Treffen im Dezember in Flensburg und Oksbøl: Lehramtsstudentinnen und -studenten aus Dänemark und Deutschland arbeiten in Kleingruppen. (© Vasco Kretschmann)
Volksbund leitet deutsch-dänisches Bildungsprojekt
Angehende Lehrkräfte erarbeiten Lernmaterial für Kriegsgräberstätte Oksbøl
Rund 30 Geschichtsstudentinnen und -studenten aus Deutschland und Dänemark entwickeln didaktische Konzepte und erarbeiten Material für die Kriegsgräberstätte Oksbøl. Eine Kooperation zwischen dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. und je zwei dänischen und deutschen Universitäten macht das möglich. Gefördert wird das Projekt aus dem Bürgerprojektfonds „Interreg“.
Es ist eine Win-win-Situation, die seit September online und in zwei Präsenzseminaren entstanden ist: Die zukünftigen Pädagoginnen und Pädagogen sammeln internationale Erfahrungen und entwickeln Arbeitsunterlagen für die Praxis; der Volksbund wiederum nutzt die Kriegsgräberstätte Oksbøl als Lernort und fördert zugleich den deutsch-dänischen Dialog.
Binationale Zusammenarbeit
„Das Begeisternde daran ist die Chance, an einem binationalen Projekt mitzumachen“, sagt Dr. Astrid Schwabe, Professorin für Geschichte und Geschichtsdidaktik an der Europa-Universität Flensburg. Auf dänischer Seite sind das University College Syd in Esbjerg und Haderslev und das University College Lillebælt in Jelling und Odense beteiligt und auf deutscher die Europa-Universität Flensburg und das Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam.
Außerdem sei es für die Studentinnen und Studenten wichtig, nicht nur über Geschichtsvermittlung in der Schule nachzudenken, sondern auch über Geschichte im öffentlichen Raum – wie in diesem Fall auf dem Friedhof, betont die Flensburger Professorin. Denn die entstehenden Lernmaterialien sind nicht nur für Schulklassen gedacht. Sie sollen auch außerhalb von Schulen eingesetzt werden.
Unterschiedliche Perspektiven
Deutschland und Dänemark haben zwar eine gemeinsame Geschichte, doch der Blick darauf ist oft unterschiedlich. Indem die Studentinnen und Studenten sich mit der Kriegsgräberstätte auseinandersetzen, reflektieren sie auch ihre eigene Geschichte sowie die ihres Landes und gewinnen Einblicke in die Perspektive des Nachbarlandes. Das Kennenlernen der verschiedenen Blickwinkel und Erfahrungen empfindet Astrid Schwabe als „extrem erhellend und horizonterweiternd.“
Ähnlich sieht es auch Hildegunn Johannsen, Geschichtsdozentin am University College Syd: „Es ist sehr spannend, zwei Perspektiven kennenzulernen. Trotz aller kulturellen Unterschiede gibt es die Bereitschaft, an einem Strang zu ziehen.“
Dr. Carolin Elisabeth Weber, bis 2024 Postdoc am „Centre for Border Region Studies“ der University of Southern Denmark, weist darauf hin, dass Dänemark im deutschen Geschichtsbild in der Regel nicht auftauche: „Man lernt in deutschen Schulen nichts über Dänemark im Zweiten Weltkrieg. Man lernt aber in dänischen Schulen sehr viel über Deutschland.“
Unangenehme Fragen
Weber hält die Beschäftigung mit der Kriegsgräberstätte Oksbøl für eine Herausforderung. Das Thema gehe weit über die Grenzbeziehungen der beiden Nachbarländer hinaus, denn es betreffe viele Menschen, die gar nicht aus der Grenzregion kommen. Es „triggere” auch die Frage nach Schuld und Verantwortung, denn dort seien viele Frauen und Kinder ums Leben gekommen.
In den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges hatten mehr als 250.000 Flüchtlinge Dänemark erreicht. Das Land befand sich unter nationalsozialistischer Besatzung und wurde zum Auffangbecken für Frauen, Kinder und alte Menschen, die aus Ost- und Westpreußen sowie Pommern geflohen waren.
Neue und frische Konzepte
Nach Kriegsende durfte Dänemark die Flüchtlinge zunächst nicht abschieben. Man richtete Internierungslager ein, damit die unliebsamen Deutschen unter sich blieben. Heute dokumentiert das FLUGT Museum Oksbøl in direkter Nachbarschaft der deutschen Kriegsgräberstätte die historischen Ereignisse. Dort sind 121 deutsche Soldaten und 1.675 Flüchtlinge bestattet, die im Lager gestorben sind.
Wie vermittelt man diesen Teil deutsch-dänischer Geschichte? Der Lehrernachwuchs aus beiden Ländern hat neue und frische Konzepte entwickelt. Dazu gehören beispielsweise ein quellenbasierter Audioguide über den Friedhof, ein Tagebuchprojekt und eine Friedhofsrallye.
Zweisprachige Publikation
Geplant ist, die Lernmaterialien im kommenden Jahr zweisprachig zu veröffentlichen. Für Marlin Mäbert aus Berlin war genau das die Motivation: Verantwortung zu bekommen und „Material zu entwickeln, das in der Praxis angewendet wird.“
„Die Kriegsgräberstätte Oksbøl hat sich aus zwei Gründen für das Hochschulprojekt angeboten“, sagt Dr. Vasco Kretschmann. Er leitet den Fachbereich Friedenspädagogisches Arbeiten an Schulen und Hochschulen. „Erstens bietet der Volksbund dort seit vielen Jahren internationale Workcamps an und zweites hat die Kriegsgräberstätte mit dem 2021 eröffneten FLUGT-Museum eine ganz neue Aufmerksamkeit erhalten.“ Kretschmann hat das Projekt geplant und mit Bildungsreferentin Vicky Hagedorn vom Landesverband Schleswig-Holstein organisiert.
Neue Ausstellung für Oksbøl
Für die deutsche Kriegsgräberstätte erarbeitet der Volksbund derzeit eine neue Ausstellung – ein ausgezeichneter Anlass, Lernmaterialien für Jugendgruppen entwickeln zu lassen, so Kretschmann. „Studierende lernen nicht nur sehr viel dabei, sondern bieten uns auch frische Ideen für die pädagogische Arbeit an diesem Ort.”
Einen Beitrag zur Eröffnung des FLUGT Museums und zur Kooperation mit dem Volksbund finden Sie hier: Geschichten von Flucht und Vertreibung modern erzählt.
Der Volksbund ist...
... ein gemeinnütziger Verein, der im Auftrag der Bundesregierung Kriegstote im Ausland sucht, birgt und würdig bestattet. Fast 12.000 waren es im vergangenen Jahr. Der Volksbund pflegt ihre Gräber in 45 Ländern und betreut Angehörige. Mit seinen Jugend- und Bildungsangeboten erreicht er jährlich rund 38.000 junge Menschen. Für seine Arbeit ist er dringend auf Mitgliedsbeiträge und Spenden angewiesen.