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Gedenken und Versöhnung

Ein Besuch auf den Kriegsgräberstätten von Stalingrad

Am Ende des Textes finden Sie eine Fotostrecke mit 12 Aufnahmen (alle Fotos: Uwe Zucchi).

Über der deutsch-russischen Kriegsgräberstätte in Rossoschka liegt dicker Nebel. Der Boden ist glatt gefroren, scharfer Wind und Nieselregen lassen es kälter wirken, als es eigentlich ist. Etwa 70 Menschen, in Wintermänteln dick vermummt, bewegen sich vorsichtig über das Glatteis zur Kriegsgräberstätte. Der Morgen dieses 3. Februar 2018 gibt einen Eindruck des russischen Winters.

Vor 75 Jahren endete die Schlacht um die Industriestadt Stalingrad. Sie gilt als Wendepunkt des Zweiten Weltkrieges – in der deutschen wie der russischen Geschichtsschreibung. Über die Anzahl der Toten – nicht nur Soldaten, sondern auch Zivilisten – gibt es unterschiedliche Angaben. Allgemein geht man von rund 700.000 Menschen aus. Und jeder Mensch hinterließ Angehörige, die bis zuletzt hofften. Umsonst.

Die Besucherinnen und Besucher, die im Februar nach Wolgograd gereist sind - sie sind Enkel, Brüder, Neffen, Söhne und Töchter von deutschen Soldaten, die in Stalingrad starben oder vermisst sind. Eine Angehörige erzählt von ihren Gedanken, die sie vor der Reise hatte. „Die Deutschen haben den Krieg hierhergebracht. Was müssen die Russen über uns denken, wenn wir jetzt auf dem Friedhof um deutsche Soldaten trauern?“ Doch die Bedenken wurden zerstreut. Sie war gerührt, mit welcher Herzlichkeit sie von russischer Seite empfangen wurden.

Auf der sowjetischen und der deutschen Kriegsgräberstätte wurden Blumen und Kränze niedergelegt. Es war eine ruhige Veranstaltung, ein stilles Gedenken. Der Dean von Coventry sprach das Versöhnungsgebet sowie das Vaterunser auf den Stufen der Friedenskapelle, die den russischen und den deutschen Soldatenfriedhof verbindet.

„Alle haben gesündigt und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten.(Römer 3, 23)

Den Hass, der Rasse von Rasse trennt, Volk von Volk, Klasse von Klasse,

Vater, vergib.

Das Streben der Menschen und Völker zu besitzen, was nicht ihr Eigen ist,

Vater, vergib.

Die Besitzgier, die die Arbeit der Menschen ausnutzt und die Erde verwüstet,

Vater, vergib.

Unseren Neid auf das Wohlergehen und Glück der Anderen,

Vater, vergib.

Unsere mangelnde Teilnahme an der Not der Gefangenen, Heimatlosen und Flüchtlinge,

Vater, vergib.

Die Gier, die Frauen, Männer und Kinder entwürdigt und an Leib und Seele missbraucht,

Vater, vergib.

Den Hochmut, der uns verleitet, auf uns selbst zu vertrauen und nicht auf Gott,

Vater, vergib.

Seid untereinander freundlich, herzlich und vergebet einer dem anderen, wie Gott euch vergeben hat in Jesus Christus.(Epheser 4, 32)

Nach der Andacht gingen die 70 Teilnehmenden, unter denen auch etwa 30 Angehörige von Kriegstoten waren, zu den Namenwürfeln von Rossoschka. Dort nutzten sie die Zeit für ein stilles Gedenken. Einige legten Blumen nieder, andere Bilder ab.

Bei dem anschließenden Zusammentreffen in der Begegnungsstätte Rossoschka dankte der deutsche Botschafter Rüdiger Freiherr von Fritsch allen Anwesenden: „Sie machen hier das einfachste und schwierigste zugleich: am Frieden zu arbeiten.“ Wolfgang Schneiderhan, Präsident des Volksbunds dankte von Herzen allen Anwesenden, ganz besonders dem Team der Begegnungsstätte und auch den beiden jüngsten Angehörigen: Die 17-jährige Marietta und der 14-jährige Maximilian begleiteten gemeinsam mit den Eltern ihren Großvater nach Rossoschka.

Noch immer werden in dem Gebiet der ehemaligen Schlacht Gebeine gefunden. „Diese Stadt ist auf Knochen gebaut, so sagt man hier“ sagt eine junge Frau aus Wolgograd. Doch auch sie verspürt keinen Hass. „Meine Großmutter war hier in Stalingrad als Zivilistin. Und auch sie hat nie schlecht über die Deutschen gesprochen.“

Die ‚Dankbarkeit für die ausgestreckte Hand der Versöhnung‘ nach dem Leid, das das nationalsozialistische Deutschland 1941 gebracht hatte, betonte auch Wolfgang Schneiderhan. „Und diese Hand wollen wir festhalten, auch in raueren politischen Zeiten.“

Diane Tempel-Bornett