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Reportage

Bericht zur Gedenkveranstaltung

Reportage

Bericht zur Gedenkveranstaltung

Einen Tag nicht töten
100. Jahrestag der Sommer-Schlacht in Fricourt

Nicht einmal 45 Minuten dauerte es, bis fast 8 000 britische Soldaten des Ersten Weltkrieges an der Westfront bei Thiepval grausam dahingerafft waren. Noch am selben Tag sollten ihnen tausende Weitere folgen. Sie gingen wortwörtlich über die Leichen der vor ihnen Gefallenen. Am Ende des Tages wird die Zahl der Opfer allein auf britischer Seite 20 000 Seelen betragen. Es war der verlustreichste Tag in der gesamten britischen Militärgeschichte – und das Königreich führte viele Kriege. Dabei war dies nur der Anfang der Somme-Schlacht vom 1. Juli bis 18. November 1916, in der am Ende wenig gewonnen wurde aber insgesamt etwa 1,2 Millionen Menschen ihr Leben verloren.

Sprechende Stille

Ein Jahrhundert später kommen die Menschen, Franzosen, Briten, Deutsche und viele andere Nationalitäten, an gleicher Stelle wieder zusammen, um an diese Schlacht, ihre Toten und die daraus erwachsene Mahnung zu erinnern. Zu sagen gäbe es viel, zum Beispiel über die Lehren, die man heute aus diesem menschenverachtenden Krieg mitten in Europa zu ziehen hätte. Besonders aus britischer Perspektive bleibt dennoch vieles unausgesprochen. Es ist eine sprechende Stille angesichts der alles überschattenden Diskussion um den Austritt des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union. Auch während der minutiös geplanten und überaus beeindruckenden britischen Gedenkveranstaltung, an der mehrere tausend Gäste teilhaben, fällt hierzu kein Wort. Nein: das heutige Gedenken zielt allein auf das Vergangene ab.

Tasche voller Todesmeldungen

Dabei zeichnen die Organisatoren der Commonwealth War Grave Commission (CWGC) durch zahlreiche historische Beiträge ein durchaus vielschichtiges und authentisches Bild des damaligen Kriegsgeschehens. In zahlreichen persönlichen Texten wird dabei auch auf das Schicksal zahlreicher Künstler, bekannter Fußballspieler und der vielen Kämpfer aus Übersee erinnert. Auch die Tatsache, dass durch die Aufstellung so genannter „Kumpel-Kompanien", also Einheiten aus einer bestimmten Stadt, mancherorts beinahe eine komplette Alterskohorte junger Männer für immer ausgelöscht wurde, bleibt nicht unerwähnt. Wie muss es für die Daheimgebliebenen ganz gleich welcher Nation gewesen sein, wenn der Postbote vor fast jeder Türe mit gesenktem Haupt innehielt, die Tasche voller Todesmeldungen?

Prominente Filmstars, hochrangige Politiker und auch Mitglieder des britischen Königshauses verlesen dazu Feldpostbriefe, Augenzeugenberichte von der Front, Gedichte und Lieder. Durch deren Inhalte wird zugleich deutlich, was all jene Todeszahlen, die für den menschlichen Verstand ohnehin kaum zu fassen sind, für das jeweilige Individuum konkret bedeutet haben: „Ich bin zu müde zum Schlafen, zu müde, um irgendetwas anderes zu tun, als nur zu liegen und die hölzerne Decke anzustarren“, schreibt etwa die englische Rot-Kreuz-Schwester Olive Dent: „Ich bin zu müde, um irgendetwas anderes zu tun als denken, denken, denken. Zu müde, um die flehentlichen Augenpaare aus meinen Gedanken zu verbannen – und auch das leise Flüstern so vieler verzweifelter Männer, die mich fragen: Schwester, werde ich sterben?“.

Einheit in der Vielfalt

Abseits der Gräber sind es diese Zeugnisse der Toten vergangener Tage, welche den heute Lebenden am ehesten in Erinnerung bleiben und wichtige Schlüsse für die Zukunft erlauben. Neben wirtschaftlichen Aspekten erschien das zusammenwachsende Europa auch als politische Folge aus den Lehren des Ersten und auch des Zweiten Weltkrieges, als Garant für Sicherheit und Frieden. Inzwischen hat sich manches verändert: Wo früher das verbindende Gefühl der Gemeinsamkeiten die politische Landschaft scheinbar prägte, zeigen sich heute Verunsicherung, Ängste und die vermeintliche Rückbesinnung auf nationalstaatliche Bezüge. Das ursprüngliche Motto der Europäischen Union, nämlich Einheit in der Vielfalt (französisch: L'unité dans la diversité), scheint sich mehr und mehr ins Gegenteil zu verkehren. Und so wie einst die Somme-Schlacht mit einer gewaltigen Detonation - der Sprengung der stark befestigten „Schwabenhöhe“ - ihren Anfang nahm, endete das Gedenken in Thiepval: mit einem großen Knall der britischen Artillerie am Rande des Gräberfeldes.

Farbe des Friedens

Womöglich ist dies nur eine Momentaufnahme. Das Gedenken an den Ersten Weltkrieg und seine Folgen trägt in unseren Tagen noch immer ein gemeinsames Fundament: nämlich den Willen zum Frieden. Darauf lässt sich aufbauen. Dies zeigt sich auch vor und während der deutschen Gedenkveranstaltung auf der Kriegsgräberstätte Fricourt. Hier sieht man am Jahrestag des Beginns der Somme-Schlacht viele Farben: Die großen Fahnenmasten tragen die Flaggen Frankreichs, Deutschlands und natürlich auch Großbritanniens. Eine ganz besondere Farbe aber tritt schon unmittelbar beim Betreten dieser Kriegsgräberstätte deutlich ins Auge: Es ist das strahlende Weiß der Blumensträuße, die zahlreiche Volksbund-Förderer zuvor mit ihrer Spende finanziert hatten.

Dabei handelte es sich um eine inzwischen mehrfach umgesetzte Volksbund-Aktion, die an das Schicksal der unbekannten Toten erinnern soll, deren letzte Ruhestätten ansonsten für immer ungeschmückt blieben. Schon Tage vor der deutschen Gedenkveranstaltung mit etwa 700 Besuchern hatten die Soldaten des Panzerpionierbataillons 130 aus Minden, übrigens gemeinsam mit britischen Schulkindern aus Aylesbury in Buckinghamshire die Blumen an den Gräbern der Unbekannten sowie auf den drei großen Gemeinschaftsgrablagen sorgsam drapiert. Die verbliebenen Sträuße wurde später an die Besucher weitergereicht.

Trauer und Hoffnung

Der Präsident des Volksbundes war es letztlich, der dem Unausgesprochenen seine Stimme verlieh. Als einer der Wenigen sprach er im Zusammenhang mit den zahlreichen Gedenkveranstaltungen zum 100. Jahrestag der Somme-Schlacht auch von den aktuellen Spannungsfeldern Europas: „Wir gedenken heute der Toten der damals feindlichen Nationen mit Trauer – und der Hoffnung, dass wir aus dieser Vergangenheit gelernt haben. Für uns heute spielt dabei die Europäische Union eine wesentliche Rolle. Sie ist gewissermaßen die Gestalt gewordene Lehre aus den Schrecken dieser Tage. Auch wenn durch die britische Entscheidung, aus der EU auszutreten, sowie durch verschiedene andere Krisen die EU in einer tiefen Krise steckt, bin ich überzeugt, dass eine friedvolle Zukunft für uns ganz wesentlich von dieser Europäischen Union geprägt sein wird." Zuvor ließ auch er, ähnlich wie die Gedenkenden in Thiepval, die Toten nochmals zu Wort kommen. Er tat dies mit einem kurzen Gedicht des Autors und Frontkämpfers Edlef Köppen aus dem Jahr 1915:

Einen Tag lang in Stille untergehen
Einen Tag lang den Kopf in Blumen kühlen
Und die Hände fallen lassen
Und träumen: diesen schwarzsamtnen, singenden Traum:
Einen Tag lang nicht töten
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Impressionen der Veranstaltung