Traditionell kommt auch die Jugend beim Volkstrauertag zu Wort: links Raisa Manosecu, rechts Aurelia Codruța Vârlan (Mitte: Präsident Wolfgang Schneiderhan). (© privat / Uwe Zucchi / privat)
Partnerland Rumänien: „Junge Stimmen“ beim Volkstrauertag
Zwei Frauen sprechen am 17. November im Bundestag über ihr Engagement in der Jugend- und Friedensarbeit beim Volksbund
Es ist die große Bühne: der Deutsche Bundestag mit Live-Übertragung im ZDF. Bei der zentralen Gedenkstunde werden Aurelia Codruța Vârlan und Raisa Manolescu über ihre Erfahrungen in der Friedenarbeit sprechen. Beide Rumäninnen engagieren sich für den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. – die eine bei PEACE LINE, die andere in internationalen Workcamps.
Aurelia (24) studierte Sicherheits- und Europastudien im siebenbürgischen Klausenburg. Seit März lebt und arbeitet sie in Berlin. Die 22-jährige Raisa studiert Jura in ihrer Heimatstadt Iaşi. Christina Söder hat mit ihnen gesprochen.
Was ist Ihre Verbindung zum Volksbund? Wie haben Sie von der Organisation gehört?
Raisa: Für mich war es ein großes Glück, vom Volksbund zu erfahren. Meine Deutschlehrerin in der Oberstufe, Anca Leaută, hat mir und einigen Freunden davon erzählt. Damals war ich 16. Sie ermutigte uns, zu einem Workcamp nach Stralsund zu fahren.
Ich war sehr nervös, denn es war das erste Mal, dass ich ohne meine Eltern ins Ausland fuhr. Aber die Nervosität hielt nicht lange an. Das lag an den Teamern, zu denen ich bis heute Kontakt habe. Sie waren sehr freundlich, gingen auf unsere Bedürfnisse ein und integrierten uns. Wegen ihnen wollte ich an weiteren Projekten des Volksbundes teilnehmen.
Aurelia: Ich habe den Volksbund durch PEACE LINE kennengelernt. Schon immer habe ich mich für den internationalen Dialog interessiert. Die Mission des Volksbundes, das Gedenken zu fördern und Brücken über Grenzen hinweg zu bauen, hat mich sofort angesprochen.
PEACE LINE hat es mir ermöglicht, mit Menschen in Kontakt zu treten, die genau die Ereignisse in der Vergangenheit erlebt haben, die wir heute untersuchen und an die wir uns erinnern. Es ist ein Weg, die Gegenwart mit den Augen derer zu sehen und zu verstehen, die das Gestern erlebt haben.
Raisa, Sie waren zunächst Teilnehmerin, dann Teamerin bei Workcamps. Was war Ihre wichtigste Erfahrung?
Raisa: Zuerst habe ich gar nicht in Erwägung gezogen, Teamerin zu werden. Bei drei Workcamps habe ich mitgemacht und es wären bestimmt noch mehr geworden. Aber dann hatte ich ein Gespräch mit einem Teamer, den ich von meinem ersten Workcamp kannte. Als er erfuhr, dass ich im NGO-Bereich arbeiten möchte, ermutigte er mich, es auch mal zu versuchen.
Ich bin sehr dankbar für alles, was mir der Volksbund geboten hat. Als Teamerin wollte ich etwas von der Energie zurückgeben, die ich selbst bekommen habe. Außerdem mag ich Herausforderungen. Teilnehmerin sein, ist die eine Sache. Man lernt viel, aber erfährt nicht, was hinter den Kulissen passiert. Ganz anders ist es, wenn man sich als Teamerin um die Organisation kümmern muss, einen Zeitplan entwirft und alles zusammenfügt.
Aurelia, welche Erfahrungen haben Sie bei PEACE LINE gemacht?
Aurelia: Die Teilnahme an der Blauen Route 2021 war eine bewegende Erfahrung. Einer der bedeutendsten Momente war für mich das Gespräch mit einem Zeitzeugen in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen – einem ehemaligen Stasi-Gefängnis, das für politische Verfolgung und Inhaftierung genutzt wurde. Dabei ging es nicht nur um die historischen Ereignisse, sondern auch um persönliche Geschichten von Überleben, um Widerstand und Verlust.
Ich war beeindruckt von der Freundlichkeit und der Art und Weise, wie der Mann mit Ruhe und Würde von traumatischen Erfahrungen berichtete. Seine Geschichten rührten mich zu Tränen, weil sie die Schrecken der Vergangenheit so real und greifbar machten. Das zeigte mir, wie viel wir von diesen Menschen lernen können und wie wichtig es ist, die Erinnerung an sie wach zu halten.
Abgesehen von diesen Momenten gab es in unserer internationalen Gruppe ein starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit, des Verständnisses und der tiefen Reflexion, das mir für immer in Erinnerung bleiben wird.
Und schließlich habe ich durch PEACE LINE auch meinen jetzigen Freund kennengelernt. Es ist schon interessant, wie ich mitten in der Erkundung der europäischen Vergangenheit einen besonderen Teil meiner Zukunft gefunden habe.
Was halten Sie vom Ansatz des Volksbundes, die Vergangenheit kennenzulernen, um eine bessere Zukunft zu gestalten?
Raisa: Ich war immer sehr beeindruckt davon. In Rumänien habe ich nicht das Gefühl, dass wir diese Art von Erinnerungskultur haben. Seit der Mittelstufe interessiere ich mich für Geschichte. Ich kannte früh die historischen Fakten des Zweiten Weltkriegs, aber ich habe nie richtig verstanden, welche Auswirkungen der Krieg auf uns Europäer hatte und immer noch hat.
Der Volksbund hat in dieser Hinsicht entscheidend geholfen. Die Möglichkeit, die menschliche Dimension des Konflikts kennenzulernen, trägt dazu bei, zu verstehen, welche Rolle man selbst bei der Bewahrung dieser Kultur spielt.
Aurelia: Ich glaube, dass der Ansatz des Volksbundes unglaublich wichtig und relevant ist. Indem man junge Menschen in Erinnerungsaktivitäten einbindet und Räume für den Dialog schafft, stellen man sicher, dass die Lehren aus der Vergangenheit nicht vergessen werden.
Der Volksbund konzentriert sich auf Schicksale – auf das Leben, das durch Kriege und Konflikte verändert wurde. Diese persönliche Verbindung trägt dazu bei, dass Geschichte greifbar wird.
Was bedeutet es für Sie, die zentrale Gedenkstunde am Volkstrauertag im Bundestag mitzugestalten?
Raisa: Als ich die Einladung bekam, war ich überwältigt. Ich bin sehr dankbar. 2024 ist ein Jahr, das die Bedeutung eines solchen Gedenktages besonders gut widerspiegelt. Es ist geprägt von bewaffneten Konflikten, von Krieg und Extremismus – von den Gräueltaten in der Ukraine bis zur Tötung von Zivilisten im Libanon und in Palästina.
Ich denke, im Alltag ist es nicht einfach, sich immer auf diese sehr schwierigen Themen zu fokussieren. An einem solchen Gedenktag erinnern wir nicht nur an die Gefahren, die diese Konflikte für die Demokratie und den Frieden darstellen, sondern auch an unsere aktive Rolle, die wir bei der Erhaltung oder Wiederherstellung der Friedenskultur spielen müssen.
Aurelia: Die Teilnahme am Volkstrauertag ist eine große Ehre, insbesondere für jemanden, der vor kurzem nach Deutschland gezogen ist. Es ist eine Gelegenheit, nicht nur über die gemeinsame Geschichte zwischen Deutschland und Rumänien nachzudenken, sondern auch über die gesamte europäische Erfahrung von Teilung, Konflikt und Versöhnung.
Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
Raisa: Gerade schreibe ich meine Bachelorarbeit. Anschließend möchte ich einen Master machen, vielleicht in europäischem Recht. Außerdem möchte ich an mehr Jugendprojekten und -programmen teilnehmen, um ins Ausland zu reisen und mehr über Bürgerbeteiligung und Menschenrechte zu lernen.
Allerdings werde ich immer in mein Land und meine Stadt zurückkehren, da ich mit beiden sehr verbunden bin. Ich möchte gerne im NGO-Sektor arbeiten. Die Arbeit an der Basis ist weitgehend unsichtbar und nicht gerade glanzvoll. Aber ich glaube, dass Menschen, die sich für lokale Themen einsetzen, am Ende des Tages etwas bewirken können, auch wenn es nur ein kleiner Beitrag ist. Ich hoffe, dass auch ich einen kleinen, positiven Einfluss auf meine Stadt haben kann.
Aurelia: Es liegt mir sehr am Herzen, weiterhin Wege zur Förderung des Dialogs und der Verständigung zu suchen wie internationale Zusammenarbeit, Konfliktlösung oder politischen Aktivismus. Gleichzeitig fasziniert mich die Frage, was Menschen zu ihrem Handeln bewegt. Deshalb spiele ich mit dem Gedanken, noch Neuro- oder Verhaltenswissenschaften zu studieren.
Liebe Raisa, liebe Aurelia, vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für Ihre Zukunft!
Live aus dem Bundestag
Auch in diesem Jahr überträgt das ZDF wieder live aus dem Bundestag: Die zentrale Gedenkstunde des Volkstrauertages am Sonntag, 17. November 2024, beginnt um 13.30 Uhr.
Mehr zum Volkstrauertag, zu Hintergründen und zur zentralen Gedenkstunde unter: Volkstrauertag – Gedenkstunde | Volksbund.de
Eine Übersicht aktueller Termine zum Volkstrauertag 2024 finden Sie im Gedenkportal.
Jugend- und Bildungsarbeit
Aurelia und Raisa engagieren sich in der Jugend- und Bildungsarbeit des Volksbundes. Diese gibt es bereits seit 1953. Rund 38.000 junge Menschen erreicht der Volksbund jährlich mit seinen Angeboten — dazu zählen PEACE LINE und internationale Jugendbegegnungen & Workcamps.