Projekte aus dem Landesverband Hessen
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Kriegsgräberstätte Klein-Zimmern

Götz Hartmann, Volksbund Hessen

Auf dem Friedhof in den Feldern südlich der Ortschaft Klein-Zimmern (Ldkr. Darmstadt-Dieburg) sind mehr als 400 sowjetische Kriegsgefangene bestattet. Sie starben zwischen 1941 und 1945 in einem nahe gelegenen Lazarett. Zuständig für den nach dem deutschen »Gräbergesetz« vorgeschriebenen Erhalt der Kriegsgräberstätte und ihre Pflege ist die Gemeinde Groß-Zimmern; die anfallenden Kosten trägt die Bundesrepublik Deutschland.

Das Lazarett

Im St. Josephshaus Klein-Zimmern, einer 1939 durch das NS-Regime beschlagnahmten Jugendfürsorgeeinrichtung des Bistums Mainz, war während des Zweiten Weltkriegs eine Abteilung des Reservelazaretts Dieburg untergebracht. Das Teillazarett in Klein-Zimmern nahm verwundete, erkrankte und verletzte Kriegsgefangene auf. Ab 1941 stammte die Mehrzahl der Gefangenen aus Serbien und der Sowjetunion. Von 1943 an kamen italienische Militärinternierte hinzu. Versorgt wurden die Patienten hauptsächlich von ebenfalls kriegsgefangenem Sanitätspersonal ihrer eigenen Armeen.

Leiter des Reservelazaretts Dieburg war der in Groß-Zimmern niedergelassene praktische Arzt Dr. Hugo Kämmler, zuletzt im Rang eines Oberstabsarztes der Wehrmacht. Von 1934 bis Kriegsende leitete Kämmler zudem das für den Odenwald zuständige »Amt für Volksgesundheit« der NSDAP, in die er 1933 eingetreten war. Als ehemaliger Funktionsträger der Partei war er von 1945 bis 1948 durch die US-Militärregierung interniert. Nachdem er im Entnazifizierungsverfahren als »Entlasteter« eingestuft worden war, wurde er aus der Internierung entlassen. Kämmler starb 1953 in Groß-Zimmern.

Vorsätzlich völkerrechtswidrige Behandlung

Der Krieg gegen die Sowjetunion wurde von deutscher Seite als Vernichtungskrieg geführt. Der Tod von Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen durch Hunger, Krankheit und Erschöpfung war dabei einkalkuliert. Wurden die Gefangenen, die in Deutschland schwerste Zwangsarbeit leisten mussten, von ihren »Mannschafts-Stammlagern« (Stalags) in Lazarette eingewiesen, waren sie in der Regel stark unterernährt und vielfach bereits schwer krank.

Die vorsätzlich völkerrechtswidrige Behandlung setzte sich auch im Lazarett von Klein-Zimmern fort. Die sowjetischen Gefangenen erhielten lediglich dünne Decken und äußerst geringe Essensrationen. Nach dem Krieg erinnerte sich ein ehemaliger serbischer Gefangener daran, dass die »Russen« vor Hunger im Abfallhaufen nach Essbarem gesucht hatten. Gelegentliche Unterstützung durch deutsche Lazarettangestellte oder besser versorgte Mitgefangene, wie sie später von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen geschildert wurde, konnte ihre Situation nicht grundsätzlich verbessern.

Entsprechend hoch – und wesentlich höher als bei den Patienten aus anderen Armeen – war die Sterblichkeit unter den sowjetischen Gefangenen. Als Begräbnisplatz für sie diente ein Acker außerhalb von Klein-Zimmern, den die Gemeinde zur Verfügung gestellt hatte. Ohne Särge, nur in Papier eingeschlagen, wurden die Verstorbenen hier jeweils zu fünft nebeneinander in Sammelgräbern beerdigt. Die Grablagen der Toten wurden mit Holztafeln gekennzeichnet, auf denen die Nummern ihrer Erkennungsmarken standen.

Hatten sich die einzelnen Toten ursprünglich noch bestimmten Grablagen zuordnen lassen, änderte sich dies, als die Holztafeln gegen Ende des Krieges von den Gräbern verschwanden. Sie sollen als Heizmaterial gestohlen worden sein.

Durch Dokumente, die nach Kriegsende in die Sowjetunion gelangten, sind 380 Namen von sowjetischen Gefangenen bekannt, die im Lazarett von Klein-Zimmern verstarben. Eine Namensliste liegt auf Deutsch und Russisch vor. Sie wurde von der Dokumentationsstelle der Stiftung Sächsische Gedenkstätten erstellt und dem Volksbund in Hessen zur Verfügung überlassen. Sie können beide Fassungen der Liste hier einsehen:

Die Gesamtzahl der auf der Kriegsgräberstätte beerdigten Toten muss die Zahl der Namen auf der Liste jedoch übersteigen. Ein Polizeibericht vom Oktober 1945 sprach nach einer Ortsbesichtigung von rund 400, jeweils zu fünft in Sammelgräbern begrabenen Toten, außerdem von einigen Einzelgräbern. Der Bürgermeister von Klein-Zimmern notierte im August 1945, dass auch nach der Befreiung der Gefangenen durch US-Truppen am 25. März 1945 noch sowjetische Soldaten im Lazarett verstarben und auf dem Friedhof beigesetzt wurden, nun allerdings nicht mehr in den bereits angelegten Sammelgräbern. Wahrscheinlich entstanden dabei die Einzelgräber, die im Polizeibericht erwähnt wurden. Der Bericht des Bürgermeisters nennt eine Zahl von rund 450 Toten.

Der Friedhof

Im Sommer 1949 gab es einen ersten Ansatz, die Gräberstätte angemessen zu gestalten. Bis zum Herbst des Jahres war das Gelände aber wieder voller Unkraut. Auf den ungepflegten Zustand wurde 1950 die US-Landeskommission für Hessen aufmerksam, die zunächst beim Landratsamt in Dieburg und dann beim hessischen Innenministerium die Schaffung eines würdigen Erscheinungsbildes nachdrücklich anmahnte. Daraufhin ließ der Landkreis nach einem schon vorher gefassten Plan Bäume pflanzen, ein Kreuz aufstellen und das Grundstück mit einem Eingangstor versehen. Im November 1950 wurde der neugestaltete Friedhof durch einen russisch-orthodoxen Priester eingesegnet.

1960 wurde erneut eine Umgestaltung der Gräberstätte angestoßen. Die Initiative dazu ging vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge aus: Das hölzerne Kreuz sollte durch ein steinernes ersetzt werden, eine Inschrift sollte darauf hinweisen, dass auf dem Friedhof sowjetische Kriegsgefangene bestattet waren, und durch symbolische, über das Gelände verteilte Kreuze sollte dieses auch äußerlich als Begräbnisort erkennbar gemacht werden. Das Regierungspräsidium in Darmstadt schloss sich dem Volksbund an und gab der Gemeinde Klein-Zimmern den Auftrag, das Erscheinungsbild der Gräberstätte den Vorschlägen entsprechend zu verändern. Die Arbeiten wurden 1961 ausgeführt, unter anderem von Pfadfindergruppen und mit Unterstützung durch Pioniere der US-Armee. Statt eines neuen Kreuzes wurde der Gedenkstein mit zweisprachiger Inschrift gesetzt.

Forschungsgeschichte

Das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen im Lazarett von Klein-Zimmern wurde in den Jahren 1992/1993 von Schülerinnen und Schülern der Albert-Schweitzer-Schule Groß-Zimmern umfassend aufgearbeitet. Damals konnten noch einige Zeitzeuginnen und Zeitzeugen befragt werden. Die Dokumentation ihrer Spurensuche »Denk Mal nach« für den Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte der Körber-Stiftung wurde von Bundespräsident Richard von Weizsäcker mit einem Preis ausgezeichnet.

Wertvolle Unterstützung erhielt die Arbeit der Schülerinnen und Schüler durch Heinz-Adolf Renkel. Der Privathistoriker aus Reinheim hat in jahrzehntelanger Arbeit eine umfangreiche Sammlung von Dokumenten, Fotografien und Objekten zum Lazarett von Klein-Zimmern zusammengetragen.

Ein Einzelschicksal: Nikita Iwanowitsch Larschin (1903–1944)

Im Frühjahr 2020 nahm die Enkelin eines Toten der Kriegsgräberstätte Kontakt zum Volksbund in Hessen auf. Sie hatte in eigener Recherche herausgefunden, dass ihr Großvater Nikita Iwanowitsch Larschin auf dem »Russenfriedhof« bestattet worden war, und stellte ihre Informationen dem Volksbund zur Verfügung. Die Geschichte von Nikita Larschin, seiner Enkelin und ihrer Suche nach seinem Grab können Sie hier lesen.

Aufnahme ins Forschungsprojekt des Landesverbands

An der Kriegsgräberstätte selbst gab es jedoch keine Informationen zum Schicksal der hier begrabenen Toten. Warum und unter welchen Umständen gerade sowjetische Kriegsgefangene im Lazarett von Klein-Zimmern in so großer Zahl verstarben, war vor Ort nicht öffentlich dokumentiert. Zuletzt forderte ein »Runder Tisch« von Akteurinnen und Akteuren der örtlichen Gedenkkultur, an dem auch der Volksbund in Hessen beteiligt war, im August 2020 ein Ende dieses Zustands.

Im Anschluss an das Rundtischgespräch schlug Volksbund-Landesgeschäftsführerin Viola Krause der für den Friedhof verantwortlichen Gemeinde Groß-Zimmern vor, die von allen Beteiligten gewünschte Informationstafel für die Kriegsgräberstätte im Rahmen des historischen Forschungsprojekts des Volksbunds in Hessen zu realisieren. Die Annahme des Vorschlags durch Bürgermeister Achim Grimm machte es nötig, die Arbeitsschwerpunkte im Forschungsprojekt kurzfristig neu zu gewichten. Mit Billigung des Landesvorstands wurde der Informationstafel Vorrang eingeräumt.

Quellen aus den hessischen Staatsarchiven in Wiesbaden und Darmstadt lieferten nun weitere neue Erkenntnisse zur Kriegsgräberstätte Klein-Zimmern. Die Dokumentation der Forschungsergebnisse wurde von vornherein auf Deutsch und Russisch geplant. Am 22. Juni 2021, dem 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion, wurde die neue zweisprachige Informationstafel des Volksbunds auf schließlich im Rahmen einer Gedenkfeier der Gemeinde Groß-Zimmern der Öffentlichkeit übergeben.

(Zuletzt geändert: 16.01.2024)