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Die Spuren des Krieges in Potsdam

Volksbund birgt 13 tote Wehrmachtsoldaten auf einem Kasernengelände

Es ist eine der zahlreichen Großbaustellen in der früheren Garnisonsstadt Potsdam. Auf dem Gelände der ehemaligen Krampnitz-Kaserne soll ein neues großes Wohnquartier entstehen. Wie immer bei solchen Baumaßnahmen, ist der Kampfmittelräumdienst anwesend, denn auf dem Gelände alter Kasernen finden sich häufig Kampf- und Sprengstoffe. Heute aber sind überraschend Gebeine dabei, die Rätsel aufgeben.

Die Krampnitz-Kaserne hat eine bewegte Geschichte. 1937 wurde sie als Kavallerie- und Panzertruppenschule genutzt, 1941 als Schule für „schnelle Truppen“, 1943 zur „Panzertruppenschule II“ umbenannt. Die Sowjetarmee nutzte die Kaserne von 1945 bis 1991 ebenfalls für Panzer. In jüngerer Zeit wurde die langsam verfallende Kaserne gern als Drehort für Filmproduktionen genutzt, unter anderem für „Duell – Enemy at the Gates“, „Resident Evil“, „Operation Walküre“ und „Die Tribute von Panem“.
 

Mühsame Suche

Am 3. Juni, einem heißen Frühsommertag, werden die Männer vom Kampfmittelräumdienst auf dem Gelände fündig – aber anders als erwartet. Neben Munition stoßen sie auf ein verrostetes Taschenmesser – und menschliche Knochen. Die herbeigerufene Polizei stellt rasch fest, dass es sich nicht um Opfer eines jüngeren Verbrechens handelt – sondern um eines, das vor 75 Jahren eben an diesem Ort gestorben ist: Es sind Tote des Zweiten Weltkrieges. „Das sind eindeutig deutsche Soldaten. Das erkennt man am Zahnstatus. Amalgamfüllungen gab es damals schon in Deutschland“,  erklärt Joachim Kozlowski, der als Umbetter des Volksbundes im Inland in solchen Fällen gerufen wird.

Die Arbeit auf dem riesigen Baustellengelände ist mühsam. Die Sonne brennt, die großen Baumaschinen verbreiten ohrenbetäubenden Lärm und Staubschwaden. Der Boden an der Fundstelle ist trocken und hart. Mit einem Minibagger werden die Erdkrumen aufgestochen  und vorsichtig angehoben. Ein Mitarbeiter vom Kampfmittelräumdienst beobachtet die Grabungsarbeiten aufmerksam. Jedes Mal, wenn in der Baggerschaufel oder der ausgehobenen Erde etwas Auffälliges zu sehen ist, hebt er die Hand.

Die Maschine stoppt. Nun sind Handarbeit und Aufmerksamkeit gefragt. Mit einer kleinen Schaufel und einem Schaber werden die Funde in der Erde vorsichtig freigelegt. Infanteriemunition, ein Stück Spiegel, eine zerdrückte Metalltube, Stifte, dazwischen ein Knochenstück von einem Schulterblatt, von einer Beckenschaufel, Handwurzelknochen, einige Unter- oder Oberkiefer, viele Rippenbögen. Kozlowski nimmt sie aus der Erde und legt sie behutsam in die bereitstehenden Kunststoffwannen.
 

Einige der Toten waren Jugendliche

Der Gedanke, dass es sich hier um die sterblichen Überreste von Menschen handelt, ist immer gegenwärtig. „Schauen Sie mal, das war ein ganz junger Mensch. Die Wachstumsfuge ist noch nicht zugewachsen. Der war keine 18, vielleicht 16 oder 17. Oder hier, die Wirbelknochen – auch noch nicht zusammengewachsen“, erklärt der Spezialist dem Journalisten, der an der Grube sitzt und Informationen notiert. Die Vorstellung, dass die Menschen, deren Gebeine hier geborgen werden, noch  nicht einmal ausgewachsen waren, lässt die Tragödie der letzten Kriegstage im Kampf um Berlin im April und Mai 1945 noch irrsinniger erscheinen. Mit Schulbussen waren alte Volkssturmmänner und Hitlerjungen im April 1945 an die Front gebracht worden, um sich im Kampf um die Reichshauptstadt Berlin der anstürmenden Roten Armee entgegenzustellen.

An der ersten Fundstelle findet Joachim Kozlowski die sterblichen Überreste von sechs jungen Männern. Die Gebeine weisen starke Frakturen auf, teilweise Brandspuren und manche sind regelrecht verkohlt. Woher kommen die Verletzungen? Durch Sprengungen? Wurden die Toten im Gebäude verschüttet und hat man sie später einfach auf dem Gelände vergraben? Oder verbrannt? Handelt es sich bei den Toten um Verletzte, die die deutschen Soldaten möglicherweise bei der Flucht vor der Roten Armee zurückgelassen haben? Nach vorliegenden geschichtlichen Informationen war die Kaserne nicht beschossen wurden. Die Rote Armee hatte die Kaserne im April 1945 kampflos eingenommen. Die kleine Mannschaft, die zuvor noch dort gewesen war, hatte sich auf den Weg nach Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein gemacht und dort in britische und amerikanische Kriegsgefangenschaft begeben.
 

Die Suche nach Erkennungsmarken

An einer zweiten Fundstelle werden weitere Knochen gefunden. Die Arbeit beginnt erneut. Mit der Baggerschaufel wird die harte Erdkrume abgehoben, dann kommt der Spaten zum Einsatz. Etwas Eckiges, komplett Erodiertes kommt zum Vorschein: eine alte Pistole, dann Infanteriemunition – und ein Maschinenkarabiner der Wehrmacht; dann wieder Knochen, Schultergelenke, Kieferknochen mit Goldzähnen, Beckenschaufeln, Schienbeinknochen und Stücke von Schädeln.

Immer wieder geht Joachim Kozlowski mit der Metallsonde über den Boden – in der Hoffnung, eine Erkennungsmarke zu finden. Diese liegen häufig im Bereich des Brustkorbes, da die Soldaten sie meist an einer Kette um den Hals getragen hatten. Die Erkennungsmarke würde bei der Identifizierung der Toten helfen oder zumindest Hinweise geben. Jedes Mal, wenn die Metallsonde ihr charakteristisches Fiepen von sich gibt, halten die Umstehenden die Luft an. Aber es ist dann doch nur eine Münze oder eine Patronenhülse.

Die Arbeit geht in der glühend heißen Sonne geht weiter. Eine Erdschicht wird mit dem Bagger angehoben, sobald etwas zu sehen ist, geht es mit Handarbeit weiter. Noch mehr Knochen. „Diese Toten sind etwas älter, so zwischen 30 und 40“, stellt Kozlowski mit fachkundigem Blick fest. Zwischen den Knochen finden sich Metallfedern aus Matratzen. Ob es sich um Lazaretttote handelt, die vielleicht mit den Matratzen aus dem Gebäude getragen wurden? Aber auch das sind nur Spekulationen.

Im Laufe des Nachmittags füllen sich 13 Kunststoffwannen mit Gebeinen. Aber keine einzige Erkennungsmarke ist dabei, die Aufschluss über die Identität der Toten und ihr Schicksal geben könnte. Kozlowski lädt die Wannen in seinen Wagen und wird sie nach Lietzen in das temporäre Gebeinhaus bringen. Im Herbst werden die Toten voraussichtlich auf dem Waldfriedhof in Halbe eingebettet. Ihre Biografien, ihre Namen wird der Volksbund ihnen nicht wiedergeben können, aber zumindest ein Grab und damit die Würde, die jedem Menschen zusteht.