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Verdrängte Schicksale - Kriegsgefangene im Fokus

Volksbund-Kamingespräch in Moskau zu deutsch-russischer Erinnerungskultur

Das zweite „Kamingespräch“, das der Volksbund gemeinsam mit der Deutschen Botschaft in Moskau ausrichtete, thematisierte „Kriegsgefangene in der russischen und deutschen Erinnerungskultur“. Wie kann man 75 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Schicksale klären? Dazu gibt es ein gemeinsames deutsch-russisches Projekt, das der Volksbund mit seinen Partnern realisiert.

Junge russische Musiker begleiteten die Veranstaltung mit dem „Quartett für das Ende der Zeit“, geschrieben von dem Franzosen Olivier Messiaen in deutscher Kriegsgefangenschaft.

Namen zurückgeben, Biografien klären
Zwei Filmausschnitte, die nach den Ansprachen und während der Diskussion eingespielt wurden, visualisierten das Thema. Der erste zeigte die grausame Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen, die in Deutschland, in der eroberten Ukraine oder im besetzten Polen unter unmenschlichen Bedingungen eingepfercht waren und ums Überleben kämpften: verzweifelte Gesichter hinter Stacheldraht.

Der zweite Ausschnitt aus dem Film „Heimkehr der Zehntausend“ zeigte die Atmosphäre des Jahres 1955 in Deutschland, als Konrad Adenauer dafür sorgte, dass die letzten deutschen Kriegsgefangenen zurückkommen konnten. Doch um ihre Traumata kümmerte sich niemand.

Erste Datensätze aus deutschen Beständen
Von den ca. 5,7 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen kam fast die Hälfte ums Leben. „Unrecht, das man nie vergessen darf“ mahnte Präsident Wolfgang Schneiderhan in seiner Rede. „Den Gefangenen ihre Namen zurückgeben, ihre Biographien recherchieren und so ihre Schicksale klären, dies ist auch 75 Jahre nach Kriegsende noch immer eine enorm wichtige Aufgabe.“ Dr. Heike Winkel, beim Volksbund zuständig für das Projekt „Sowjetische und deutsche Kriegsgefangene und Internierte“ schilderte in der Diskussion, wie die Archivsuche funktioniert.

Der russische Außenminister Sergey Lawrow und sein damaliger Amtskollege Frank-Walter Steinmeier hatten das Projekt mit einer gemeinsamen Erklärung im Juni 2016 ins Leben gerufen und den Volksbund mit der Umsetzung beauftragt. In der Anfangsphase wurden erste Datensätze erhoben, vor allem aus dem Militärarchiv der Russischen  Föderation. Im April sollen in St. Petersburg erstmals Bestände aus einem deutschen Archiv, namentlich dem Bundesarchiv, an die russische Seite übergeben werden.

Der Krieg und seine Verbrechen wurden verdrängt
Deutschland war im Wiederaufbau, das Wirtschaftswunder begann. So endet der Film mit dem Satz „Endlich Frieden“. Das bedeutete auch, dass man nichts mehr wissen wollte von Krieg, Schuld und den begangenen Verbrechen. Auch das Schicksal der Zwangsarbeiter und der Kriegsgefangenen wurde verdrängt. Aber während die deutschen Heimkehrer mit offenen Armen aufgenommen wurden, war das bei den sowjetischen Gefangenen ganz anders.

Irina Tscherbakowa von der Menschenrechtsorganisation „Memorial“ erklärt:  “Als angebliche Verräter oder Spione landeten viele der sowjetischen Kriegsgefangenen in Arbeits- und Straflagern. Die Rückkehrer waren auf Jahre hin gebrandmarkt und verachtet.“ Erst in der Phase der Perestroika wurden sie rehabilitiert, eine Wiedergutmachung gab es nie, weder von russischer noch von deutscher Seite.

Mitleid statt Rache
Ähnliches galt auch für die sogenannten „Ostarbeiter“, die zwangsweise von den Nazis nach Deutschland verschleppt wurden. Als billige Arbeitskräfte in fast allen großen deutschen Unternehmen ausgebeutet, wurden viele niemals entschädigt, ihr Schicksal von der deutschen Gesellschaft vielfach verdrängt. Während ihrer Gefangenschaft in Russland wurden deutsche Kriegsgefangene hingegen oftmals von der russischen Bevölkerung versorgt, schildert Tscherbakova ihre Recherchen: „Statt Rache Mitleid, auch das war ein Stück Realität.“

„Der Wille zur Versöhnung zeigt sich auch in der Aufbereitung schwierigster Geschichte“, sagt der deutsche Botschafter in der Russischen Föderation, Geza Andreas von Geyer. „Der Austausch von Daten über Kriegsgefangene ist dafür ein gutes Beispiel.“

Generation der Enkel sucht ihre Großväter
Annika Estner vom Suchdienst des Roten Kreuzes in München schilderte, dass jedes Jahr noch immer 10.000 Anfragen nach Vermissten eintreffen: Die Generation der Enkel sucht die Großväter.

Nach der fast zweistündigen Veranstaltung in der Residenz überreichte die russische Malerin Alla Tsvetkova als Geste der Versöhnung dem Botschafter ihr Gemälde mit der „Mutter Heimat“ aus Wolgograd. „Jeder Soldat hat eine Mutter, sagte sie „und jede hat auf ihren Sohn gewartet. Die Mutter an der Wolga ist unser aller Mutter. Von Russen und Deutschen."

Presse-Echo
Inzwischen haben sowohl die russische Nachrichtenagentur "RIA Nowosty" als auch verschiedene russische Zeitungen über den Kaminabend berichtet - zum Beispiel "Gazeta" und "Rossijskaja Gazeta" sowie die Plattformen "lenta.ru" und "vz.ru". Im Vordergrund stand dabei die angekündigte Übergabe deutscher Informationen im April. "Die Erwartungen sind hoch", sagte Dr. Heike Winkler. Sobald Zeitpunkt und Ort der Übergabe feststehen, werde der Volksbund noch einmal die Hintergründe beleuchten.

Hermann Krause