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Schicksale von NS-Opfern dem Vergessen entrissen

Am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus informieren Schülerinnen über den Friedhof Südring und die dort bestatteten Zwangsarbeitskräfte.

Werne. Am 27. Januar 2023 standen fünf Schülerinnen des Anne-Frank-Gymnasiums Werne, trotz eisiger Kälte von acht Uhr bis 13 Uhr auf dem St-Christopherus-Kirchplatz. Ihr Ziel war es, die Bevölkerung der Stadt Werne auf den Gedenktag und die damit verbundene Kranzniederlegung auf der Gedenkstätte Zwangsarbeit Werne am Südring um 17 Uhr hinzuweisen. Unterstützung fanden sie dabei bei ihren Lehrkräften, Christina Buttkereit und Johannes-Joachim Brysch, und bei Vanessa Schmolke vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V., Landesverband NRW.
 

Ein Jahr zuvor übernahm das Anne-Frank-Gymnasium die Patenschaft über den sogenannten „Russischen Friedhof“ am Südring in Werne. Durch die Bemühungen der Schülerinnen wurde dieser nun in „Gedenkstätte Zwangsarbeit Werne“ umbenannt, denn Recherchen haben ergeben, dass die Beerdigten unterschiedlichen Nationalitäten angehörten. Das einzige, was die 111 Personen gemeinsam teilten, war die Arbeit, zu der sie gezwungen worden waren. Dabei handelt es sich nicht nur um Männer, sondern ebenso um Frauen und Kinder. Die Arbeitsgruppe (AG) „WEREmember – Erinnerung wachhalten“, der die fünf Schülerinnen angehören, hat es sich im Projektverbund mit dem Stadtmuseum Werne und dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. zur Aufgabe gemacht, den Friedhof und die damit verbundenen Schicksale in das Bewusstsein der Bevölkerung zu rücken. Abseits der Straße neben der Kläranlage geriet der Friedhof langsam in Vergessenheit.

Um gegen das Vergessen anzugehen, haben die Schülerinnen den Friedhof "für einen Vormittag in die Innenstadt geholt". Von morgens bis mittags standen 111 Stühle, für jedes Grab ein Stuhl mit einer Grabkerze, auf dem Kirchplatz. Die Schülerinnen informierten Interessierte über den Friedhof und das Leid, dem die Zwangsarbeitskräfte während des Zweiten Weltkrieges in der Rüstungsindustrie ausgesetzt waren. Außerdem luden sie die Passanten und Passantinnen ein, an der Gedenkveranstaltung am Nachmittag desselben Tages auf dem Friedhof am Südring teilzunehmen. Die Aktion löste mehrheitlich positive Reaktionen bei den Passantinnen und Passanten aus. Viele empfanden die Idee der aufgestellten Stühle als großartig und wichtig. Sie bewunderten die Schülerinnen für ihren Einsatz und forderten sie auf, mit der Gedenkarbeit weiterzumachen. 

Eine Stunde vor Beginn der Gedenkzeremonie waren die Schülerinnen bereits wieder aktiv. Sie zündeten für jedes einzelne Grab auf dem Friedhof eine Grabkerze an. Ein letztes Mal studierten sie ihren Text, bevor gegen 17 Uhr die ersten Teilnehmenden eintrafen. Rund 50 Personen fanden sich schließlich ein, als die AG mit ihrer Präsentation startete. Jede Schülerin, auch ihre Lehrkräfte, stellten sich an ein bestimmtes Grab. Der Reihe nach stellten sie diejenige Person vor, an deren Grab sie jeweils standen. Unter ihnen war die junge Russin Maria Libidinjewa, die drei Tage nach der Geburt ihres Sohnes Nikolay an Wochenbettfieber im Alter von 20 Jahren im Krankenhaus an der Burgstr. 47 in Werne verstarb. Sie war zur Zwangsarbeit in der Zeche Werne eingesetzt. Ihr Sohn sollte nur ein Jahr leben, bevor er im selben Krankenhaus an einer Blutvergiftung nach einer Mittelohrentzündung starb. Der 16 Jahre alte Viktor Kriwoj aus Russland, der als Bergmann für die Klöckner-Werke AG in der Zeche Zwangsarbeit leistete, wurde am 30. Juli 1943 an der Gabelung der Lippe tot aufgefunden. Er starb durch Ertrinken. Bis heute bleibt unbekannt, ob es sich lediglich um einen Unglücksfall handelte. Der einzige Rumäne auf dem Friedhof, Tudor Dobre, starb mit 22 Jahren im Werner Krankenhaus an Typhus. Dies sind nur wenige Schicksale von Menschen, die auf diesem besonderen Friedhof bestattet sind. Die AG hat es sich zur Aufgabe gemacht, alle Lebensgeschichten aufzuarbeiten, um sie nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Im Anschluss wurde die Stele eingeweiht, die die Schule in Gedenken an die Kriegstoten auf der Kriegsgräberstätte errichten ließ. Der Bürgermeister Lothar Christ hielt an dem neuen Denkmal eine Rede, in der er betonte, wie wichtig der Gedenktag ist, um die Verbrechen der Nationalsozialisten nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Ausdrücklich lobte er die Arbeit und das Engagement der Schülerinnen. Das Gedenken endete mit einer Schweigeminute an den Kränzen, die vom Bürgermeister, vom Bündnis 90/Die Grünen, von der SPD und schließlich vom Volksbund niedergelegt worden waren.
 

Text und Fotos: Vanessa Schmolke