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Zwischen Dauerfrost und Tauwetter

Hermann Krause über Joe Biden und die russisch-amerikanischen Beziehungen

Brief aus Russland: Hermann Krause, Büroleiter des Volksbundes in Moskau, berichtet über die aktuellen Entwicklungen nach der Wahl des US-Präsidenten Joe Biden und über seine schnelle Abrüstungseinigung mit Wladimir Putin:

Es ist ein legendäres Foto. Da ist der junge Joe Biden zu sehen, wie er dem damaligen Außenminister der Sowjetunion, André Gromyko, die Hand reicht. Der junge Senator aus Delaware und der dienstälteste Außenminister der Welt. Beide schauen sich neugierig an, mit ein wenig Misstrauen. Dieses Bild könnte auch für die zukünftigen Beziehungen zwischen Russland und den USA bezeichnend sein.

In Moskau hat man mit Genugtuung registriert, dass der neue US-Präsident Biden sich von Anfang an bereit zeigte, den auslaufenden New START-Vertrag (Strategic Arms Reduction Treaty) zu verlängern. Dieses Ab-kommen ist der einzige noch existierende Abrüstungsvertrag zwischen den beiden atomaren Großmächten, abgeschlossen 2010 von Barack Obama und Dmitri Medwedew.

Donald Trump: Nur mit Peking

Der New START-Vertrag sieht eine Reduzierung der Trägersysteme auf 800 und der Sprengköpfe auf je 1.550 Stück vor. Nach schwierigen Verhandlungen trat das Abkommen am 5. Februar 2011 in Kraft, begrenzt ist es auf zehn Jahre. Am 5. Februar dieses Jahres wäre der Vertrag ausgelaufen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow hatte mehrfach signalisiert, dass Russland zu einer Verlängerung bereit sei.

Donald Trump hingegen hatte immer wieder auf China verwiesen: Ohne Peking gebe es keinen Vertrag. Die Volksrepublik, die gerade dabei ist, ihr Atomwaffenarsenal aufzubauen, hat aber keinerlei Interesse, an Abrüstungsverhandlungen teilzunehmen. Somit war eine Fortführung des Vertrages unter Trump von vorn-herein zum Scheitern verurteilt.

In dem ersten Telefonat, das Joe Biden und Wladimir Putin führten, wurde nun ohne große Diskussion eine Vertragsverlängerung für fünf Jahre beschlossen. Die entsprechenden Noten wurden umgehend ausgetauscht, das russische Parlament, die Duma, ratifizierte bereits die Verlängerung.

Vom „Reich des Bösen“ bis zu Alexej Nawalny

Das Ganze erinnert an die Situation unter Ronald Reagan und Michail Gorbatschow. Reagan bezeichnete die Sowjetunion damals als „Reich des Bösen“. Am Ende aber unterzeichneten er und Gorbatschow 1987 den am weitesten reichenden Abrüstungsvertrag überhaupt, den INF-Vertrag. Durch ihn verschwanden die atomaren Kurz-und Mittelstreckenraketen aus Europa.

Den INF-Vertrag ließ Donald Trump 2019 ohne weitere Verhandlungen auslaufen, seitdem werden Raketen dieser Reichweite wieder neu entwickelt und produziert, sowohl in den USA als auch in Russland. Somit könnte die Verlängerung von New START der Beginn eines „Tauwetters“ sein. Denn das Klima zwischen Moskau und Washington ist nicht nur kühl, es ist eisig.

Die Demokraten unterstellen Russland nach wie vor, Trump vor vier Jahren zum Wahlsieg verholfen zu haben. Zudem hat die letzte, groß angelegte Cyber-Attacke aus Russland gegen US-Behörden und Unternehmen dazu geführt, dass die Abneigung gegen das autoritäre System Putin nur noch größer wurde. Laut CNN hat Biden gegenüber Putin deutlich gemacht, dass die USA auf weitere Cyber-Angriffe entsprechend reagieren werden. In beiden Häusern des US-Kongresses herrscht eine extrem antirussische Stimmung.

Hinzu kommt die Vergiftung des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny. Dass er unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Russland sofort wieder inhaftiert wurde, hat parteiübergreifend im US-Senat und im Repräsentantenhaus zu scharfen Reaktionen geführt. Auch das Vorgehen gegen friedliche Demonstranten in Russland am vergangenen Wochenende wurde in Washington kritisiert, weitere Sanktionen sind im Gespräch. Nawalny ist mittlerweile zu einer Person auf der internationalen Bühne geworden. Der Versuch, ihn zu töten und der Umgang der russischen Regierung mit ihm haben dazu geführt, dass seine Popularität weltweit gestiegen ist. In Zukunft wird sich auch Präsident Wladimir Putin daran messen lassen müssen, wie Russland den Oppositionspolitiker und seine Anhänger behandelt.

Baustopp für Nord-Stream II?

Das Europaparlament verlangt von der EU wegen der neuerlichen Verhaftung Nawalnys, das Gaspipeline-Projekt Nord-Stream II auszusetzen. Ebenso Politiker in Polen, im Baltikum und in den skandinavischen Staaten. In Deutschland fordert der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen, seit langem einen Baustopp. Auch wenn das wegen der fälligen Konventionalstrafen illusorisch ist und die EU oder auch die Bundesregierung keinerlei Handhabe für einen Baustopp haben, zeigt sich: Das Verhältnis zwischen Ost und West ist um den „Faktor Nawalny“ erweitert worden.

Der Oppositionspolitiker lenkt aus dem Gefängnis nicht nur seine Anhänger, er mischt indirekt in den internationalen Beziehungen mit. Dennoch bleibt zu hoffen, dass der Versuch, atomar abzurüsten, nicht durch Tagespolitik auf beiden Seiten des Atlantiks beeinträchtigt wird. Der New-START-Vertrag ist zwar verlängert worden, aber der INF-Vertrag muss neu verhandelt werden. Wenn möglich mit China – wenn sich Peking weigert, dann ohne China. Denn Russland und die USA verfügen über 90 Prozent der Atomwaffen.

Auch der Open-Sky-Vertrag, den Trump im November ebenfalls grundlos hatte auslaufen lassen, gehört auf die Tagesordnung. Erst jetzt zeigt sich, welchen Schaden der letzte US-Präsident außenpolitisch angerichtet hat. Das Abkommen über den „Offenen Himmel“, das 1992 in Kraft getreten war, erlaubte es, eine bestimmte Anzahl von Beobachtungsflügen über dem Gebiet der jeweiligen Vertragsstaaten durchzuführen. Ein wichtiges Kontrollinstrument – die ursprüngliche Idee stammt sogar vom US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower. 37 Jahre dauerte es bis zur Umsetzung.

Trump ließ alle Angebote des Kreml zur Verlängerung außer Acht, nun muss der Vertrag neu verhandelt werden. Denn eine Alternative zur Begrenzung oder zur Vernichtung von Atomwaffen gibt es nicht. Während in den 1990er Jahren in Deutschland Hunderttausende gegen Aufrüstung demonstrierten, scheint das Thema heute aus dem öffentlichen Bewusstsein auch in anderen europäischen Staaten fast verschwunden zu sein. Doch immer noch könnte sich die Weltbevölkerung dutzende Male nuklear selbst vernichten. Auch die Verlängerung des New START-Vertrages wird daran nichts ändern, aber es ist eine wichtige vertrauensbildende Maßnahme. Und an Vertrauen mangelt es auf beiden Seiten.

Text: Hermann Krause
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