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Die Mauer am Orangenhain

Bundeswehr arbeitet in Motta Sant’Anastasia

Der Friedhof in Motta Sant’Anastasia auf Sizilien ist wohl weltweit der einzige, der seine Besucher zumindest potentiell mit allerlei Früchten versorgt. Fast scheint die einzige deutsche Kriegsgräberstätte auf Sizilien wie ein schöner Garten: Überall um die Gruft mit über 4500 Toten des Zweiten Weltkrieges wachsen Oliven, Mandeln, Orangen und Mandarinen. Es ist ein wunderschöner – und auch ein trauriger Ort. Zugleich ist die Gruftanlage, das Mausoleum auf zwei Seiten durch eine sehr steil abfallende Böschung begrenzt. Dort gab es in der Vergangenheit häufig heftige Erdrutsche. Um dies künftig zu verhindern, arbeiten dort von Mitte bis Ende April 2018 zehn freiwillige Bundeswehr-Angehörige an einer Schutzmauer. Ein Arbeitsbericht.

 

Die meisten der Männer um Kommandoführer Stabsfeldwebel Christian Treitz, die auf der einzigen deutschen Kriegsgräberstätte Siziliens arbeiten, sind zum ersten Mal in Italien. Für sie ist es ein freiwilliger Arbeitseinsatz, der sich stark von dem gewohnten Alltag in den Reihen der Kameraden absetzt. Manche der zumeist jungen Männer waren bereits in einigen der weltweiten Krisen- und Kriegsgebieten im Einsatz. Sie waren in Afghanistan, Bosnien, Kosovo oder auch in Westafrika. Das alles ist hier weit weg ­– so wie auch der Zweite Weltkrieg. Nur die vielen Toten, die in der Mitte der Anlage tief unten in der Gruft ruhen, erinnern daran, was hier vor nunmehr 75 Jahren geschehen ist: Die Landung auf Sizilien vom 10. Juli bis 17. August 1943.

5.500 Tote auf der Vulkaninsel

Ähnlich wie in der Normandie-Landung, für die die „Operation Husky“ gewissermaßen die Blaupause, die erste blutige Probe darstellte, wurden dabei zunächst die küstennahen Orte einem intensiven Bombardement unterzogen. Dazu zählte unter anderem auch die Stadt Catania, in deren Einzugsgebiet die heutige Kriegsgräberstätte Motta Sant’Anastasia liegt. Dabei kamen auch viele Zivilisten ums Leben. In der Folge begannen die blutigen Gefechte zwischen Briten, Kanadiern und Amerikanern sowie deutschen und italienischen Streitkräften auf der anderen Seite. Während all dieser Schlachten und Kämpfe starben unter anderem insgesamt über 5500 deutsche Soldaten. Sie wurden von ihren Kameraden oder aber vom britischen Gegner begraben und erst ab dem Jahr 1955 auf die neue gebaute deutsche Kriegsgräberstätte überführt.

 

Vor und nach den Bomben

All dies lässt sich hautnah auch im „Museo Storico dello Sbarco in Sicilia“ in Catania, der Partnerstadt von Auschwitz nacherleben. Dort haben die Museumspädagogen einen kleinen italienischen Küstenort sehr detailgetreu nachgebaut. Danach werden die Besucher in einen Bombenschutzraum geführt, der ein Bombardement samt zugehöriger Erschütterungen, Dunkelheit und all der Ängste erschreckend realitätsnah nacherleben lässt. Im Anschluss verlässt man den Bombenkeller und blickt nun im nächsten Raum auf die vorherige Szenerie des Fischerdorfes – nur, dass dieses Mal so ziemlich alles zerstört ist, die Wände eingerissen, beinahe nicht wiederzuerkennen vor lauter Schutt und Splitter.

Alte Steine, neue Mauern

Auf der Kriegsgräberstätte Motta Sant’Anastasia nimmt die Baustelle unweit des Orangenhains währenddessen allmählich Formen an: Dort wo vor einiger Zeit noch der steile Hang in Nachbars Garten gleich tonnenweise abgerutscht war, stehen nun zehn kräftige und teils bärtige Männer in Uniformen, die an verschiedenen Stationen, die einzelnen Arbeitsschritte ausführen. Dazu gehört ach der Transport und das Ausbringen von insgesamt 16 Kubikmetern Schotter und ebenso viel Sand. Das ist bei sommerlichen Außentemperaturen und der staubigen Arbeitsumgebung denkbar anstrengend und überaus schweißtreibend. Noch härter ist allerdings die Arbeit an der Station für das Zuschneiden und Behauen, der für die schützende Trockenmauer benötigten Travertin-Steine. Dabei handelt es sich um einen leicht porösen Kalkstein von meist heller Farbe, der über die Jahrtausende an Süßwasserquellen als Quellkalk entstanden ist.


 

Orangenbaumblätter liegen auf dem Weg

Für die neuen Hangschutzmauern nutzen die freiwilligen Helfer in Uniform bereits vorhandene alte Steine, um so weiterhin ein einheitliches Gesamtbild auf der historischen Kriegsgräberstätte zu erhalten. Die Steine stammen von der ursprünglich über fünf Meter hohen Ummauerung des Mausoleums. Über die Jahrzehnte hatte sich aber gezeigt, dass die Statik dem Gewicht nicht standhalten konnte. So entschloss sich der Volksbund schon vor Jahren, die Mauer ein wenig tiefer abzuschließen. Die dabei abgerissenen Steine wurden in weiser Voraussicht aber nicht entsorgt, sondern an einer abgelegenen Stelle der Anlage unweit einer kleinen Plantage aufbewahrt. Dort blieben sie über die Jahre und wurden nach und nach von Orangen- und Olivenbaumblättern bedeckt. Nun bekommen sie wieder eine neue Bestimmung.

 

Die Baumaßnahme wurde nötig, nachdem es auf der Kriegsgräberstätte in den vergangenen Jahren gleich mehrere Erdrutsche gegeben hatte. Für den unterhalb der hoch gelegenen Anlage beheimateten Nachbarn muss dies ein überaus erschreckendes Bild gewesen sein, dass das Erdreich einer Kriegsgräberstätte sich über seinen Obstgarten ergießt. Es bestand also Handlungsbedarf. Die Lösung finden Volksbund-Mitarbeiter Norman Görgl und der örtliche Verwalter Vito Paolo Marullo dann gemeinsam: Mit den alten Steinen, sollen gleich drei abgestufte neue Mauern entstehen, die letztlich ein stabiles Terrassenensemble bilden. Die dafür notwendige Arbeit zu Füßen der gefallenen Soldaten, sollten nun die Bundeswehrsoldaten unserer Tage leisten – am besten freiwillig. Und so geschah es auch.

 

Wie der Vater – so der Sohn

Das hat beim Volksbund, der jährlich weit über 60 solcher Bundeswehr-Einsätze im Ausland organisiert, bereits eine lange Tradition – übrigens ebenso wie der Verwalter Vito Paolo Marullo, der gerade frisch seinen Magisterabschluss samt Lorbeerkranz als Kommunikationswissenschaftler erhalten hat. Herzlichen Glückwunsch!

Doch dies ist ohnehin nur der akademische Ausweis für eine Fähigkeit, die Marullo schon in die Wiege gelegt bekommen hat. Schon sein Vater, hatte all die Menschen, die in Gedenken an all die Toten nach Motta gereist waren, hier formvollendet begrüßt und betreut. Diese Tradition führt Vito nun bereits seit zwanzig Jahren fort. „Ich bin sehr zufrieden mit meiner Arbeit, denn sie ist einzigartig, von großer Bedeutung für die Menschen und bietet immer wieder Neues sowie Unerwartetes“, sagt der 42-jährge Sizilianer mit ausgezeichneten Deutschkenntnissen. Auch während der Arbeit der Bundeswehr-Kameraden empfängt Vito Marullo ein Ehepaar aus Deutschland, das hier einen verstorbenen Verwandten besucht.

Eine schwere und wichtige Arbeit

 

Anschließend geht es wieder zurück zur Baustelle. Dort geht es gut voran. Die Soldaten des Ausbildungsstützpunktes Luftlande/Lufttransport in Altenstadt (Oberbayern), vom Gebirgspionierbataillon 8 sowie vom Feldwebel- und Unteroffiziersanwärterbataillon 3 leisten ganze Arbeit: Die erste der drei Trockenmauern ist bereits fertig, die zweite beinahe. Doch am Ende der Arbeit ist es immer am schwersten. Dazu kommt, dass die zentnerschweren Gesteinsbrocken nun auf ein immer höheres Niveau gehoben werden müssen. Das schlaucht. Es ist eine schwere und wichtige Arbeit, das wissen hier alle. Deswegen bleibt zwischendurch auch immer wieder Zeit für kleine Scherze oder eine erfrischende Dusche aus dem Wasserschlauch. Am Ende des Tages hat das Team um Christian Treitz, der bereits zum vierten Mal in Motta arbeitet, den Auftrag erledigt: Zwei von drei geplanten Trockenmauern stehen. Die dritte folgt dann bei einem weiteren Arbeitseinsatz im September.

 

„Luz“ Long und Jesse Owens

Zum Abschied befreien sich die Soldaten von all dem Staub und Dreck, kleben ihre kleinen Wunden ab und werfen sich in frische Hemden, um eine abschließende Kranzniederlegung unweit des Grabes von Carl Ludwig „Luz“ Hermann Long und tausenden weiteren Kriegstoten abzuhalten. „Luz“ Long war ein berühmter Weitspringer und Silbermedaillengewinner, der sich bei den Olympischen Spielen von 1936 in Berlin mit dem farbigen Amerikaner Jesse Owens angefreundet hatte. Es war ein wahrhaftes Bild echter Freundschaft, die jegliche Grenze und Ideologie zu überwinden vermochte. Adolf Hitler soll deswegen vor Wut geschäumt haben – doch die Freundschaft der beiden Familien wird von ihren Nachkommen bis heute fortgeführt. Dies ist nur eine von vielen menschlichen Geschichten, die diese Kriegsgräberstätte auf Sizilien zu erzählen hat. Mit dem absolut gelungenen Arbeitseinsatz der Soldaten und ihrem Bau der Mauer am Orangenhain kommt nun eine weitere hinzu.

Maurice Bonkat