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Ehrenmale: So vielen bekannt, so wenig präsent

Lokalredakteurin Cristina Priotto porträtierte die 17 Denkmale für Kriegstote der Stadt Sulz am Neckar

Eine Stadt, neun Stadtteile, 17 Ehrenmale für Kriegstote. Das ist der Stoff, aus dem eine bemerkenswerte Serie in einer Lokalzeitung entstand. Cristina Priotto hat in elf aufeinanderfolgenden Ausgaben der „Neckar-Chronik“ die Ehrenmale der Stadt Sulz porträtiert und beschreibt Idee, Konzept, Hintergründe und Umsetzung des Projekts und Reaktionen auf die Serie:
 
„Der Auslöser für die Serie vom 5. bis 14. November 2020 war eine Mitteilung der Stadtverwaltung, dass wegen der Corona-Pandemie am Volkstrauertag 2020 nur Kranzniederlegungen möglich seien – ohne Beteiligung der Öffentlichkeit (außer der Presse). 75 Jahre nach Ende des Zweiten und 102 Jahre nach Ende des Ersten Weltkrieges – und fast 100 Jahre nach Einführung des Volkstrauertages 1921 – erschien mir diese Art der Würdigung als deutlich zu wenig für die Vielzahl der Opfer, die schließlich jedes Dorf zu beklagen hat und um die bis heute Angehörige und Freunde trauern.

 

Wer weiß noch, wer die Toten waren?

Doch wie viele Menschen wissen heute noch, wer all die überwiegend jungen Männer waren, deren Namen auf Tafeln, Stelen und Steinsäulen stehen? Diesen Kreis wollte ich erweitern. Außerdem wollte ich der älteren Generation als Zeitzeugen, Angehörige und Erschaffer zeigen, dass die damaligen Bemühungen – Orte der Erinnerung zu schaffen und zu pflegen – nach wie vor wertgeschätzt werden, und den Jüngeren vor Augen führen, welche Hintergründe diese Ehrenmale auf jedem Ortsfriedhof haben und welche Mahnung damit für die Gegenwart und die Zukunft verbunden ist.

So besichtigte und fotografierte ich alle 17 Weltkriegsdenkmale. Den Auftakt der über zwei Wochen täglich fortlaufenden Serie bildete schließlich ein Beitrag über das Mahnmal auf dem Friedhof in Sulz, verbunden mit Hintergrundinformationen zur Entstehung des Volkstrauertages.

Doch der Weg dahin war lang: Auf den Friedhöfen gestaltete sich das Entziffern der Namen und Jahresangaben teilweise sehr diffizil, da Erhalt und Pflege in vielen Fällen eher dürftig sind. Hinzu kam, dass einige Tafeln, Stelen oder Steinsäulen nur die Namen der Toten und Vermissten nennen, andere auch Geburts- und Todesjahr, jedoch selten den Ort des Todes. Und: In keinem Archiv gab es eine Übersicht aller Denkmale.
 

Auch Frauen und Kinder genannt

Ich fand heraus, welche Familien besonders stark betroffen waren, dass das jüngste Kriegsopfer, das auf einem Sulzer Kriegerdenkmal genannt ist, gerade einmal elf Jahr alt war (gestorben bei einem Tieffliegerangriff). Der jüngste genannte Kriegsteilnehmer war 16, der Älteste ein 67-Jähriger.

Außergewöhnlich ist, dass in mehreren Fällen auch die Namen von Frauen als Kriegsopfer auf den Kriegerdenkmalen stehen – zivile Opfer von Tieffliegerangriffen, Vertreibung, Internierung oder Gewalt durch die französischen Besatzer. Einem Lokalhistoriker ist zu verdanken, dass auf dem Sulzer Friedhof eine Tafel an die Euthanasie-Opfer erinnert sowie an Kriegsgefangene, Häftlinge und Zwangsarbeiter.

Dargestellt sind nur vereinzelt Soldaten, häufig fehlen Figuren ganz. Auffallend sind in mehreren Fällen Frauen, Kinder oder Engel als bildhauerische Elemente. Als Material kam häufig lokal abgebauter Sandstein oder Muschelkalk zum Einsatz, die Arbeit übernahmen zumeist örtliche Steinmetze.

Schwierige Suche nach Zeitzeugen

Unerwartet schwierig war es, Informationen über die Entstehung der Denkmale und ihre Urheber zu sammeln. In den meisten Fällen musste ich dafür mindestens ein Dutzend Telefonate oder Gespräche führen. Da die meisten der Stelen und Tafeln teilweise seit mehr als 100 Jahren (Erster Weltkrieg) beziehungsweise seit mindestens 60 Jahren (Zweiter Weltkrieg) stehen, gibt es entweder keine Zeitzeugen mehr oder nur noch wenige.

Die Bereitschaft zur Mithilfe und die Dankbarkeit dafür, dass ich dieses wichtige Thema aufgegriffen habe, erwiesen sich jedoch durchweg als groß: Etliche betagte Zeitzeugen scheuten nicht die Mühe, auf Dachböden Zeitungsartikel und Fotos zu suchen oder in Fotoalben zu blättern und steuerten teils auch nach Erscheinen der Beiträge Wissenswertes oder persönliche Geschichten bei.

Viele ältere Menschen, die Geschwister, Eltern oder andere Verwandte verloren hatten, schilderten die Folgen, die diese persönlichen Verluste ein Leben lang für sie hatten und haben. Exemplarisch sei hier der Bericht des Ortsvorstehers aus Dürrenmettstetten (im Beitrag vom 11. November 2020) genannt, der aus meiner Sicht die berührendste aktuelle Zusammenfassung der Kriegsfolgen war.
 

Familien trauern um bis zu elf Kriegstote

Der Ortsvorsteher (Jahrgang 1932) hatte drei Brüder verloren und erzählte, wie belastend es gewesen sei, 24 Jahre lang in offizieller Funktion am Volkstrauertag alljährlich die Gedenkrede halten zu müssen – ein Geständnis, das dieser Mann all die Jahre nie öffentlich geäußert hatte, sondern das erst aufgrund meines Zeitungsberichts und Nachfragens zur Sprache kam. Das verdeutlicht auch die Zahl der Opfer: Manche Familien hatten den Verlust von bis zu elf männlichen Angehörigen zu beklagen.

Die Serie stieß in vielen Familien Gespräche über die Weltkriegsfolgen für die Überlebenden und die Nachkommen an. Auch aus jüngeren Generationen schilderten etliche Leser, erst durch die Zeitungsartikel das Thema bei Eltern und/oder Großeltern angesprochen und dadurch viel über die eigene Familiengeschichte gelernt zu haben.

Zum Abschluss beschrieb ich in der Kolumne im Regionalteil persönliche Kindheitsbezüge zum Besuch von Denkmalen für die Weltkriegsopfer mit meinen deutschen Großeltern. Die Intention der Serie, die 'Mahnung der Toten' ernstzunehmen und 'aus den Leiden der Vergangenheit zu lernen', wie von Konrad Adenauer gefordert und das Gedenken der Toten als Mahnung für die Lebenden zu nehmen, wie auf vielen Denkmalen zu lesen, wurde somit sogar in weitaus größerem Maße erreicht als zu Beginn der kurzfristig angestoßenen Reihe gedacht."

Text: Cristina Priotto
 

In der Ausgabe der Mitgliederzeitschrift "Frieden" Nr. 1 2021, die in Kürze erscheint, finden Sie einen weiteren Artikel zu dieser Reihe der Neckar-Chronik. Alle Ausgaben stehen in der Mediathek zum Download zur Verfügung.

Zur Person

Cristina Priotto wurde 1980 in Konstanz geboren. Die Deutsch-Italienerin studierte dort Germanistik, Romanistik und Anglistik und arbeitete von 1999 bis 2007 beim „Südkurier“ und volontierte von 2007 bis 2009 beim „Schwarzwälder Boten“, wo sie anschließend bis 2012 als Redakteurin arbeitete. Seitdem ist sie Redakteurin bei der „Neckar-Chronik", die zur Südwest Presse mit Sitz in Ulm gehört.