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Kriegsbiographien: Familie Lochner aus Nürnberg

Volksbund-Projekt beleuchtet eines von Millionen Schicksalen

Es war dunkel auf der Straße, als der Unfall passierte, denn wegen der Fliegerangriffe durfte des nachts keine Lichtquelle zu sehen sein. Die junge Frau, die die Verdunkelung im Haus von der Straße aus kontrollieren musste, geriet zwischen einen Bulldozer und einen Kohleanhänger und wurde so schwer verletzt, dass sie ein Bein verlor. Da war die Ältere der beiden Töchter noch nicht ganz fünf Jahre alt, die kleine erst gut zweieinhalb. Zum Glück waren die Großeltern da, die sich der Mädchen annahmen. Denn der Vater war im Krieg.

Es ist die Geschichte der Familie Lochner aus Nürnberg, die der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge mit dem Projekt Kriegsbiographien für die Nachwelt bewahrt. Das Team hat von der Familie Fotos, Briefe, Dokumente und detaillierte Schilderungen bekommen und aufgearbeitet. Ihr Beispiel steht für Millionen ähnlicher Schicksale und ist doch so einzigartig wie jedes einzelne von ihnen.

Vergebliches Warten auf die Heimkehr
Im November 1940, als der Unfall geschah, war Hans Lochner schon mehr als ein Jahr Soldat und damit weit weg von zu Hause. Kätchen Lochner kam nur schwer mit Holzbein und Krücken zurecht und bat den Gauleiter, ihren Mann nicht länger in den Krieg zu schicken. Schließlich war ihr Unfall wegen der angeordneten Verdunkelung und damit durch Kriegseinwirkung geschehen. Ohne Erfolg. Drei weitere Jahre und zwei Monate sollten vergehen, in denen die Familie hoffte, dass der Ehemann, der Vater bald wiederkehrt. Er fiel am 12. Januar 1944 bei Cervaro in Italien.

Zur Welt gekommen war er am 21. April 1910 als ältestes Kind von Johann und Elisabeth Lochner in Nürnberg. Er hatte zwei Brüder, Max und Bernhard, und eine Schwester, Elise. Seine Eltern hatten einen Kolonialwarenladen mit Kohlehandlung. Hans wurde Buchhalter.

Hochzeit an Weihnachten
Am ersten Weihnachtsfeiertag 1934 heiratete er Margarete - Kätchen - Seitz. Ein Jahr später – an Heilig Abend – kam ihre erste Tochter, Babette Elfriede, zur Welt. Im März 1938 bekam sie eine Schwester, Anneliese.

Als die Kleine fünf Monate alt war, wurde ihr Vater gemustert und zur Wehrmacht eingeteilt - Ersatz-Reserve II. Knapp ein Jahr später, im Juli 1939, folgte die Einstellung beim 2. (Ersatz) Infanterie-Regiment 21 in Nürnberg. Gleich zu Kriegsbeginn war der Soldat Hans Lochner in Polen und danach in Frankreich eingesetzt.

Cervaro, Italien, am 12. Januar 1944
Datiert ist die Todesnachricht auf den 19. Januar 1944. Hans Lochner sei am 12. Januar im italienischen Cervaro gefallen, heißt es in dem Schreiben an die Witwe  – „für die Freiheit Großdeutschlands in soldatischer Pflichterfüllung getreu seinem Fahneneide auf Führer, Volk und Vaterland“. Und weiter: „Die Gewißheit, dass Ihr Mann für die Größe und Zukunft unseres ewigen deutschen Volkes sein Leben hingab, möge Ihnen (…) Kraft geben und Ihnen ein Trost sein.“

Überbracht hatte die Nachricht der Ortsgruppenleiter am 8. Februar 1944. Er traf Mutter und Töchter gerade noch zu Hause an – sie wollten zum Hauptbahnhof, Hans Lochner abholen, der endlich auf Heimaturlaub kommen sollte. Kätchen Lochner verlor den Mut, schaffte sie es doch mit ihrem Handicap kaum noch, sich und ihre kleinen Kinder bei ständigen Luftangriffen in Sicherheit zu bringen.

Posthum zum Feldwebel befördert
Ein weiterer Brief gehört zum Nachlass, geschrieben von einem Kameraden des Gefallenen am 26. März 1944: „Sehr geehrte Frau Lochner! Ihren Brief vom 11.3.44 habe ich erhalten und will Ihnen so gut ich es kann, von den letzten Stunden Ihres Mannes (Auskunft) geben ...“. Lochner habe gerade den Wehrsold an die Soldaten in den Stellungen ausgezahlt und sei dann noch einmal aufgebrochen, um von der 13. Kompanie Leergefäße zurück zu holen. Von dort sei er nicht zurückgekommen.

Der 33-Jährige erlitt einen Bauch- und Lungenschuss und starb trotz sofortiger ärztlicher Versorgung noch auf dem Transport ins Lazarett. „Sie müssen bedenken, dass der Feind ständig die hinteren Stellungen mit Granatfeuer belegt“, schrieb der Kamerad der Witwe. Erst acht Tage später habe er erfahren, dass Hans Lochner gestorben sei. Posthum – am 17. April 1944 –  wurde der Gefallene zum Feldwebel befördert.

Suche nach wertvollem Eigentum
Fünf Tag später schrieb Hauptfeldwebel Irmer der Witwe und fragte sie, ob sie „die Nachlasssachen“ erhalten habe. Sie antwortete am 6. Mai: „Es fehlen der Ehering, ein goldener Siegelring, die ich beide sehr ungern vermissen möchte, außerdem die Brieftasche sowie der Füllhalter meines Mannes.“ Den Geldbeutel mit 245 Lire habe sie erhalten, aber: „Nachdem er so kurz vor dem Urlaub stand und das Jahr über kein Geld heim schickte, weiß ich bestimmt, dass er viel Geld bei sich trug.“

„Sollte es Ihnen keine zu großen Schwierigkeiten bereiten, so möchte ich Sie herzlich bitten, nach diesen Eigentumssachen, die für mich naturgemäß sehr wertvoll sind, nochmals nachforschen lassen zu wollen“, schrieb sie per Feldpost an den Hauptfeldwebel. Wie dringend ihre Familie und sie – gerade auch in Folge des Unfalls – auf das gesparte Urlaubsgeld angewiesen war, lässt sich nur vermuten.

An der Straße Monticelli-Esperia
Bestattet sei Hans Lochner auf dem Soldatenfriedhof an der Straße Monticelli-Esperia, so die Information an die Hinterbliebenen. Einen Trauergottesdienst hielten sie am 20. Februar 1944 in der Dreieinigkeitskirche in Nürnberg. Später wurden Kätchen Lochner und ihre Töchter in Nürnberg ausgebombt und getrennt evakuiert. Mitte April 1945 kamen sie in Neuhaus an der Pegnitz wieder zusammen.
 

Acht Jahre nach Kriegsende informierte der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge die Witwe auf Anfrage, dass Hans Lochner „auf der deutschen Sammelanlage ESPERIA-MONTICELLI, Provinz Frosinone, Anlage 1, Feld, 1 im Einzelgrab 38 ruht“. Heute ist er einer von rund 20.100 Kriegstoten, die nach Umbettungen auf der Kriegsgräberstätte Cassino zwischen Rom und Neapel begraben sind. Hier ruhen alle deutschen Soldaten, die im südlichen Teil des italienischen Festlands gefallen sind – südlich der Linie Pescara-Terracina.

Cassino, Italien, Block 20, Grab 260
Wer heute in Cassino am Grab 260 des Blocks 20 steht, stößt dort nicht nur auf einen Namen, sondern dank des Projekts Kriegsbiographien auch auf das Schicksal des Mannes, der dort begraben ist: Hans Lochner. Seine Tochter Elfriede hat dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge die Unterlagen zur Erfassung leihweise zur Verfügung gestellt – "weil ich dazu beitragen möchte, dass das Grauen und Geschehen dieses fürchterlichen Krieges niemals vergessen wird". Bei mehreren Angehörigen-Reisen des Volksbunds hat sie das Grab ihres Vaters in Cassino besucht.

Zum Nachlass gehört auch ein 40-seitiges Heft, in dem die Familienbiographie in Texten und Fotos eindringlich beschrieben ist (Bild anklicken):

Im Sinne der Volksbund-Arbeit ist das Andenken an Hans Lochner und seine Familie Erinnerung und Mahnung zugleich, dass es zu Frieden, Völkerverständigung und Versöhnung keine Alternative gibt.

Zum Projekt „Kriegsbiographien“
Das Team "Kriegsbiographien" sammelt private Nachlässe, denn die Erinnerung an das Einzelschicksal – ausgehend vom Kriegsgrab – rückt beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge umso mehr in den Vordergrund, je weniger Zeitzeugen noch berichten können.

Aufgrund der aktuellen Situation und der eingeschränkten Möglichkeiten, zu arbeiten, hat das Team des Projekts Kriegsbiographien folgende Bitte: Wer Teile von privaten Nachlässen an den Volksbund übergeben möchte – dauerhaft oder als Leihgabe –, möge sich vorab per Mail unter kriegsbiographien@volksbund.de melden. Das Team meldet sich zurück, sobald die Arbeit wieder in geordneten Bahnen verläuft und Nachlässe angenommen werden können.

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge ist ein gemeinnütziger Verein und versteht sich als eine international tätige, humanitäre Organisation. Er finanziert sich vor allem aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen.