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Reportage

Reportage

Blumen für Lommel

Spätsommer 1961: Zusammen mit anderen Jugendlichen besucht die 16-jährige Heidrun Könnecke die Kriegsgräberstätte in Lommel. Für die junge Hamburgerin und ihre Begleiter ist es nur ein Abstecher nach Belgien. Ihre Ferien verbringen die Jugendlichen in einem Workcamp des Volksbundes in Luxemburg. Schweigend gehen sie an diesem schönen Sommertag durch die langen Reihen der Gräber. Plötzlich wird einer der Jungen, vielleicht 16 oder 17 Jahre alt, leichenblass. Tränen schießen ihm in die Augen, seine Gefährten müssen ihn stützen - auf einem der Grabkreuze hat er den Namen seines Vaters entdeckt. Er wurde gegen Ende des Krieges als vermisst gemeldet. Für den Jungen ist es hier in Lommel die erste, unverhoffte Begegnung mit seinem Vater, denn lebend haben sich die beiden nie getroffen.

Spätsommer 2009: Dunkle Wolken jagen über den Himmel, der Wind rauscht in den Bäumen der Kriegsgräberstätte. Von der Aussichtsplattform der dunklen Krypta hat man einen Blick, der zugleich beklemmend, aber auch in einer gewissen Weise schön ist. Beklemmend, wenn man sich bewusst wird, dass dieser kleine Ort in Belgien zur letzten Ruhestätte von fast 39 000 Menschen geworden ist - das ist fast ein Drittel mehr als diese Stadt Einwohner hat. Schön ist der Anblick, weil unter den 20 000 Grabkreuzen Menschen wirklich auf Dauer ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Schön auch, dass sie nicht vergessen sind. Mehr noch: Sie legen Zeugnis darüber ab, dass ihr Tod, wenn er denn überhaupt irgend einen Sinn haben könnte, dann nur diesen: Die Lebenden zu mahnen, nie wieder einen so fürchterlichen Krieg anzuzetteln! An diesem 11. September, dem Tag des weltweiten Gedenkens an die Terroropfer 2001 in New York, hat sich eine illustre Gesellschaft in Lommel versammelt. Der belgische Verteidigungsminister Pieter De Crem ist ebenso gekommen wie der deutsche Verteidigungs-Staatssekretär Rüdiger Wolf, Günter Rauer, Geschäftsträger der Deutschen Botschaft in Brüssel, und Volksbundpräsident Reinhard Führer. Auch rund 300 Angehörige haben die weite Anreise nicht gescheut. Nicht zuletzt sind das Luftwaffenmusikkorps 2 aus Karlsruhe und der Quartettverein Oberschmitte aufgezogen, der Gedenkfeier den würdigen musikalischen Rahmen zu geben. 

Rückschau und Ausblick

50 Jahre Kriegsgräberstätte Lommel sind ein guter Anlass für Rückschau und Ausblick. Seit der Eröffnung ist Lommel ein besonderer Bezugspunkt für den Volksbund. Während des "Kalten Krieges" war dort die größte vom Volksbund betreute Kriegsgräberstätte im Ausland und damit ein Symbol für die Arbeit des Volksbundes an sich. Denn bis zum Fall des Eisernen Vorhangs waren die deutschen Kriegsgräber im Osten für den Volksbund nicht zugänglich. Lommel hat auch deshalb einen besonderen Stellenwert, da der Friedhof durch Spenden und durch die freiwillige Arbeit von Jugendlichen errichtet wurde. 1953 schlug in Lommel die Geburtsstunde der international anerkannten Jugendarbeit des Volksbundes. In Lommel werden die beiden Visionen des Volksbundes deutlich: "Die Bürger können in Eigeninitiative dort helfen, wo dem Staat die Hände gebunden sind. Aber es reicht nicht, nur an den Gräbern zu trauern. Erst die Jugendarbeit bringt uns dem Ziel der 'Versöhnung über den Gräbern' und dem Frieden wirklich näher", sagt Volksbundpräsident Führer. Schließlich konnten durch den Volksbund von den ursprünglich 13 000 unbekannten Soldaten in Lommel mittlerweile 7 000 identifizieren: Ein wichtiger Beitrag für die Trauerarbeit der Angehörigen. Über 30 000 Menschen besuchen jedes Jahr die Kriegsgräberstätte in der flandrischen Provinz Limburg. 

Pünktlich zur Gedenkfeier haben deutsche und belgische Schüler gemeinsam mit Bundeswehrsoldaten tausende Gräber mit weißen Blumen geschmückt. Es sind die Gräber der unbekannten Soldaten, es sind die Gräber derer, die sonst nur selten mit Blumen bedacht werden. 300 000 Euro haben Mitglieder und Spender des Volksbundes in diesem Sommer in nur drei Wochen für Kriegsgräber in Westeuropa gespendet. Ein Teil dieses Geldes wurde nun für die schönen Nelken in Lommel verwendet.

Mann der ersten Stunde

Die Pflege und der Erhalt der Kriegsgräberstätten durch den Volksbund ist heute so aktuell wie damals in den 50er Jahren. "Man wird nicht mit der Situation fertig, wenn man keinen Abschluss findet", erklärt Dr. Klaus Thielecke aus Braunschweig und warum ein Grab ein wichtiger Schlusspunkt ist. Als 13jähriger gehörte er zu den ersten Freiwilligen, die in Lommel den Friedhof anlegten. Thielecke weiß, wovon er spricht. Sein Vater ist im Osten gefallen, in den letzten Monaten des Krieges. Nie gab er die Hoffnung auf, dass sein Vater vielleicht doch wiederkäme. Die intensive Arbeit für den Volksbund gab ihm über die Jahre Halt, gab ihm das Gefühl, etwas für seinen Vater zu tun und auch heute noch ist er dem Volksbund treu verbunden. Nach der Wende hat er viele Reisen in den Osten unternommen und gesehen, dass aus ehemaligen Gegnern oft Freunde geworden sind, dass aus Feindschaft "Freundschaft über den Gräbern" gewachsen ist. Auch sein eigenes Familienschicksal ließ sich schließlich klären. Sein Vater fiel in Ostpreußen und er ist auf dem Friedhof in Pillau begraben.

Niemals wieder

Bau und Pflege der Kriegsgräberstätten wären ohne die finanzielle Hilfe des Bundes, die vielen Spenden und vor allem die Mitarbeit der Jugend nicht möglich. Nicht zu unterschätzen ist aber auch die Zu sammenarbeit mit den lokalen Behörden. In Lommel ist diese Zusammenarbeit über Jahrzehnte hinweg hervorragend, fast schon Familien tradition - denn Bürgermeister Peter van de Velthoven ist der Nachfolger seines Vaters Louis im Amt. Für seine großen Verdienste wird Louis van de Velthoven von Volksbundpräsident Reinhard Führer mit der Goldenen Ehrennadel ausgezeichnet. Es ist ein anrührendes Bild wie der Vater, begleitet von seinem Sohn zur Verleihung schreitet - wortlos, stolz und vertraut. Wohl die meisten der hier bestatteten jungen Soldaten haben das so nie kennengelernt. Deshalb zieht sich das "Niemals wieder" aus gutem Grund als roter Faden durch die Reden von Pieter de Crem wie von Reinhard Führer: "Wer das erste Mal auf diesen Friedhof in Lommel kommt, kann es nicht fassen. Hier begreift man, was es bedeutet, Krieg zu haben. Jedes Kreuz steht für einen verlorenen Vater, Bruder oder Sohn. Diese Gedenkstätte in Lommel ist eine bedeutende Mahn- und Lernstätte. Wir müssen alles tun, damit der Frieden erhalten bleibt."