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Pressemeldungen

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Gedenken, Erinnern und Lernen an einem besonderen Ort:

Die Deutsch-Ungarische Kriegsgräberstätte Budaörs in Ungarn

Der Wind zauste die vielen Kränze, die vor dem Hochkreuz lagen. Am Samstag, dem 22. September ging der Sommer zu Ende, immer wieder schauten die Menschen auf der Kriegsgräberstätte Budaörs in Ungarn zum Himmel: Würde der angekündigte Sturm kommen? Doch das Wetter hielt und so verlief die Gedenkveranstaltung auf dem Deutsch-Ungarischen Soldatenfriedhof reibungslos. Viele Gäste aus der Politik, dem Militär und der Zivilgesellschaft beider Länder, aber auch aus Österreich waren zusammengekommen, um dem 25. Jubiläum des deutsch-ungarischen Kriegsgräberabkommens zu gedenken. Zuvor hatten ungarische und deutsche Soldaten und Reservisten dort gemeinsam Pflegearbeiten vorgenommen.

Auf einem Friedhof muss man Abschied nehmen

Das Foto zeigt in der Bildmitte den deutschen Botschafter in Ungarn, Volkmar Wenzel (alle Fotos: Uwe Zucchi).

„Sich auf einem Friedhof treffen, heißt Abschiednehmen von einem geliebten Menschen oder Gedenken an Verstorbene. Es ist ein Moment der Trauer … Aber wir möchten auch daran erinnern, dass vor 25 Jahren das deutsch-ungarische Kriegsgräberabkommen geschlossen wurde … und vor zwanzig Jahren der Friedenspark eingeweiht wurde “ betonte der deutsche Botschafter in Ungarn, Volkmar Wenzel. „Ein Vertrag oder ein Abkommen zu haben … ist nützlich. Um ein Abkommen wie dieses mit Leben zu erfüllen, braucht es jedoch Menschen und ihre Institutionen, die sich dafür engagieren.“

Imre Ritter (Foto oben), Abgeordneter der deutschen Minderheit im Ungarischen Parlament warnte in seinem Grußwort vor Dummheit, Neid und Hass, die in den Menschen vorhanden seien und unterdrückt werden müssen. „Wenn jemand sagt, wir seien anders, wenn sich jemand nicht an die Tragödien erinnern kann, die sich vor 7 – 8 Jahrzehnten ereigneten, wenn das für jemanden keine Warnung ist, dann mache ich auf den mit Völkermord gespickten brutalen Krieg aufmerksam, der sich kaum zwei Jahrzehnte nach dem Zerfall von Jugoslawien an unserer Südgrenze abspielte ...“

Tore May (Foto oben), Mitglied im Volksbund-Bundesvorstand, erinnerte in seiner Ansprache an die Tragödien, die sich im Winter 1944/45 in und um Budapest abgespielt hatten und der fast 500.000 deutsche, ungarische und sowjetische Soldaten zum Opfer fielen, die Zivilisten nicht mitgezählt. Im Herbst 1944 hatten sich die rechtsextremen Pfeilkreuzler in Ungarn an die Regierung geputscht. Der ungarische Ministerpräsident ließ die in Budapest verbliebenen jüdischen Menschen systematisch ermorden.

In Budaörs liegt der größte deutsche von insgesamt 14 Soldatenfriedhöfen in ganz Ungarn. Hier ruhen mehr als 16.300 deutsche und knapp 800 ungarische Soldaten, die während des Zweiten Weltkrieges, die meisten davon in der Schlacht um Budapest, starben. Die ungarische Landschaftsarchitektin Margit Dékány und der ungarischer Architekt János Csongrádi erhielten für den Bau der Kriegsgräberstätte, die sich harmonisch in die Landschaft einpasst, einen Architekturpreis. 1998 wurde der Friedenspark angelegt. Dafür wurden einige hundert Bäume gepflanzt, finanziert von Spendern und Förderern des Volksbundes.

Die Erinnerung ist keine einfache Angelegenheit

Knapp zwanzig Angehörige der auf dem Friedhof bestatteten Kriegstoten waren aus ganz Deutschland nach Budaörs gekommen. Für zwei von ihnen war der Besuch mit einer besonderen Begegnung verbunden. Johanna Kölling traf auf ihren Bruder Wilhelm Riehl und Karin Dippold auf ihren Vater Fritz Herschel – in der im Rahmen des Projektes 19für19 an diesem Tag dort neu eröffneten Ausstellung. Mit diesem Ausstellungskonzept entwickelt der Volksbund Kriegsgräberstätten von Orten der individuellen Trauer und Erinnerung in Lernorte weiter, die auch junge Menschen ansprechen sollen und häufig multimedial und multiperspektivisch gestaltet sind. In diesen Ausstellungen steht der Mensch im Mittelpunkt. Die Geschichte wird personalisiert und deshalb nachvollziehbarer. Das Gesamtkonzept 19für19 erklärt sich so, dass der Volksbund exemplarisch 19 Friedhöfe ausgewählt hat, die anlässlich des 100jährigen Bestehens des Volksbundes zu Lernorten umgestaltet werden sollen.

So werden in der Ausstellung in Budaörs sechs verschiedene Lebensläufe von Kriegstoten, zwei russischen und vier deutschen, vorgestellt. Der Historiker Prof. Dr. Ungvary hielt die Laudatio zur Ausstellungseröffnung. Darin erklärte er: „Das Erinnern an die deutschen Gefallenen des Zweiten Weltkrieges ist keine einfache Angelegenheit, schließlich sind im Namen Deutschlands unermessliche Verbrechen begangenen worden. Diese Komplexität wird auch in der Ausstellung präsentiert, wo neben der missbrauchten Kriegsgeneration auch der Kommandeur der 22. SS-Kavalleriedivision, ein bekennender Nazi, präsentiert wird. Andererseits darf nicht jedem Soldat eine Kollektivschuld aufgeheftet werden. Diejenigen, die aktiv ihr Schicksal gestalten konnten, waren mit Sicherheit in der Minderheit ...“

Begegnungen nach über 70 Jahren

Johanna Kölling (Foto oben), Jahrgang 1931, ist mit ihrer Familie von Bielefeld nach Budaörs gereist. Sie erinnert sich noch gut an ihren großen Bruder Wilhelm. Ein Draufgänger wäre er gewesen, charmant und dabei immer hilfsbereit. Sie erinnert sich auch an die Gespräche von Wilhelm mit dem Vater, der im Ersten Weltkrieg Soldat gewesen war. „Dies kannst du nicht vergleichen. Das ist jetzt ganz anders.“ hätte er zu ihm gesagt. Das letzte Mal traf sie ihn in den Weihnachtsferien 1944, da war sie zwölf Jahre alt. Zwölf Briefe hatte er geschrieben und ein Tagebuch. „Ich schreibe ein Tagebuch, damit ihr noch etwas von mir habt.“ hätte Wilhelm gesagt. Die Briefe hat sie heute alle, doch das Tagebuch hat sie nie erhalten. Nun sieht sie ihn in der Ausstellung wieder, über 70 Jahre später. Auf die Frage, was sie dabei fühlt, sagte sie „Es ist ein bisschen wie ein Film. Es ist ergreifend und bewegt mich sehr.“ 

Wenn man in der Ausstellung dem Soldaten Fritz Herschel begegnet, lernt man einem jungen Mann kennen, der Gedichtbände und lange liebevolle illustrierte Briefe an seine Frau und seine kleine Tochter schreibt. Man sieht Fotos, auf denen er sorgfältig einen mechanischen Spielzeughasen aus Holz baut, den er als Weihnachtsgeschenk seiner Tochter schickt, mit Briefen und Zeichnungen. Das Paket mit dem Hasen erreicht die Heimat und die Familie. Fritz Herschel nicht. Er ist seit dem Ausbruchsversuch der deutschen Truppen im Winter 1944/45 aus dem Kessel um Budapest verschollen. Der Spielzeughase übersteht die Flucht von Elfriede Herschel mit der kleinen Tochter Karin aus Schlesien nach Bayern. Nun hat Karin Dippold – nach Rücksprache mit ihren Enkeln - das wertvolle Geschenk dem Volksbund als Exponat für die Ausstellung ausgeliehen. Wie geht es ihr damit, wenn sie heute den Hasen, die Briefe, Zeichnungen und Fotos ihres Vaters sieht?  „Es ist schön, dass alles so wertvoll aufbereitet wurde. Schade, dass meine Mutter das nicht mehr sehen kann. Aber es war auch sehr ergreifend, die ganzen Sachen nach so vielen Jahren wieder zu sehen, die Briefe zu lesen. Ich hatte lange nicht mehr so daran gedacht. Meine Enkel interessieren sich auch dafür. Und meinem Vater – dem hätte das bestimmt gefallen.

Die ganze Welt soll davon lernen

Nach der Gedenkfeier und der Ausstellungseröffnung lud die Stadt Budaörs zum Empfang. Anschließend nahm sich der Bürgermeister von Budaörs, Tamasz Wittinghoff (Foto unten) die Zeit, dem Volksbund drei Fragen zu beantworten:

Wie beschreiben Sie die Zusammenarbeit mit dem Volksbund? Zwei Jahrzehnte freundschaftliche Zusammenarbeit – im Einklang in allen inhaltlichen und Sachfragen.

Ihr Wunsch für die Zukunft? Dass davon, was man dort auf der Kriegsgräberstätte bei uns sehen kann, die ganze Welt lernt! Nie wieder Krieg – nie wieder ausgrenzen, niemanden! Alle Menschen sind frei geboren und haben ein Recht auf ein Leben in Würde.

Ihr Wunsch für Ungarn? Dass der europäische Gedanken auch für Ungarn maßgebend ist!

Diane Tempel-Bornett