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Ein Blick zurück und zwei Blicke nach vorn

Festakt zum 100. Jubiläum des Volksbundes

Woher kommen wir? Wohin gehen wir? So fragte Volksbund-Generalsekretärin Daniela Schily nach der Begrüßung der rund 500 Gäste im Weltsaal des Auswärtigen Amtes in Berlin. Mit Blick auf den voll besetzten Weltsaal konnte sie feststellen: "Ihre Anwesenheit gibt auch eine Antwort!"

 

Staatsministerin Michelle Müntefering im Auswärtigen Amt bedankte sich beim Volksbund für die ausgezeichnete Zusammenarbeit und versprach die weitere Unterstützung des AA und der Bundesregierung "...gerade in Zeiten, in denen die Demokratie nicht ungefährdet ist."

Gravierende Niederlage von Menschlichkeit und Frieden

Wolfgang Schneiderhan, Präsident des Volksbundes, beantwortete in seiner Ansprache die Fragen und nahm das Publikum auf eine kritisch reflektierende Zeitreise durch die Geschichte des Volksbundes mit. "In diesem Jahr wird der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge hundert Jahre alt. Das ist ein Jahrestag und eine wichtige Wegmarke für uns - aber es ist kein Grund zu feiern. Dass es den Volksbund und vergleichbare Organisationen in anderen Staaten gibt, ist das Ergebnis einer gravierenden Niederlage von Menschlichkeit und Frieden."

Der Volksbund übernahm 1919 die Aufgabe, die deutschen Gefallenen im Ausland zu bergen, zu identifizieren und zu bestatten. Dabei war der Volksbund auf internationale Zusammenarbeit angewiesen - diplomatisch nicht unproblematisch, denn die Länder, in denen der Volksbund nun arbeiten wollte, waren bis kurz zuvor Feindesland gewesen. Die Angehörigen sollten einen Ort für ihre Trauer haben, aber - der Soldatentod sollte einen Sinn haben: "Gefallen für Volk und Vaterland" ist noch heute oft auf den Inschriften der Soldatenfriedhöfe des Ersten Weltkrieges zu lesen.

Der Volksbund funktionierte im Sinne der Machthaber

Doch es gab auch andere Stimmen. So sagte Paul Löbe, sozialdemokratischer Reichstagspräsident am ersten Volkstrauertag am 5.3.1922: "Leiden zu lindern, Wunden zu heilen, aber auch Tote zu ehren, Verlorene zu beklagen bedeutet Abkehr vom Hass, Hinkehr zur Liebe und unsere Welt hat die Liebe not."

Diese Stimmen verstummten mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten, der Volkstrauertag wurde zum Heldengedenktag. Der Volksbund wurde nicht gleichgeschaltet, das war gar nicht nötig. Wolfgang Schneiderhan: "Der Volksbund funktionierte auch so im Sinne der Machthaber."

Der Zweite Weltkrieg hinterließ ein zerstörtes Europa, Not, Verzweiflung und kostete zwischen 60 und 70 Millionen Menschenleben. Hundertausende Soldaten waren auch auf deutschem Boden gefallen - und nun konnte der Volksbund - zumindest in den Westzonen - wieder seine Arbeit aufnehmen und sich reorganisieren. Dass auch er dabei seine personelle Kontinuität behielt, ist ebenfalls Anlass für einen kritischen Rückblick.

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs konnte der Volksbund seine Arbeit in den Ländern Osteuropas aufnehmen und dort bis zum heutigen Tag weit über 900.000 Kriegstote bergen und würdig bestatten.

Heute betreut der Volksbund 832 Kriegsgräberstätten in 46 Ländern mit 2,8 Millionen Kriegsgräbern. Und immer noch fragen Angehörige nach ihren Toten und Vermissten. Die Gräbersuche online wird täglich fast 10.000 Mal aufgerufen. "Der Volksbund, so Schneiderhan verbindet Erinnerung und Gedenken mit Bildung und Begegnung. ... Die Kriegsgräberstätten mit ihren scheinbar unendlichen Gräberreihen lassen die Besucher erschauern. Aber sie erklären nichts. Deshalb gestalten wir die Friedhöfe zu Lernorten um, ohne ihnen den Charakter als Stätten der individuellen Trauer zu nehmen."

Die Ewiggestrigen wollen das Gestrige ewig machen

Wo gehen wir hin? Wolfgang Schneiderhan forderte eindringlich, aus der Geschichte zu lernen. "Die Rechtsextremen sprechen ja gerne davon, Deutschland müsse sich aus seiner Vergangenheit befreien. Wir können das Erbe der Vergangenheit aber gar nicht ignorieren oder ausschlagen, in vielen Bereichen wollen wir das auch nicht.... Aber Vergangenheit gibt es nur als Ganzes. Goethe ja, Hitler nein, Siemensstadt ja, Theresienstadt nein - das geht nicht. Wer sich mit der deutschen Vergangenheit beschäftigt, weiß auch, wohin es führt, wenn ewig Gestrige versuchen, das Gestrige ewig zu machen und Nationalismus und Fremdenhass das Wort reden."

Hier können Sie die Ansprache von Volksbund-Präsident Schneiderhan nachlesen.

Dass der Präsident des Volksbundes die richtigen Worte gefunden hatte, wurde an häufigen Zwischenapplaus deutlich. Schneiderhan forderte abschließend als Blick in die Zukunft Mut! Mut zum Kompromiss, Mut zur Selbstbeschränkung, Mut zur Verantwortung, Mut diffamierender Propaganda entgegenzutreten.

"Frieden braucht Mut - aber der Mut lohnt sich, denn er schafft die Grundlage für ein menschliches und menschenwürdiges Leben. Die Kriegsgräberstätten zeigen, was auf dem Spiel steht, wenn uns dieser Mut verlässt."

Nach dieser eindringlichen Rede folgte die Uraufführung eines Musikstücks. Komponiert wurde es von Guido Rennert unter dem Titel: "Arbeit für den Frieden - eine Fantasie nach Themen von Christoph Scheibling für Kammerensemble, Gesang und Ferntrompeten". Das Stück nimmt die Geschichte des Volksbundes auf und wird ergänzt von Stimmen und Impressionen. Die Totensignale der internationalen Partnerorganisationen werden von Ferntrompeten geblasen.

Daniela Schily dankte herzlich den Musikerinnen und Musikern für dieses besondere Geburtstagsgeschenk. Die Arbeit des Volksbundes wäre ohne das Engagement von Ehrenamtlichen kaum vorstellbar. Deshalb durften abschließend zwei Ehrenamtliche ihre Wünsche an - und für den Volksbund formulieren.

Sophie Rothe, Sprecherin des Jugendarbeitskreises Berlin, wünschte sich vom Volksbund den Mut, sich mit aktuellen gesellschaftlichen Themen, beispielsweise dem Klimawandel auseinanderzusetzen. Nur dann würde es ihm gelingen, junge und neue Mitglieder zu gewinnen.

Prof. Dr. Rolf Wernstedt, ehemaliger Landesvorsitzender des Volksbundes in Niedersachsen, forderte vom Volksbund, sich seinen Irrtümern zu stellen. Der Soldatentod sei einerseits eine private Tragödie, aber auch ein öffentlicher Tod. Der Volksbund dürfe nicht die Umstände vergessen, die zu diesem Tod geführt haben. Und er hat einen Vorschlag für die Bildungsarbeit. Es gibt 15.000 Kriegsgräberstätten in Deutschland für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiterinnen. Hier könnten 9. Klassen von Schulen Pflegepatenschaften übernehmen. Dies wäre eine Perspektive für die Zukunft der Arbeit im Volksbund.

Diane Tempel-Bornett