Volksbund Logo Desktop Volksbund Logo Mobil
Gräbersuche Mitglied werden Jetzt spenden Spenden

Wie mein Vater Bürgermeister wurde

Kriegsende in Schmittlotheim an der Eder

Autor: Helmut Baumann

Am 29. März 1945, es war ein Gründonnerstag, da kam morgens um 9.00 Uhr der Ortslandwirt Heinrich Arnold mit einem Feldwebel der deutschen Wehrmacht zu uns auf den Hof. Er verlangte ein Pferd für ihren Militärwagen. Mein Vater bekam dafür ein Pferd, das die deutschen Soldaten nicht mehr gebrauchen konnten.

Wenig später hörte man schon dumpfe Geräusche von Panzern aus Richtung Frankenberg/Marburg. Wir Jungen und auch einige ältere Männer standen auf der Straße und beobachteten den Rückzug der deutschen Soldaten mit ihren Pferdewagen.

Da sprangen zwei SS-Soldaten vom Wagen. Einer zog meinen Freund, der 14 Jahre war und mich auf den Wagen. Wir sollten noch mit zur Verteidigung. Mein Glück war, dass mein Großonkel dabei war, der holte mich von Wagen runter und sagte, der bleibt hier, der ist erst 12 Jahre.* Einige meiner älteren Schulfreunde hatten sich morgens schon vor der SS im Wald versteckt. (* Der Freund kam nach wenigen Tagen unversehrt nach Schmittlotheim zurück)

 

Am nächsten Tag wurde dann unser Dörfchen von den Amerikanern besetzt. Als erstes ließ der Kommandant alle Zwangsarbeiter zusammen holen. Diese wurden dann befragt, welcher Arbeitgeber, also welcher Bauer am besten zu ihnen gewesen war, den sollten sie holen. Daraufhin holte unsere Sophia, eine Polin, meinen Vater. Der Kommandant ernannte ihn zum Bürgermeister.

Dann mussten einige Familien ihre Häuser räumen, die von den Amerikanern besetzt wurden. In Schmittlotheim waren Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus vielen Länder: Polen, Russland, Frankreich. Wir hatten auf unserem Bauernhof, da meine beiden Brüder beim Militär waren, einen Jungen, Alex aus der Ukraine, er sprach perfekt deutsch. Und Sophia, sie kam aus Warschau. Ihr Vater war Dirigent an der Warschauer Staatsoper, sie war erst 15 Jahre. Sie war in Warschau auf der Straße von der SS gefangen worden, in einen Güterwagen gesperrt und ab nach Deutschland verschleppt worden.

Nach der Besetzung wurde vom Kommandanten eine Ausgangssperre verhängt. Nur wer unbedingt reisen musste, bekam einen Passierschein ausgestellt. Einen solchen Passierschein hatte mein Vater, er musste von der Besetzung an, bis fast Ende Mai, als Bürgermeister mit seinem Pferdefuhrwerk jede Woche einmal durch den Wald nach Ederbringhausen in die Bäckerei Zissel und einen Wagen Brot holen. Dabei musste ich mit, als Bremser und aufpassen, dass kein Brot vom Wagen fiel. Dann wurde das Brot bei uns auf dem Hof, an die Personen die Brotmarken hatten verteilt. Obwohl mein Vater einen Passierschein hatte, durfte er mit dem Fuhrwerk nicht auf der (Bundes-)Straße fahren.

Tageszeitungen gab es auch keine mehr. Ab Samstag dem 7. Juli 1945, wurde von den Besatzungstruppen wieder ein Amtsblatt für den Kreis Frankenberg erlaubt. Es bestand aus einer gefalteten DIN A 3 Seite, die jeden Samstag zum Preis von 5 Pfennigen (Später kostete es 10 Pfennige) verteilt wurde. Ab dem 30. August 1949, wurde die wöchentliche Lieferung des Amtsblattes eingestellt. Jetzt gab es wieder täglich unsere gute alte Frankenberger Zeitung.

Zu Sophia aus Warschau, die von 1943 bis Kriegsende bei uns in der Landwirtschaft war, kann ich noch etwas erzählen: 1983 bekam ich eine Anfrage vom Deutschen Roten Kreuz mit der Bitte um Bestätigung, dass sie bei uns auf dem Hof gewesen war. Ich nehme an, sie benötigte das für Rentenansprüche. Von da an entstand ein reger Briefwechsel und einige Jahre kam sie jährlich zu Besuch nach Schmittlotheim. Als Sophia 1985 zum ersten Mal hier war und das Haus betreten wollte, fing sie an zu weinen und sagte: Helmut, wenn deine Eltern nicht so liebevoll zu mir gewesen wären, dann wäre ich nie mehr nach Deutschland gekommen.

1989 besuchte ich sie gemeinsam mit meiner Frau in Warschau. Sophia starb 1992, aber bis heute schreiben wir mit ihrer Schwiegertochter und ihren Enkelkindern.

 

Testuser