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Entfeindung ist das Schlüsselwort

Jahresempfang des Volksbundes in Berlin

Entfreunden ist kein schönes Wort, aber wer sich auf Facebook tummelt, kennt es. Aber was heißt Entfeinden? Das erklärte der Warschauer Publizist Adam Krzemiński in seinem Vortrag auf dem dritten Jahresempfang des Volksbundes in Berlin.

2018 ist ein Gedenkjahr mit relevanten Daten: Vor 400 Jahren begann der Dreißigjährige Krieg, vor 100 Jahren endete der Erste Weltkrieg. Dieses Jahr ist „eine Markierung in unserem historischen Gedächtnis und in unserem Selbstverständnis“. Aber gleichzeitig fragen junge Menschen: „Was hat all dieses Gedenken mit mir zu tun?“

Mit diesen Gedanken eröffnete Wolfgang Schneiderhan, Präsident des Volksbundes den dritten Jahresempfang gestern in Berlin. Doch genau zum 55. Jahrestag des Deutsch-Französischen Freundschaftsvertrags und gerade angesichts neu aufflammender Konflikte sei heute umso klarer: „Dieses Europa als eine große und facettenreiche Heimat, eine im Frieden vereinte Europäische Union ist die Antwort auf die Verheerungen zweier Weltkriege.“

Die offenen Gesellschaften dürfen nicht nachgiebig werden

Umso gefährlicher hält der Präsident des Volksbundes demgegenüber nationalistische Tendenzen, die die eigene Stärke an der Schwäche anderer messen und auch historisch Erinnerungen gegeneinander ausspielen. Hier „dürfen unsere offenen Gesellschaften nicht nachgiebig werden“, betonte Schneiderhan unter dem Applaus der über 230 Gäste aus Politik, Kirchen, Zivilgesellschaft und Bundeswehr. Auch viele internationale Partner waren in die Vertretung des Freistaates Sachsen gekommen. Staatssekretär Günther Schneider freute sich besonders, im Namen der Staatsregierung enge Weggefährten begrüßen zu dürfen – schließlich war er bis Anfang des Jahres noch Landesvorsitzender des Volksbundes gewesen. Präsident Schneiderhan dankte ihm für seine große und weitsichtige Unterstützung.

Gemeinsam erinnern, aber dabei auch die verschiedenen Perspektiven respektieren - dies stellt der Volksbund in den Mittelpunkt seiner zahlreichen Gedenkaktivitäten in diesem Jahr, die Generalsekretärin Daniela Schily vorstellte. „Wir realisieren das mit unserer praktischen und pädagogischen Arbeit, mit unseren internationalen Partnern, mit unseren Landes- und Bezirksverbänden, in Botschaften von Paris bis Berlin, aber auch in über 100 regionalen Veranstaltungen bundesweit. Dabei zählen wir auf unsere Partner: das Auswärtige Amt, die französischen Kriegsgräberfürsorge oder das Deutsch-Französischen Jugendwerk. Wir laden zu Historikergesprächen, internationalen Begegnungen von Nachwuchsfußballern oder einem deutsch-französischen Comic-Wettbewerb ein.

An der Ostfront gab es keine literarische Legende

Wie wichtig dieser weite Blick über den eigenen Geschichtsfokus hinaus ist, zeigte der Gastredner Adam Krzemiński. Der Warschauer Publizist und Kenner der deutsch-polnischen Beziehungen nannte es eine „schöne Geste“, mit ihm just einen polnischen Redner zum Ausgang des Ersten Weltkrieges sprechen zu lassen. Denn während die Westfront „ihre literarische Legende“ habe, sei der Erste Weltkrieg im „‘wilden Osten‘“ nicht weniger grausam verlaufen, habe aber wesentlich unübersichtlicher geendet und ist somit auch nicht in eine „eigene europäische Erzählung“ eingegangen. Die neu gewonnene Unabhängigkeit blieb in vielen Ländern der Region mit Umsturzversuchen und ethnischen Spannungen nicht friedlich – bevor mit dem Überfall auf Polen Vernichtung und Vertreibung im Zweiten Weltkrieg sowie Unterdrückung im Kalten Krieg folgten.

Keine rückwärtsgewandte Trauer, aber auch keine Heldenverehrung

Von den eigenen Kindheitserinnerungen im kriegszerstörten Warschau aus beschrieb Krzemiński, wie schwierig und langwierig eine wirkliche „globale Entfeindung“ im Sinne Willy Brandts nach so tiefen historischen Wunden ist. Sie erfordere weder „eine rein rückwärtsgewandte Trauer ‚bis zum siebten Glied‘“ noch eine „gemeinschaftliche Heldenverehrung“. Mit Blick auf die Arbeit des Volksbundes, die Grabpflege und Gedenken immer auch mit internationaler Begegnung und Bildung zusammendenkt, stellte er fest: „Die Voraussetzung für eine ‚Entfeindung‘ […] ist weniger ein nur offiziöses Versöhnungsritual, sondern gelebte Begegnung und Verständigung über den Soldatengräbern.“

Dazu gehöre es, zwischen Angegriffenen und Verteidigern, aber auch zwischen militärischen und zivilen Opfern zu differenzieren, zugleich verbinde aber die Trauer der Angehörigen letztlich alle Menschen: „Unsere freiheitliche Demokratie muss zwar wehrhaft sein, aber gelingen kann sie nur, wenn die Nachgeborenen in Europa nicht nur an die eigenen Toten denken, sondern auch den Schmerz der Enkel einstiger Gegner sehen.“

Matteo Schürenberg

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