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Der Anfang vom Ende: Teilkapitulation auf dem Timeloberg

#volksbundhistory erinnert an den 4. Mai 1945 in Niedersachsen

Auf dem Timeloberg bei Lüneburg wurde das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa eingeleitet. Die Teilkapitulation am 4. Mai 1945 auf der Anhöhe in der Nähe von Wendisch-Evern bedeutete das faktische Ende aller Kampfhandlungen in Norddeutschland, Dänemark, Norwegen und den nördlichen Niederlanden –  dem weitaus größten Teil des Territoriums, das zu diesem Zeitpunkt noch von deutschen Truppen gehalten wurde.
 

Mit dem Selbstmord Hitlers am 30. April 1945 bot sich Großadmiral Karl Dönitz, seinem Nachfolger im Amt des Reichspräsidenten und Oberkommandierenden der deutschen Streitkräfte, die Möglichkeit, mit den Westmächten direkte Verhandlungen aufzunehmen.
 

Verhandeln im Westen, kämpfen im Osten

Ziel der Regierung Dönitz mit Sitz in Flensburg war es, durch ein Angebot von Teilkapitulationen im Westen Zeit zu gewinnen und die Kampfkraft der Wehrmacht an der Ostfront zu erhalten. Dönitz und sein Kabinett ließen sich dabei von der Hoffnung auf einen baldigen Zerfall des Bündnisses zwischen den Westalliierten und der UdSSR treiben, das durch den überraschenden Tod des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt am 12. April 1945 in greifbare Nähe gerückt zu sein schien.

Der erste Schritt war mit der Teilkapitulation der deutschen Streitkräfte in Italien erfolgt, die am 2. Mai 1945 in Kraft trat. Als nächstes beauftragte Dönitz seinen engen Vertrauten und Nachfolger im Amt des Oberbefehlshabers der Kriegsmarine, Generaladmiral Hans Georg von Friedeburg, Verhandlungen mit den Briten in Norddeutschland aufzunehmen.
 

Unter dem Hashtag #volksbundhistory berichten wir von historischen Ereignissen und liefern Hintergrundinformationen. Das neue Format ist medienübergreifend mit Print- und Online-Artikeln, Audiofeatures und Videos. Unser Autor heute: Jan Effinger, Geschäftsführer des Volksbund Bezirksverbandes Lüneburg/Stade

Deutsche Unterhändler treffen Briten

Am 3. Mai erreichte von Friedeburg mit General Kinzel, Konteradmiral Wagner und Major Friedel das Quartier des Befehlshabers der 2. britischen Armee, General Dempsey, in Häcklingen bei Lüneburg.

Von dort aus wurde die deutsche Delegation weitergeleitet zum britischen Hauptquartier, das der Oberbefehlshaber der britischen Armee in Deutschland, Feldmarschall Bernard Law Montgomery, am 1. Mai auf dem Timeloberg eingerichtet hatte. Von dieser höchsten Erhebung im Umkreis von Lüneburg blickte man herab auf die Türme der besiegten deutschen Stadt. Montgomery taufte den Hügel folgerichtig auf den Namen „Victory Hill“. Montgomery erwartete sie bereits.

Angebot: begrenzte Kapitulation

Er hatte kurz vor dem Eintreffen der Delegation in der Nähe seines Wohnwagens einen Fahnenmast mit dem Union Jack aufstellen lassen. Hier mussten die Deutschen antreten und warten, bis Montgomery seinen Wohnwagen verließ und sie durch seinen Dolmetscher nach ihrem Begehren fragen ließ.

Generaladmiral von Friedeburg verlas einen Brief vom Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, in dem dieser die begrenzte Kapitulation von drei deutschen Armeen zwischen Berlin und Rostock anbot.
 

Forderung: bedingungslose Kapitulation

Montgomery lehnte das Angebot ab und forderte die bedingungslose Kapitulation aller deutschen Streitkräfte in Nordwestdeutschland, Holland, Dänemark und Schleswig-Holstein. Das lehnten die Deutschen zunächst ab.

Der britische Feldmarschall räumte den Deutschen Bedenkzeit ein. In einem Militärzelt verdeutlichte er ihnen die tatsächliche militärische Lage. Von Friedeburg und seine Begleiter zeigten sich überrascht: Die Aussichtslosigkeit für die deutschen Truppen war ihnen offenbar bis dahin nicht bewusst gewesen.
 

Britische statt sowjetische Gefangenschaft

Montgomery forderte die deutschen Offiziere auf, seine Forderungen bedingungslos zu akzeptieren. Ansonsten würden die Kampfhandlungen fortgesetzt. Außerdem stellte er ein weiteres Ultimatum, in dem es um die bedingungslose Übergabe aller Truppen in Holland, Friesland, Schleswig-Holstein und Dänemark ging.

Nur in einem Punkt ging der britische Feldmarschall auf die Forderungen von Friedeburgs ein: Deutsche Soldaten, die sich von Osten her seinen Truppen näherten und ergeben wollten, sollten als Kriegsgefangene in britischen Gewahrsam genommen werden. Diese Formulierung war für von Friedeburg wichtig. Deutsche Soldaten würden so nicht, wie befürchtet, der Roten Armee ausgeliefert werden.
 

Abstimmung mit Dönitz

Von Friedeburg besaß jedoch keine Vollmacht, eine so weitgehende Kapitulation zu unterzeichnen. Er wollte erst das Einverständnis der Regierung Dönitz einholen.

Um die Sicherheit der Delegation zu gewährleisten, ließ Montgomery alle Straßen bis Rendsburg als Angriffsziele für die alliierten Luftstreitkräfte sperren. Dort nämlich traf von Friedeburg mit Dönitz zur Beratung zusammen.
 

Annahme des Ultimatums

Dönitz fiel die Zustimmung zu Montgomerys Ultimatum offenbar nicht allzu schwer, hatte er damit doch sein eigentliches Ziel – Waffenruhe im Westen ohne Kapitulation im Osten – zunächst erreicht. „Wenn wir in Nordwestdeutschland, Dänemark und Holland die Waffen niederlegen, so geschieht es, weil der Kampf gegen die Westmächte seinen Sinn verloren hat. Im Osten jedoch geht der Kampf weiter, um möglichst viele deutsche Menschen vor der Bolschewisierung und Versklavung zu retten“, hieß es am 5. Mai in einer Verlautbarung des Oberkommandos der Wehrmacht an die Truppe.

Bereits am Nachmittag des 4. Mai 1945 passierten von Friedeburg und seine Begleiter abermals die britischen Stellungen bei Quickborn. Montgomery, ganz im Bewusstsein des historischen Moments sowie seiner eigenen Rolle dabei, unterrichtete um 17 Uhr die Presse über die bevorstehende Kapitulation. Entsprechend groß war der Andrang, als nun die deutsche Delegation zurückkehrte.
 

Kapitulationsurkunde unterzeichnet

Gegen 18 Uhr trafen von Friedeburg und Begleiter auf dem Timeloberg ein. Montgomery schilderte diese Szene, in seinen Memoiren so:

„Vor den Augen der Soldaten, Kriegsberichterstatter und Fotografen, denen man die freudige Erregung ansah, gingen die Mitglieder der deutschen Delegation hinüber zu dem Zelt; sie waren sich klar darüber, dass dies das Ende des Krieges war.

In aller Öffentlichkeit, im Beisein der Pressevertreter und anderer Zuschauer verlas ich dann in diesem Zelt in der Lüneburger Heide auf Englisch die Kapitulationsurkunde. Ich fügte noch hinzu, falls die deutsche Delegation dieses Dokument nicht sofort und ohne Einwände hinsichtlich der Folgen ihrer Kapitulation unterzeichne, würde der Kampf weitergehen.

Dann rief ich die einzelnen Mitglieder der Delegation nacheinander beim Namen auf, das Dokument zu unterschreiben – sie taten es ohne ein Wort des Einspruchs.

Als letzter unterschrieb ich selbst im Namen von General Eisenhower.“ (Bernard Law Montgomery, Memoiren, München 1958)

Um 18.30 Uhr waren alle Unterschriften gesetzt.
 

Verhandlungen mit den USA

Mit der Unterzeichnung der Urkunde war von Friedeburgs Mission noch nicht beendet. Auf Anweisung der Regierung Dönitz suchte er bereits am folgenden Tag das Hauptquartier General Eisenhowers in Reims auf, um dort eine Teilkapitulation gegenüber der amerikanischen Armee zu erreichen.

Dwight D. Eisenhower, Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte in Europa, wies von Friedeburgs Angebot schroff zurück. Auch Generaloberst Alfred Jodl, der am 6. Mai die deutsche Verhandlungsführung übernahm, konnte den amerikanischen General nicht umstimmen: Eisenhower hatte die Absicht der Regierung Dönitz, die alliierte Kriegskoalition zu spalten, durchschaut; er verlangte ultimativ die totale und bedingungslose Kapitulation an allen Fronten, also auch im Osten.
 

Gesamtkapitulation unumgänglich

Nun sah auch Dönitz keinen Ausweg mehr: In den frühen Morgenstunden des 7. Mai 1945 wurde die Gesamtkapitulation unterzeichnet; sie trat am 8. Mai um 23.01 Uhr MEZ in Kraft. Auf Drängen der sowjetischen Führung wurde die Zeremonie noch einmal kurz nach Mitternacht – also am 9. Mai – im Hautquartier von Marschall Schukow in Berlin-Karlshorst wiederholt.

Da die Kapitulationsbestimmungen gemäß der Urkunde von Reims zu diesem Zeitpunkt bereits in Kraft getreten waren, wurde das Berliner Dokument auf den 8. Mai 1945 zurückdatiert.

Dieses Datum ist schließlich als Endpunkt des Zweiten Weltkrieges in Europa in die Geschichtsbücher eingegangen. Aber es steht unzweifelhaft fest, dass der Prozess, der dahin führte, mit der Unterzeichnung der Teilkapitulation auf dem Timeloberg bei Lüneburg am 4. Mai 1945 begonnen hatte.

Vom Hügel zum „Victory Hill“

Montgomery wählte bewusst den Timeloberg als Ort der deutschen Kapitulation: Von dieser höchsten Erhebung im Umkreis von Lüneburg blickte man herab auf die Türme einer besiegten deutschen Stadt. Er taufte den Hügel folgerichtig auf den Namen „Victory Hill“.

In Deutschland ist in der Berichterstattung und der Schilderung der Ereignisse auf dem Timeloberg später gerne mit unverhohlener Süffisanz auf die Inszenierung und Theatralik des Vorgangs hingewiesen worden. Aber erstens trifft dies genauso auf die Vorgänge in Reims und noch viel mehr in Berlin-Karlshorst zu, und zweitens wohnt jedem militärischem Zeremoniell eine gewisse Theatralik inne – wer schon einmal einen einfachen Bataillonsappell oder eine Soldatenvereidigung beobachtet hat, kennt das.
 

Keine zweite Dolchstoßlegende

Genau das war es nämlich auch hier: ein militärisches Zeremoniell. Die Alliierten legten nach der Erfahrung mit dem Ausgang des Ersten Weltkrieges offensichtlich besonderen Wert darauf, dass die militärische Führung des Reiches selbst die Waffen streckte.

Zur Erinnerung: Im Herbst 1918 hatte die Oberste Heeresleitung um Hindenburg und Ludendorff Politiker zur Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde vorgeschickt, um - kaum dass die Tinte auf dem Dokument getrocknet war - die Legende in die Welt zu setzen, dass das deutsche Heer im Felde unbesiegt geblieben und nur durch den heimtückischen Verrat der demokratischen und linken Politiker zu Fall gebracht worden sei – die Dolchstoßlegende. Sie bildete eine schwere Hypothek für die Entfaltung der Demokratie in der Weimarer Republik. Das sollte sich nach dem Zweiten Weltkrieg auf keinen Fall wiederholen. Darum trugen die Kapitulationsurkunden die Unterschriften von v. Friedeburg, Jodl und Keitel.
 

Zeichen der Erinnerung

Zum Andenken an die Kapitulation ließ Montgomery sehr bald eine Gedenktafel aus Holz auf dem Timeloberg aufstellen. Sie wurde mehrfach entwendet, so dass sich der Kommandant der Militärregierung in Lüneburg, Major Harper, am 9. September 1945 veranlasst sah, den Gemeindedirektor von Wendisch-Evern, Carl Basse, in persönliche Haftung für die Sicherheit der Gedenktafel zu nehmen. Fortan wurde der Timeloberg Tag und Nacht bewacht. Später wurde die Holztafel durch einen großen weißen Stein mit bronzener Platte ersetzt. Heute steht er in der Militärakademie Sandhurst in England.

Seit 1995 gibt es am Fuße des Timelobergs einen neuen Gedenkstein. Er trägt die Inschrift „Kapitulation auf dem Timeloberg – 1945 – 4. Mai – 1995 – Nie wieder Krieg“.


Text: Jan Effinger, Geschäftsführer des Volksbund Bezirksverbandes Lüneburg/Stade

Kontakt


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Ob der Beginn einer Schlacht, ein Bombenangriff, ein Schiffsuntergang, ein Friedensschluss – mit dem neuen Format #volksbundhistory möchte der Volksbund die Erinnerung an historische Ereignisse anschaulich vermitteln und dabei fachliche Expertise nutzen. Der Bezug zu Kriegsgräberstätten und zur Volksbund-Arbeit spielt dabei eine wichtige Rolle.

Die Beiträge werden sowohl von Historikern aus den eigenen Reihen als auch von Gastautoren stammen. Neben Jahres- und Gedenktagen sollen auch historische Persönlichkeiten und Kriegsbiographien vorgestellt werden. Darüber hinaus können Briefe, Dokumente oder Gegenstände aus dem Archiv ebenfalls Thema sein – jeweils eingebettet in den historischen Kontext.

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