden fest verankert. Mit dem Land sei ein höchst effizienter Partner der europäisch-atlantischen Sicherheitsgemeinschaft beigetreten.
Auf dem anschließenden Podium kamen neben der schwedischen Botschafterin Wand-Danielsson auch die Sicherheitsexpertin Dr. Claudia Major und der Generalsekretär des Volksbundes, Dirk Backen, zu Wort. Es moderierte Dr. Heike Dörrenbächer, Abteilungsleiterin Gedenkkultur und Bildung beim Volksbund.
Ein Krieg gegen unseren Wohlstand
Claudia Major präzisierte die neue Gefahrenlage: Russland gehe es darum, die „Sicherheitsordnung in Europa abzuschaffen, das heißt, die EU in der Form, wie wir sie haben und die NATO in der Form, wie wir sie haben.“ Der Krieg Russlands gegen die Ukraine sei auch ein Krieg in der Grauzone gegen unseren Wohlstand und unsere Werte. Volksbund-Generalsekretär Dirk Backen hielt fest, dass man Werte nicht verordnen kann: „Wir haben an dieser Stelle einen Bildungs- und Erziehungsauftrag.“
Backen plädiert für Ende der Illusionen
Claudia Major sprach in ihren weiteren Ausführungen von einer „Tragik der Zeitenwende“: „Deutschland hat wirklich viel gemacht – das Problem ist, es reicht nicht.“ Finanzierung sei hierbei das eine, das andere sei Bewusstsein für die Belastbarkeit der öffentlichen Systeme: Strom, Energie, Wasser – und „anzuerkennen, dass Demokratie und Öffentlichkeit die kritischste Infrastruktur überhaupt sind.“
Dirk Backen plädierte ergänzend für ein Ende der Illusionen über die russische Regierung: „Es ist ein verbrecherisches Regime – und das muss man auch ganz klar anerkennen.“
Bescheiden von kleineren Nationen lernen
Laut Botschafterin Wand-Danielsson setzt Schweden sehr früh in der Erziehung an. Es gäbe eine „Transparenz in den Schulen: Wie wichtig es ist, dass man Werte hat, und dass man diese Werte verteidigen muss.“
Claudia Major stimmte diesem aus deutscher Sicht zu: „Wehrhaftigkeit heißt, dass man eine schlagkräftige Armee hat, um nicht kämpfen zu müssen – dass man aber auch eine Bevölkerung hat, die den Wert unseres Systems versteht.“
Am Ende eines facettenreichen Abends plädierte Generalsekretär Dirk Backen dafür, von den kleineren Ländern zu lernen: „Ein bisschen Maß und Bescheidenheit würde uns auch guttun, um uns dann diesen Nationen zu nähern.“
Text: Dominik Tomenendal, Referat Erinnerungskultur und Netzwerkarbeit
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