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Feldpostbriefe: „Ein Lebenszeichen schreiben“

#volksbundhistory über die Bedeutung der Kommunikation zwischen Soldaten und ihren Angehörigen

Fast 30 Milliarden Sendungen beförderte die deutsche Feldpost während des Ersten Weltkrieges. Während des Zweiten Weltkrieges stieg das Aufkommen auf fast 40 Milliarden Feldpostbriefe. Für die Soldaten und ihre Familien waren sie meist das einzige Kommunikationsmittel. Für die historische Forschung stellen sie eine unverzichtbare Quelle dar.

 

Feldpostbriefe sind eine schillernde Quellengattung. Sie zeichnen sich durch doppelte Nähe zum Geschehen aus – räumlich und zeitlich. Sie ermöglichen es, eine Alltagsgeschichte des Krieges nachzuzeichnen, eine Militärgeschichte „von unten”. In ihnen kommt die Masse der Soldaten selbst zu Wort. Aus ihnen lässt sich also zumindest vermeintlich die Kriegserfahrung der „einfachen” Soldaten ablesen und ein authentisches Bild rekonstruieren. Wo liegen die Grenzen und die Potenziale dieser besonderen Quellengattung?
 

Unter dem Hashtag #volksbundhistory berichten wir von historischen Ereignissen und liefern Hintergrundinformationen. Unsere Autoren heute: Franziska Haarhaus (Archiv) und Flemming Menges (Kriegsbiographien). Beide Historiker arbeiten in der Bundesgeschäftsstelle im Fachbereich Informationsgrundlagen.

Brücke zwischen Front und Heimat

Mit Beginn des Ersten Weltkrieges wurden Millionen Männer – Familienväter, Ehemänner, Brüder und Söhne – aus ihrem sozialen Umfeld gerissen. Die tägliche Verbindung beschränkte sich durch die Einberufung schlagartig auf den Briefkontakt. Feldpostbriefe waren oft die einzige Brücke zwischen Front und Heimat. 

Dr. Hellmuth, der Feldpostmeister des 2. Bayerischen Armeekorps, schrieb: „Ihre große und schöne Aufgabe geht dahin, zwischen den Millionenheeren deutscher Kämpfer, die ferne der Heimat und Häuslichkeit das Vaterland mit bewaffneter Hand zu beschirmen, und den in der Heimat Verbliebenen die Vermittlerin, die geistige Brücke zu bilden, welche die Trennung zwischen Heimat und Fremde beseitigt und in Form von Grüßen, Mitteilungen und Gaben das durch den Kriegsausbruch zerrissene Band und die deutschen Streiter und ihre zurückgelassenen Angehörigen aufs neue knüpft.“ Eine Mittlerfunktion also zwischen den Erfahrungsräumen „Front“ und „Heimat“. 

Wichtiges Lebenszeichen

Gleichwohl sind Feldpostbriefe tendenziell gekennzeichnet durch Auslassungen. Oft misslang der Versuch, die Grausamkeiten des Krieges in seiner Unbeschreiblichkeit darzustellen, und die Schreiber wichen aus: Sie schrieben über Familienangelegenheiten, über ihre Bedürfnisse und den zwar mitunter als widrig, aber zumeist ungefährlich geschilderten Alltag an der Front. Diese Flucht in den Alltag ermöglichte es, die Grausamkeit des Krieges auszublenden. 

Bedeutender als der Inhalt der Briefe war für die Angehörigen in der Heimat, dass sie ein Lebenszeichen erhielten. Exemplarisch formulierte das Unteroffizier Heinrich Edler in einem Brief an seine Ehefrau vom 6. Dezember 1914 aus Frankreich: „Bei bester Gesundheit und frohem Sinn muß ich dir liebe Frau, auch heute ein Lebenszeichen schreiben.“ Gleichlautendende Formulierungen wie „bin noch gesund und munter“ finden sich in zahlreichen Briefen.

Der Tod spielte immer eine Rolle, wenn auch latent. Starb der Soldat, wurde die Feldpost zurückgeschickt mit dem Vermerk: „Gefallen fürs Vaterland“ oder „Gefallen auf dem Feld der Ehre“. So auch bei Heinrich Edler, nachdem er am 6. Dezember 1916 bei Verdun tödlich verwundet worden war. 


Ausbau im Ersten Weltkrieg

Die Institution der Feldpost hatte sich in Preußen allmählich seit dem 18. Jahrhundert entwickelt. Angesichts der Massenmobilisierung im Ersten Weltkrieg wurde sie aufgrund ihrer gesellschaftlichen Relevanz stark ausgebaut. Zweifellos hatte das nicht nur ideelle Gründe: Es ging dabei auch um die Aufrechterhaltung der Moral.

Anders als bei der zivilen Verwaltung mit drei Reichspostgebieten war die Feldpost im Kaiserreich einheitlich organisiert und unterstand dem Reichspostamt. Bei jedem mobilen Generalkommando sowie im Hauptquartier des Kaisers wurde mit Mobilmachung ein Feldpostamt eingerichtet, bei jedem Armeeoberkommando und jeder Division eine Feldpostexpedition. Hinzu kamen Feldpoststationen an den Etappenhauptorten und den Verbindungslinien. Im gesamten Reich entstanden Postsammelstellen, in denen die Sendungen sortiert wurden.
 

40 Milliarden Briefe im Zweiten Weltkrieg

Im Ersten Weltkrieg dienten anfänglich noch Name, Dienstgrad und Einheit der Soldaten als Adresskennung. Erst 1917 wurde das System der Feldpostnummern – vergleichbar den Postleitzahlen – eingeführt. Im Zweiten Weltkrieg war das System aus fünfstelligen Feldpostnummern bereits weitestgehend etabliert. Jede Einheit erhielt eine eigene Feldpostnummer. Neben dieser mussten auf Briefen Name und Dienstgrad des Empfängers angegeben werden.

Unter die Definition Feldpost fällt sämtlicher Briefverkehr von und zum Heer. Diese Post war portofrei oder portoermäßigt: gewöhnliche Briefe, Postkarten und kleinere Geldanweisungen konnten ohne Gebühr versandt werden. Im Ersten Weltkrieg wurden rund 28,7 Milliarden Sendungen verschickt. Um diese Zahl ins Verhältnis zu setzten: Bei etwa 13 Millionen Kriegsteilnehmern kamen auf jeden Soldaten im Schnitt rund 2.200 Postsendungen.

Im Zweiten Weltkrieg stieg das Feldpostaufkommen auf bis zu 40 Milliarden Sendungen. Diese Zahlen zeigen die enorme Bedeutung der Feldpost für die Soldaten und ihre Familien. 


Innere und äußere Zensur

Mit der sozialen Funktion der Feldpost geht ihre politische Bedeutung einher. Zum Schutz militärischer Geheimnisse und zur sozialen Kontrolle unterlagen Sendungen in beiden Weltkriegen der Zensur. Diese Aufgabe übernahm bis 1916 der unmittelbare Dienstvorgesetze. Legitimiert durch einen „übergesetzlichen Notstand“, wurden 1916 Zensurstellen eingerichtet. Die Zensur war vergleichsweise mild, drastische Schilderung und schlechte Nachrichten von der Front waren durchaus akzeptiert. 

Feldpostschreiber wie Heinrich Edler testeten die Grenzen aus. So schrieb er am 11. Februar 1915 an seine Ehefrau: „Ich sehe aus deinem Briefe, dass du mal gerne wissen möchtest, an welcher Stelle ich mich hier in Feindeslande befinde, es ist meine Pflicht, liebe Frau, dass ich es dir schreibe, obwohl es nicht sein soll. Wir liegen in der Gegend von Lille.“ Geschwärzt wurden aber nur schwere Verstöße gegen die Disziplin oder defaitistische Äußerung. 
 

Kontrolle fördert Kreativität

Im Zweiten Weltkrieg unterlag die Feldpost einer strengeren Zensur. Das Oberkommando der Wehrmacht Amt Ausland/Abwehr beauftragte ab dem 12. März 1940 eigens eingerichtete Feldpostprüfstellen – die allerdings wegen des hohen Aufkommens weniger als ein Prozent der Briefe tatsächlich kontrollierten. Allein die Möglichkeit der Zensur führte aber dazu, dass viele manche Dinge vorauseilend verschwiegen und sich selbst zensierten. 

Inwieweit die Zensur das Schreiben beeinflusste und begrenzte, lässt sich nicht rekonstruieren. Dass es einen Einfluss gab, ist aber offensichtlich: Die Soldaten bemühten sich meist um unkritische Darstellungen und vermieden konkrete Angaben zu militärischen Operationen und Einsatzorten. Dafür wurden sie kreativ: Oft nutzten sie stilistische Mittel, um die Zensur zu umgehen, oder wählten Metaphern und beschrieben so indirekt die Realität des Kriegsgeschehens. Die mögliche (Selbst-)Zensur spricht nicht gegen, sondern gerade für den Wert der Briefe als historische Quellen, da sie die Frage nach dem Konstruktionscharakter der Texte aufwirft.


Erste Feldposteditionen

Die soziale und politische Bedeutung der Feldpost machte sie auch für die zeitgenössische Öffentlichkeit interessant – als scheinbar authentisches Zeugnis von Kriegserlebnissen. Ausgewählte Briefe wurden bereits während des Ersten Weltkrieges gesammelt und publiziert. 

Schon zu Beginn des Krieges druckten Zeitungen Feldpostbriefe als patriotische Propaganda ab. Sie waren meist länger, präzise und gut formuliert – was vermuten lässt, dass sie bereits im Hinblick auf eine Veröffentlichung abgefasst und redaktionell bearbeitet wurden. Sie wiesen die üblichen patriotischen Formulierungen und Heldenerzählung auf.

Hier ging es um Traditionsbildung und Erinnerung. Von authentischer Erfahrung lässt sich in diesen Fällen kaum sprechen. Dennoch wirkten die Briefe stilbildend. Der Historiker Jens Ebert hat aufgezeigt, dass diese Art des Schreibens zumindest in der Frühphase des Krieges von Angehörigen der unteren sozialen Schichten nachgeahmt wurde.
 

Nationalsozialistisches Instrument

In jeder größeren Stadt und an Universitäten wurden unter patriotischen Vorzeichen Sammlungen angelegt. Die ersten Editionen von Feldpostbriefen erschienen. Die Prominenteste ist wohl die des Germanisten und Professors für neuere deutsche Literatur an der Universität Freiburg, Philipp Witkop: Die „Kriegsbriefe Gefallener Studenten“, die in Teilen schon 1915 publiziert wurden. Witkop sah mit den Feldpostbriefen eine „untrüglich persönliche und historische Wahrheit“ belegt. Ab 1916 bis in die Nachkriegszeit erschein diese Sammlung mehrfach in überarbeiteter Fassung und in Neuauflagen.

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten kam eine erneut überarbeitete und um kritische Äußerungen gekürzte Volksausgabe in den Handel. Das Ziel: ein deutschnationales Weltbildes zu etablieren, das auf der vermeintlichen historischen Unmittelbarkeit und Wahrheit der soldatischen Perspektive dieser Quellen fußte.

Dahinter stand die Wehrerziehung für den Krieg. Die vermeintliche Authentizität wurde also instrumentalisiert und in den Dienst nationalistischer Erinnerung gestellt, wie Auswahl und redaktionelle Bearbeitung der Briefe zeigen. Die Chancen und Gefahren der Quellengattung liegen in diesem Punkt eng beieinander, da sich mit dem Grad an Subjektivität auch der Schein hoher Authentizität verbindet.


Militärgeschichte „von unten“

Die geschichtswissenschaftliche Erforschung erfuhr in den 1970/80er Jahren im Zuge der „neuen Geschichtsbewegung“ einen Aufschwung. „Geschichte von unten“ war das Ziel – auch mit Blick auf das Militär. 

Was die Feldpost angeht, so muss zunächst die Überlieferungslage berücksichtigt werden. Dabei fällt auf: Zum einen sind die Schriftzeugnisse der Ober- und Mittelschicht deutlich häufiger erhalten als die der Arbeiterschicht. Bei der soldatischen Perspektiven lassen sich große Unterschiede mit Blick auf sozialen Stand, Dienstrang und Einsatzort erkennen. Hier muss die Forschung Standortgebundenheit und die Perspektive, aber auch die individuellen sprachlichen Möglichkeiten der Schreiber einbeziehen.

Die Perspektive der Angehörigen und Familien – vor allem  der Frauen – ist noch seltener überliefert, weil es für die Soldaten im Einsatz schwierig bis unmöglich war, Briefe aufzuheben. Nur in Einzelfällen kamen die Sendungen etwa der Ehefrauen zur späteren Erinnerung wieder zurück nach Hause. Das führt dazu, dass dieser Blick auf den Krieg fast ausschließlich männlich geprägt ist.

Das Projekt „Kriegsbiographien“

Feldpostbriefe sind nicht nur für die Geschichtswissenschaft, sondern auch und gerade für die historisch-politische Bildungsarbeit eine wichtige Quelle. Die Auseinandersetzung mit ihnen und die historiografische Quellenkritik können gerade mit Blick auf Jugendliche einen wertvollen Beitrag dazu leisten, Geschichte anschaulich zu vermitteln und Medienkompetenz zu stärken.

Auch für den Volksbund haben diese Briefe großen historiografischen Wert. Darum hat das Team des Projekts „Kriegsbiographien“ eine umfangreiche Sammlung angelegt. Darüber hinaus sammelt, archiviert und erschließt es biografisches Material und weitere Selbstzeugnisse von Kriegstoten und Zeitzeugen. Viele Angehörige überlassen dem Volksbund Objekte und Dokumente zur Archivierung, damit die Schicksale der Kriegstoten nicht in Vergessenheit geraten. 
 

Lebenswege nachzeichnen

Historikerinnen und Historiker transkribieren Feldpostbriefe und biografischen Quellen und werten sie aus. Sie erhalten sie für die Nachwelt, machen sie der Forschung zugänglich und bereiten sie für Ausstellungen, Gedenkveranstaltungen und die Jugendarbeit des Volksbundes auf. In Form von Kurzbiographien – so genannten Kriegsbiographien – werden die Lebenswege der Kriegstoten nachgezeichnet und sind über die Gräbersuche-Online öffentlich zugänglich. Die Auswertung der Feldpostbriefe sind also ein wichtiger Teil der Arbeit des Volksbundes mit dem Ziel, den Toten ihre Identität zurückzugeben.

Mehr zu Heinrich Edler und seinem Leben: Heinrich Edler | Gräbersuche-Online 

Text: Franziska Haarhaus (Kontakt) / Flemming Menges (Kontakt)
 

Helfen Sie uns!

Das Team des Projekts „Kriegsbiographien“ ist in einer Aussendung an die Volksbund-Mitglieder vorgestellt – verbunden mit einem Aufruf: Wir suchen Nachlässe und Zeitzeugen. Noch können Augenzeugen Kriegserinnerungen schildern, doch ihre Zahl sinkt stetig. Helfen Sie uns, die Spuren der Kriegstoten und die Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkrieges zu bewahren und sichtbar zu machen!

Mail-Kontakt für Zeitzeugen: zeitzeugen@volksbund.de
Mail-Kontakt für biographisches Material/Nachlässe: kriegsbiographien@volksbund.de

 

Lesetipps

Didczuneit, Veit: „Schreiben im Krieg, Schreiben vom Krieg: Feldpost im Zeitalter der Weltkriege, [Konferenz im Museum für Kommunikation Berlin, 13. bis 15. September 2010]“, Essen 2011.

Ebert, Jens: „Will versuchen, Dir einen Brief zusammenzustoppeln.“ Aspekte proletarischer Feldpost im Ersten Weltkrieg, in: Arbeit – Bewegung – Geschichte 14,1 (2015), S. 37-53.

Fett, Ann-Katrin, Briefe aus dem Krieg: die Feldpost als Quelle von 1914 bis 1918, Stuttgart 2021. 

Hellmuth, H.: Die Deutsche Feldpost in den Kriegsjahren 1914/15, in: Archiv des öffentlichen Rechts 35, 2 (1916), S.123-166. 

Kilian, Katrin Anja, Das Medium Feldpost als Gegenstand interdisziplinärer Forschung: Archivlage, Forschungsstand und Aufbereitung der Quelle aus dem Zweiten Weltkrieg, Berlin 2001. 

Krüger, Clemens, Fronterfahrung und Heimatalltag im Ersten Weltkrieg: Feldpost als Quelle, Schwalbach 2010. 

Schmidt, Daniel: „Bin noch gesund und munter“: Gelsenkirchener Feldpost aus dem Großen Krieg 1914 – 1918, Essen 2014.

Ulrich, Bernd: Feldpostbriefe des Ersten Weltkrieges – Möglichkeiten und Grenzen einer alltagsgeschichtlichen Quelle, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 53 (1994), S. 73-83.


#volksbundhistory

Ob der Beginn einer Schlacht, ein Bombenangriff, ein Schiffsuntergang, ein Friedensschluss – mit dem Format #volksbundhistory möchte der Volksbund die Erinnerung an historische Ereignisse anschaulich vermitteln und dabei fachliche Expertise nutzen. Der Bezug zu Kriegsgräberstätten und zur Volksbund-Arbeit spielt dabei eine wichtige Rolle.

Die Beiträge werden sowohl von Historikern aus den eigenen Reihen als auch von Gastautoren stammen. Neben Jahres- und Gedenktagen sollen auch historische Persönlichkeiten und Kriegsbiographien vorgestellt werden. Darüber hinaus können Briefe, Dokumente oder Gegenstände aus dem Archiv ebenfalls Thema sein – jeweils eingebettet in den historischen Kontext.

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. ist ein Verein, der seine Arbeit überwiegend aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden finanziert.

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