Versenkung der Blücher 1940 im Oslofjord. Die Angabe zur Zahl der Todesopfer schwankt zwischen 320 und 1000. Das Wrack liegt noch heute in 90 Metern Tiefe. (© Riksarkivet, National Archives of Norway, Wikimedia Commons)
Von Plünderungen bedroht: Seekriegsgräber
#volksbundhistory erinnert an Kriegsopfer auf dem Meeresgrund – zweitägige Tagung in Hamburg
Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. kümmert sich nicht nur um Kriegstote an Land, sondern auch auf See. Neben der Gedenk- und Erinnerungsarbeit und der Betreuung Angehöriger steht zunehmend der Kampf gegen Plünderer im Vordergrund. Expertinnen und Experten suchen bei einer Tagung am 12. und 13. April in Hamburg nach Lösungen.
Während man bei „Kriegstoten” meistens nur an Militärangehörige denkt, fallen auch im Krieg umgekommene Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge, zivile Bombenopfer, Opfer der NS-Justiz und andere Gruppen unter diesen Begriff. Dies gilt auch für die Toten auf See.
Neben Angehörigen der Kriegs- und Handelsmarine zählen auch Heeres- und Luftwaffenangehörige, tausende KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und zivile Flüchtlinge dazu. Die Wracks sind nach internationalem Recht geschützt, doch ein zunehmender Tauchtourismus und einige skrupellose Schatzsucher stören ihren Frieden.
Unter dem Hashtag #volksbundhistory berichten wir von historischen Ereignissen und liefern Hintergrundinformationen. Das neue Format ist medienübergreifend mit Print- und Online-Artikeln, Audiofeatures und Videos (mehr dazu am Textende). Unser Autor heute: Dr. Christian Lübcke, Geschäftsführer des Landesverbandes Hamburg
Katastrophe „Kurland-Kessel“
Nicht nur im Krieg versenkte Schiffe und Boote können den Status eines Seekriegsgrabes haben. Auch über dem Meer abgeschossene Flugzeuge zählt man dazu. Auch hier handelt es sich um tausende Seekriegstote.
Noch am 8. Mai 1945 kam es zu einer Katastrophe über der Ostsee: Kurz vor Beginn des Waffenstillstandes in Europa startete die Luftwaffe eine großangelegte Evakuierungsaktion. Etwa 100 Maschinen stiegen von Dänemark, Norwegen und unbesetzten Teilen Deutschlands auf. Ihr Ziel war der „Kurland-Kessel“ im heutigen Lettland, wo rund 200.000 eingeschlossene deutsche Soldaten der Kriegsgefangenschaft entgegensahen.
Freie Plätze an Bord verlost
Die Flugzeuge waren präpariert. Alles, was ausgebaut werden konnte, war entfernt worden – selbst die Bewaffnung. Nur Pilot und Navigator waren an Bord – die Maschinen sollten so viele Männer aufnehmen wie möglich. Mindestens 80 von ihnen erreichten den „Kurland-Kessel“, ein Sammelsurium verschiedenster Flugzeugtypen.
Als erstes kamen die Verwundeten an Bord. Beim Beladen wurden Rekorde gebrochen. Selbst in die Bombenschächte wurden Männer gezwängt. Noch freie Plätze wurden unter den Verbänden vor Ort verlost. Angesichts der zu erwartenden langen Kriegsgefangenschaft erhielten Familienväter aus besonders kinderreichen Familien den Vorzug.
„Brennendes Inferno“
Die vollbesetzten Maschinen stiegen bereits unter sowjetischem Artilleriefeuer auf, denn von einem Waffenstillstand war im Osten noch keine Rede. In der Luft erwarteten dann sowjetische Jagdmaschinen die deutschen Flugzeuge. Was folgte, wurde von deutschen Marinebesatzungen auf See später als „brennendes Inferno“ bezeichnet.
Allein von den 35 Junkers-52-Maschinen mit jeweils 20 bis 30 Verwundeten an Bord wurden in kürzester Zeit alle bis auf zwei abgeschossen. Nach vorsichtigen Schätzungen kamen mindestens 800 deutsche Soldaten bei diesem ungleichen Luftkampf um. Auch sie sind Seekriegstote.
Massengrab Ostsee
Bekannter ist die Ostsee heute allerdings für die zahlreichen versenkten Schiffe und Boote, die – in der Regel mit verwundeten Soldaten und zivilen Flüchtlingen überfüllt – in den letzten Kriegsmonaten versenkt wurden. Man denkt dabei vor allem an die „Wilhelm Gustloff”, die „Goya” oder das Verwundeten-Transportschiff „Steuben”.
Keine kriegführende Nation hat so viele zivile Opfer auf See zu beklagen wie Deutschland. Zehntausende Flüchtlinge kamen auf See um – mehrheitlich Frauen und Kinder, da den meisten Männern die Evakuierung verboten wurde.
Nicht weniger tragisch ist der Tod von mehr als 8.000 KZ-Häftlingen, die noch am 3. Mai 1945 bei der Versenkung der Schiffe „Cap Arcona” und „Thielbek” in der Lübecker Bucht den Tod fanden. Für mindestens 55.000 Deutsche endete das Leben in der Ostsee in einem Seekriegsgrab, die Mehrheit von ihnen waren Zivilisten. Der Volksbund gedenkt dieser Toten regelmäßig.
Deutsche Seekriegsgräber weltweit
Deutsche Kriegsgräberstätten auf dem Festland sind über die ganze Welt verstreut. Das gilt auch für Seekriegsgräber: Weltweit gibt es kein Meer, auf dessen Grund nicht auch deutsche Kriegstote zu finden sind.
Hunderte U-Bootbesatzungen beider Weltkriege liegen auf dem Grund jedes Ozeans. Vom Schlachtschiff bis zum Mini-U-Boot ist fast jeder Boots- und Schiffstyp mit menschlichen Gebeinen dabei. Deutsche Seekriegsgräber befinden sich im Pazifik und im Atlantik in mehreren tausend Metern Tiefe oder auch nur wenige Meter unter der Wasseroberfläche – wie in der Ostsee.
„Totila” und „Teja” kaum bekannt
Große und berühmte Schiffe wie das Schlachtschiff „Bismarck” oder der Handelsstörer „Kormoran” sind vielen ein Begriff. Doch manchmal sind selbst die größten Seekriegsgräber in der Öffentlichkeit nicht bekannt.
Als 2013 das Wrack der „Totila” im Schwarzen Meer entdeckt wurde, sorgte das in den Medien kaum für eine Fußnote. Dabei kamen allein bei der Versenkung dieses Truppentransporters und des begleitenden Dampfers „Teja” bei der Evakuierung von Sewastopol am 10. Mai 1944 mehr als 8.000 deutsche und rumänische Soldaten ums Leben.
Wer nichts mitbringt, war nicht dort …
Vor allem deutsche Seekriegsgräber in geringer Wassertiefe sind zunehmend Ziel von Plünderungen. Souvenirjäger, Hobbyforscher und Schatzsucher dringen in die Wracks ein und vergreifen sich an dem Mobiliar oder den Besitztümern der Toten. Mitunter machen die Grabräuber hier nicht einmal vor den Gebeinen der Toten halt. Anders als oft vermutet, sind gerade sie in vielen Wracks noch in bemerkenswert gutem Zustand.
Während eine Plünderung auf einem gewöhnlichen Friedhof unserer Tage undenkbar wäre, herrschen unter der Wasseroberfläche ganz andere Bedingungen. Die Funde finden ihren Weg auf den Schwarzmarkt oder in private Vitrinen.
Noch extremer ist die Situation nur in Südostasien, wo Schrotthändler über Nacht teilweise ganze Seekriegsgräber (der britischen und niederländischen Marine) mitsamt der darin liegenden Gebeine auseinandernehmen, um den hochwertigen Stahl später zu verkaufen.
Tagung in Hamburg
Seit Jahren liegt der besondere Fokus des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Hamburg auf der Situation der deutschen Seekriegsgräber. Angehörige von Seekriegstoten können sich dorthin wenden. Mitarbeiter des Landesverbandes recherchieren zu den deutschen Seekriegstoten, leisten einen Beitrag bei der Identifizierung neu entdeckter Seekriegsgräber und wirken bei der Vorbereitung von Gedenkveranstaltungen mit.
Um auf die Problematik der zunehmenden Plünderungen von Seekriegsgräbern öffentlich zu machen und den Schutz der Seekriegsgräber möglichst zu verbessern, hat der Volksbund nun eine mehrtätige Tagung initiiert. Dabei kommen Vertreter der Marine, der Bundespolizei, der Landesarchäologieämter und aller namhaften maritimen Behörden und Organisationen zusammen.
Die Tagung wird von der Konrad-Adenauer-Stiftung organisiert.
Text: Dr. Christian Lübcke, Geschäftsführer des Landesverbandes Hamburg
Kontakt
Literaturhinweise:
Heinz Schön: Die Tragödie der Flüchtlingsschiffe. Gesunken in der Ostsee 1944–45, Stuttgart 2004.
Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina e.V. - Nationale Akademie der Wissenschaften (Hrsg.): Traces under water. Exploring and protecting the cultural heritage in the North Sea and Baltic Sea, Halle 2019.
#volksbundhistory
Ob der Beginn einer Schlacht, ein Bombenangriff, ein Schiffsuntergang, ein Friedensschluss – mit dem neuen Format #volksbundhistory möchte der Volksbund die Erinnerung an historische Ereignisse anschaulich vermitteln und dabei fachliche Expertise nutzen. Der Bezug zu Kriegsgräberstätten und zur Volksbund-Arbeit spielt dabei eine wichtige Rolle.
Die Beiträge werden sowohl von Historikern aus den eigenen Reihen als auch von Gastautoren stammen. Neben Jahres- und Gedenktagen sollen auch historische Persönlichkeiten und Kriegsbiographien vorgestellt werden. Darüber hinaus können Briefe, Dokumente oder Gegenstände aus dem Archiv ebenfalls Thema sein – jeweils eingebettet in den historischen Kontext.
Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. ist ein Verein, der seine Arbeit überwiegend aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden finanziert.