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Eine Charta für den Weltfrieden – ein Handschlag in Sachsen

#volksbundhistory erinnert an den Kongress von San Francisco und den „Elbe Day“ vor 80 Jahren

Der 25. April 1945 ist ein geschichtsträchtiges Datum: In San Francisco trafen sich Abgesandte und Staatsmänner aus 50 Staaten. Gemeinsam wollten sie eine Nachkriegsordnung beschließen – ja mehr noch – den Grundstein für einen neuen Völkerbund legen. Es entstand die Charta der Vereinten Nationen. Zur selben Zeit trafen auf deutschem Boden an der Elbe erstmalig amerikanische und sowjetische Soldaten aufeinander. 
 

Die Idee einer Nachkriegsordnung und die Schaffung einer internationalen Organisation, die den früheren Völkerbund ersetzen sollte, hatte der britische Premierminister Winston Churchill schon 1941 aufgeworfen. Weitere Verhandlungen hatten im August 1941 zur Unterzeichnung einer noch recht allgemein formulierten „Atlantik-Charta“ geführt, der sich die USA allerdings zunächst nur sehr zögerlich anschlossen.

Unter dem Hashtag #volksbundhistory berichten wir von historischen Ereignissen und liefern Hintergrundinformationen. Unser Autor heute: Dr. Christian Lübcke. Der Militärhistoriker ist Geschäftsführer des Landesverbandes Hamburg.

Konferenz in Kalifornien

Nach dem Angriff auf Pearl Harbour am 7. Dezember 1941 änderte sich die Haltung der Amerikaner jedoch deutlich. In den folgenden Konferenzen reifte nicht nur die Planung für ein Nachkriegseuropa, sondern auch für die Gestaltung einer großen neuen internationalen Organisation. Der Name „United Nations“ wurde sehr schnell ein gängiger Sammelbegriff für alle Staaten, die sich mit dem Deutschen Reich und Japan im Krieg befanden. 

Im Zuge der Konferenz von Jalta im Februar 1945 wurden diese 46 Staaten zu einer entscheidenden Konferenz nach San Francisco geladen. Bereits einige Tage zuvor war in Malta festgelegt worden, dass in der neu entstehenden Organisation vier Staaten fortan mit einem besonderen Veto ausgestattet sein sollten: die USA, die Sowjetunion, China und das Vereinigte Königreich (Frankreich wurde erst nachträglich in diesen Kreis aufgenommen).
 

Machtkampf zwischen Ost und West

Die Auswahl der teilnehmenden Staaten war alles andere als leicht. Bereits früh setzte ein Machtkampf zwischen den USA und der Sowjetunion um eine Vorreiterrolle in den neu entstehenden Vereinten Nationen ein. 

So forderte Josef Stalin beispielsweise, dass jede einzelne Sowjetrepublik in der neuen Staatenversammlung eine Stimme haben sollte. Damit wäre die Zahl der Mitgliedsstaaten von 46 auf 62 gestiegen und die der „sowjetischen Stimmen“ von einer auf 16. 


Kompromisslösung

Der amerikanische Präsident Roosevelt konterte daraufhin, dass er in diesem Falle darauf bestehen würde, alle amerikanischen Bundesstaaten ebenfalls mit eigener Stimme einzubringen (damals 48). 

Der Kompromiss: Zwei Sowjetrepubliken (Belarus und die Ukraine) durften mit eigenen Vertretern teilnehmen. Dafür gestand die USA auf Drängen anderer südamerikanischer Staaten dem bislang neutralen Argentinien die Teilnahme zu, das über Jahre das Deutsche Reich indirekt unterstützt hatte.

Letzte Kriegstage

Auch das noch von Deutschland besetzte Dänemark erhielt eine verspätete Einladung. Damit erhöhte sich die Anzahl der teilnehmen Staaten auf 50. Unklar blieb dagegen der zukünftige Status von Polen. 

Die Sowjetunion und die Westalliierten rangen damals noch um die Legitimität zweier polnischer Exilregierungen (eine in London und eine in Lublin). Polen nahm damit an der Konferenz nicht teil.


Niederlage steht bevor

Etwa zur selben Zeit, als der damalige Gouverneur von Kalifornien Earl Warren am 25. April 1945 die 850 internationalen Delegierten in San Francisco begrüßte, kam es auch auf deutschem Boden zu mehreren denkwürdigen Ereignissen. 

Das Deutsche Reich war zu diesem Zeitpunkt nur noch wenige Schritte von einer vollständigen Niederlage entfernt. Im Norden standen britische Truppen unmittelbar vor Bremen, im Süden hatten amerikanische Truppen gerade Ulm besetzt. 
 

Kessel um Berlin

Während der Vorstoß der Westalliierten nach den Kapitulationen großer Wehrmachtsverbände im Ruhrgebiet und im Harz inzwischen bereits relativ unblutig verlief, tobten in Ostdeutschland noch immer Kämpfe. Am 20. April hatte Adolf Hitler den „Fall Clausewitz"” ausgegeben und Berlin damit zur Frontstadt erklärt. 

Zeitgleich zur Konferenz in San Francisco trafen bei Ketzin an der Havel Einheiten der sowjetischen 4. Gardepanzerarmee auf Einheiten der sowjetischen 47. Armee. Damit hatte die Rote Armee den Kessel um Berlin geschlossen. 


Blutige Tragödie

Nicht weniger geschichtsträchtig war jedoch eine andere Begegnung 140 Kilometer weiter südlich. Gegen Mittag des 25. Aprils überquerte eine kleine amerikanische Patrouille in einem Schlauchboot bei Strehla die Elbe. Ihr Ziel war der Ort Lorenzkirch. 

Das kleine Dorf war zuvor Schauplatz einer blutigen Tragödie geworden. Einheiten der 12. deutschen Armee hatten sich am 22. April aus der Gegend zurückgezogen und auf ihrem Rückweg die örtliche Brücke gesprengt.

Leichenfeld an der Elbe

Lorenzkirch war zu diesem Zeitpunkt jedoch von zivilen Flüchtlingen und vereinzelten Soldaten überfüllt gewesen. Bis zuletzt hatten Hunderte von ihnen im sowjetischen Artillerie- und Gewehrfeuer versucht, sich über die Elbe zu retten und dabei die Rufe und Warnungen des deutschen Sprengkommandos entweder überhört oder ignoriert. 

Es ist nie geklärt worden, wie viele hundert Menschen an diesem Tag starben – sicher ist nur, dass die Amerikaner auf ein großes Leichenfeld trafen. 


US-Soldat mit deutschen Wurzeln

Die vierköpfige Patrouille des 273rd Infantry Regiment wurde vom 22jährigen Lieutenant Albert Leon Kotzebue angeführt. Der Name weist auf deutsche Wurzeln hin – tatsächlich war der Ururgroßvater Kotzebues Mitte des 19. Jahrhunderts aus dem damaligen Königreich Hannover über Dänemark nach Texas ausgewandert. 

Als die Amerikaner gegen 12 Uhr die Elbe überquerten, trafen sie inmitten des Leichenfeldes auf die ersten sowjetischen Soldaten. Es war eine Vorausabteilung des sowjetischen 175. Garde-Schützen-Regiments, die von Oberstleutnant Alexander Gordejew angeführt wurde. 

 

Amerikanisch-russische Begegnung

Lieutenant Kotzebue wurde vom Soldaten Joseph Polowsky begleitet. Polowsky stammte aus Chicago und war ein Sohn jüdischer Immigranten. Seine Familie war ursprünglich nahe Kiew beheimatet gewesen, dann jedoch wegen antijüdischer Pogrome geflohen. Polowsky sprach fließend Russisch und dolmetschte. 

Sowjetische und amerikanische Soldaten waren zutiefst schockiert vom Anblick der vielen Leichen, unter denen sich zahlreiche Frauen und Kinder befanden. Vor Ort kam es zu einem spontanen Schwur: Amerikanische und sowjetische Soldaten schworen, alles daran zu setzen, einen neuen Krieg in der Zukunft  zu verhindern.


Darstellung für Öffentlichkeit

Schnell stellte sich heraus: Für eine öffentlichkeitswirksame Darstellung der ersten Begegnung sowjetischer und amerikanischer Soldaten eignete sich Lorenzkirch mit dem großen Leichenfeld nicht – selbst nachdem man die Toten hastig mit weißen Laken abgedeckt hatte.

Man entschied vor Ort, die „erste“ amerikanisch-sowjetische Begegnung im unzerstörten Nachbarort Kreinitz zu stattfinden zu lassen.

„Handschlag von Torgau“

Dort trafen Kotzebue und Gordejew um 13.30 Uhr mit weiterer Verstärkung erneut zusammen. Dieses Mal gab es offizielle Bilder und Berichte. Zwei Stunden später wiederholte sich die „erste Begegnung“ erneut, weiter nördlich: in Torgau. 

Der „Handschlag von Torgau“ wurde in den folgenden Tagen mehrfach wiederholt – Bilder dieser Begegnung gingen um die ganze Welt. 


Nachricht erreicht Westküste

Am 27. April erreichte die Nachricht vom Zusammentreffen von Ost- und Westfront auch die Delegierten in San Francisco. 

Das nahe Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa war gewiss und im Pazifikkrieg waren die Amerikaner bereits erfolgreich auf Okinawa gelandet, also unweit des japanischen Kernlandes. 

 

Ziel: internationale Sicherheit

Inzwischen waren die Delegierten auf verschiedene Komitees und Kommissionen aufgeteilt worden. Sie begannen mit der Abfassung einer Charta, deren oberstes Ziel die zukünftige Wahrung des Weltfriedens, der internationalen Sicherheit und der Menschenrechte sein sollte. 

Das dauerte fast zwei Monate und führte immer wieder zu Reibungen, etwa bei grundsätzlichen Fragen eines Vetos oder der Sorge eines Konfliktes unter Mitgliedsstaaten. 


China unterzeichnet zuerst

Letztendlich war die Charta jedoch am 25. Juni 1945 fertig und wurde am Folgetag von den Staatenvertretern feierlich unterzeichnet. China, als erstes Opfer eines Angriffs im Zweiten Weltkrieg, war der erste Unterzeichner. 

Für die nicht anwesende polnische Delegation wurde ein Feld freigelassen, die Unterschrift folgte im Oktober. Die UN-Charta trat offiziell am 24. Oktober 1945 in Kraft.

„Feindstaatenklausel“

Bis heute bildet die UN-Charta die Basis für die internationale Zusammenarbeit von Staaten und multistaatlichen Bündnissen. 

Eine Besonderheit in der Charta ist die „Feindstaatenklausel“, die es den Mitgliedsstaaten selbst Jahrzehnte nach Kriegsende erlaubte, auch ohne Billigung des UN-Sicherheitsrates bewaffnete Maßnahmen gegen die ehemaligen Gegner Deutschland und Japan zu ergreifen, sollte von diesen Staaten jemals wieder eine Gefahr für den Weltfrieden ausgehen. 


Mitglied seit 1973

1973 wurden die Deutsche Demokratische Republik und die Bundesrepublik Deutschland Mitglieder der Vereinten Nationen. Als einer der wichtigsten Beitragszahler ist Deutschland heute eine wichtige Stütze für die Vereinten Nationen und war bereits fünfmal Mitglied im UN-Sicherheitsrat. 

Noch heute ist diese „Feindstaatenklausel“ Bestandteil der Charta (Artikel 53, 77 und 107), doch erklärte die 50. UN-Generalversammlung bereits 1995 in einer Resolution, dass diese alten Regelungen inzwischen obsolet seien. 

 

Anspruch und Wirklichkeit

So ehrenwert und rechtschaffen die Ziele der UN-Charta auch sind – einen Weltfrieden konnte sie nie wirklich sicherstellen. Von ihrer Niederschrift bis heute hat es nicht einen Zeitpunkt gegeben, an dem weltweit die Waffen schwiegen. Auch heute steht das Ziel der Gründerväter der UN-Charta noch in weiter Ferne. 

Ähnlich desillusionierend mögen die auf den Schwur in Lorenzkirch folgenden Jahrzehnte für die damals Beteiligten gewesen sein. Viele Soldaten nahmen an späteren Kriegen teil. Der „Elbe Day“ behielt auch in den folgenden Zeiten – selbst (oder gerade?) während des Kalten Krieges – eine besondere Bedeutung. Nicht nur mit Blick auf ein vereintes Zusammenwirken von Staaten aus unterschiedlichen politischen Systemen, sondern auch mit Blick auf die internationale Friedensbewegung.

Aktiv für den Frieden

Joseph Polowsky war der amerikanische Soldat, der am 25. April während der ersten (und zweiten) Begegnung amerikanischer und sowjetischer Soldaten dolmetschte. Ihn ließen die Bilder der umgekommenen deutschen Kriegstoten in Lorenzkirch zeitlebens nie los. 

Als Friedensaktivist versuchte er später, den 25. April zu einem offiziellen Weltfriedenstag erklären zu lassen. Er warb dafür nicht nur in den USA, sondern auch in persönlichen Treffen mit Nikita Chruschtschow und Walter Ulbricht. Als Joseph Polowsky 1983 starb, hatte er bereits verfügt, dass seine Gebeine in Torgau, dem Ort der „offiziellen“ amerikanisch-sowjetischen Begegnung, beigesetzt werden sollten. Dort ruhen sie noch heute.


Text: Dr. Christian Lübcke

Kontakt

Lesetipps

Niedersen, Uwe: Soldaten an der Elbe. US-Armee, Wehrmacht, Rote Armee und Zivilisten am Ende des Zweiten Weltkrieges. Sächsische Landeszentrale für politische Bildung, Dresden 2008.

Schlesinger, Stephen: Act of Creation: the Founding of the United Nations: A Story of Superpowers, Secret Agents, Wartime Allies and Enemies, and Their Quest for a Peaceful World, Cambridge 2004.

Volger, Helmut: Die Geschichte der Vereinten Nationen, München 2011.

 

#volksbundhistory

Ob der Beginn einer Schlacht, ein Bombenangriff, ein Schiffsuntergang, ein Friedensschluss – mit dem Format #volksbundhistory möchte der Volksbund die Erinnerung an historische Ereignisse anschaulich vermitteln und dabei fachliche Expertise nutzen. Der Bezug zu Kriegsgräberstätten und zur Volksbund-Arbeit spielt dabei eine wichtige Rolle.

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