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Aufschlussreiche Graböffnung nach 76 Jahren

Spurensuche auf dem Friedhof im thüringischen Auerstedt bringt neue Erkenntnisse 

Lange wurde ein unbekannter amerikanischer Soldat auf dem Dorffriedhof in Auerstedt in thüringen vermutet. Doch die Graböffnung erzählt eine andere Geschichte.

Wer Auerstedt hört, denkt an die große Schlacht der Napoleonischen Kriege im Oktober 1806. Doch in diesem beschaulichen Ort im Weimarer Land haben sich zahlreiche Tragödien abgespielt. Von einer zeugt ein verwitterter grauer Grabstein auf dem Friedhof des Ortes, das Entziffern der Inschrift ist nicht ganz einfach. „Ein unbekannter amerikanischer Soldat / gef. Im März 1945“ ist zu lesen. 

 

Der Fallschirm öffnete sich nicht mehr

Bis vor kurzem ging man von der Annahme aus, dass das Flugzeug, ein britischer viermotoriger Bomber vom Typ Lancaster mit der Werknummer RF-153, bei Auerstedt getroffen wurde und – beladen mit Bomben – noch in der Luft explodierte. Ein Besatzungsmitglied sei mit dem Fallschirm abgesprungen, doch das Flugzeug sei schon zu dicht am Boden gewesen, der Fallschirm habe sich nicht mehr geöffnet. Der Tote sei in seinen Fallschirm eingewickelt  und so auf dem Friedhof bestattet worden, heißt es in der Dorfchronik.

Doch die Recherchen von René Schütz, Gründer der Vermisstensuche Thüringen, ergaben andere Informationen. Die Lancaster mit der Kennung RF-153 war bei Braunsbedra abgestürzt und die sterblichen Überreste der Besatzungsmitglieder waren auf dem Britischen Friedhof in der Heerstraße in Berlin beigesetzt worden. Doch welches Flugzeug war dann in der Nacht vom 14. auf den 15. März 1945 über Auerstedt abgestürzt? René Schütz hat recherchiert, dass ein baugleiches Flugzeug genau in dieser Nacht von der Royal Air Force als vermisst gemeldet worden war. 

Text: Diane Tempel-Bornett
 

Plötzlich schimmert es golden

Wer ist nun der Tote, der in dem Grab auf dem Friedhof in Auerstedt liegt? Um das herauszufinden, wurde nach Absprache mit dem Pfarrer, dem Landgemeinde-Bürgermeister und dem  Landesverband Thüringen des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge beschlossen, das Grab zu öffnen.

Am Montagvormittag stehen etliche Menschen auf dem kleinen Friedhof – keine Trauergemeinde, eher eine Interessensgemeinschaft. Die Hauptarbeit leisten Joachim Kozlowski, hauptberuflicher Umbetter im Inland für den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Rene Schütz – und der Fahrer des Minibaggers. Zuerst werden die Umrandungssteine und der Grabstein aufgenommen, dann werden vorsichtig Erdschichten entfernt. Immer wieder stoppt Kozlowski den Bagger und steigt in die tiefer werdende Grube. Dort prüft er den Boden mit der Sondiernadel.

In einer Tiefe von 1,20 Meter stößt er auf Holz. „Die Außenwände des Sarges“ vermutet er. Nun gräbt er vorsichtig weiter. Der lehmige, klebrige Boden erschwert die Suche. Größere Lehmklumpen müssen zerrieben werden, damit kein ihm mögliches Beweisstück entgeht. Die ersten Fundstücke: zwei kleine Kunststoffknöpfe. Keine klassischen Uniformknöpfe, vielleicht von einem Hemd oder von der Unterwäsche – das ist nicht zuzuordnen.
 

Soldat erlitt schwere Verletzungen

Mit einem Spachtel arbeitet sich Kozlowski weiter vor. Plötzlich schimmert es golden aus dem Lehm: Goldzähne – genauer gesagt, Goldfüllungen. Der Schädel das Toten wird sichtbar. Der Umbetter legt behutsam Fuß- und Beinknochen frei. Tote würden immer von den Füßen aus exhumiert, erklärt er. Die Knochen weisen etliche Frakturen auf. Ob der Soldat sie beim Absprung oder bei der Explosion erlitten hat, lässt sich kaum klären. Doch wenn Kozlowski die Erkennungsmarke findet, ist es möglich, zu klären, wer der Tote war.

Mit der Metallsonde suchen Kozlowski und Schütz fieberhaft nach der Erkennungsmarke. Doch ob sie überhaupt aus Metall ist? Ein Mitglied des Teams recherchiert die Beschaffenheit der Erkennungsmarken der Alliierten. Waren sie aus Kunststoff oder vielleicht aus einem ganz anderen Material? Kozlowski findet ein Stück Kette. Trug der Soldat sie vielleicht daran?

Die Männer suchen weiter – und da: Sie sieht aus wie eine angebrochene Münze – die Erkennungsmarke. Ein Teamkollege von Schütz nimmt sie entgegen und bürstet vorsichtig den Schmutz ab. Drei Buchstaben sind zu lesen C A N. Der Tote war Kanadier. Dies bestätigt die These von Rene Schütz: Es handelt sich mit großer Wahrscheinlichkeit um ein Besatzungsmitglied des vermissten Flugzeugs.

In der Einflugschneise der Alliierten

Was geschah damals? Der Augenzeuge (und Ortschronist) Werner Meister, damals sieben Jahre alt, erinnert sich: Auerstedt lag im Zweiten Weltkrieg in der Einflugschneise für die alliierte Luftwaffe. Die Flieger sollten die kriegswichtigen Ölraffinerien der Leuna-Werke bombardieren. Bei Fliegeralarm schickte der Vater die Familie aus dem Haus, auf den nahen Lichtberg. So auch am Abend des 14. März 1945. Werner Meister sah, wie ein Flugzeug – wie eine brennende Zigarre – abstürzte und fast den Kirchturm streifte. Dann schlug das es in den Hang und explodierte – es hatte Bomben und Sprengstoff geladen.

„Es hat uns fast von den Beinen gerissen“, erinnert sich Meister noch heute, „so groß war die Druckwelle“. Am nächsten Tag gingen die Dorfjungen neugierig zur Absturzstelle. Dort lagen neben den Trümmern des Flugzeugs auch Leichenteile. Doch dann wurde das Areal gesperrt. Die Dorfbewohner begruben die sterblichen Überreste der Bomberbesatzung auf ihrem Friedhof. Doch in diesem Grab liegt – wie man jetzt weiß - ein Kanadier, kein US-Amerikaner. Der Sohn eines damaligen Augenzeugen allerdings weiß noch genau, was sein Vater ihm erzählte: Sie hätten die sterblichen Überreste der Besatzung in eine Kiste gelegt und auf dem Friedhof begraben. Rene Schütz dringt darauf, tiefer und weiter zu graben. Und wieder hebt der Bagger Erdschichten ab, wieder sondiert Joachim Kozlowski mit der Grabungsnadel.
 

Ein zweiter Fund

Die Geduld  und das Durchhaltevermögen werden belohnt. Die Baggerschaufel stößt auf weitere Holzreste. Sofort springen Kozlowski und Schütz hinunter und beginnen mit feinerem Werkzeug weiter zu graben. Und tatsächlich: Sie legen eine Holzkiste frei, in der zahlreiche Gebeinreste liegen. Wie viele es sind und zu wievielen Toten sie gehören, wird schwer zu klären sein. Doch Rene Schütz' Recherchen scheinen sich zu bestätigen. Etliches spricht dafür, dass es die sterblichen Überreste der siebenköpfigen Besatzung des vermissten Lancaster-Bombers sind.