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Reportage

Reportage

50 Jahre Kriegsgräberstätte Oslo-Alfaset

 „Ich hatte einen Logenplatz bei dem Schlamassel”, sagt Helmut Wicke. Der bald 90-jährige ist der einzige Teilnehmer der Gedenkfeier des Volksbundes, der den Untergang des Schlachtschiffes Blücher aus nächster Nähe verfolgte. Heute liegen viele seiner Kameraden auf der deutschen Kriegsgräberstätte im norwegischen Oslo-Alfaset, während der Anker des Schweren Kreuzers neben der Ewigen Flamme an der Hafenpromenade Aker Brygge wie ein Mahnmal des Friedens steht.

„Damals war ich Seekadett auf dem Begleitschiff Emden und stand an der Back-FlaK, als der erste Treffer eines norwegischen 28-Zentimeter-Geschützes das legendäre Flaggschiff traf. Für den Norweger muss das wie ein Schulschießen gewesen sein. Ich habe bis heute nie verstanden, wieso der Kommandant so viele Leben riskierte”, sagt der spätere U-Boot-Kommandant, der ebenfalls schwere Verwundungen erlitt. Doch die Frage nach Schuld oder Sinn der in der Katastrophe mündenden Einfahrt des Schweren Kreuzers und seines Verbandes in den Oslo-Fjord will er heute nicht diskutieren. Denn dieser Tag ist dem Gedenken an die gefallenen Kameraden gewidmet.  

Über 3 000 Kriegstote hat der Volksbund nahe des ehemaligen Bauernhofs Alfaset unweit der norwegischen Landeshauptstadt beigesetzt. Viele von ihnen waren bereits auf dem beliebten Ausflugsziel Ekeberg oberhalb von Oslo bestattet und mussten nach dem Krieg umgebettet werden. Einige Seeleute liegen aber noch immer auf dem Grund des Fjords, nur knapp 80 Meter unter den Kielen der großen Kreuzfahrtschiffe. Mit diesen ist auch die Reisegruppe um die ehrenamtliche Volksbund-Begleiterin Marlene Will angereist. Es ist eine imposante Reise, die aber auch nachdenklich stimmt. Der Kontrast zwischen dem unglaublichen Reichtum der Natur, der ausgesprochenen Freundlichkeit der Menschen und dem, was hier vor nunmehr 70 Jahren geschah, ist nur schwer zu vereinen. 

Tochter Eva-Maria Gaul (81 Jahre), am Grab ihres gefallenen Vaters Dr. Fritz Ehrenforth

„Die Mahnung zum Frieden, die von hier ausgeht, veranschaulicht für künftige Generationen, dass Kriege kein Mittel der Politik sein dürfen. Denn das lehren auch die vergangenen Jahrzehnte: Es gibt keine Sieger auf den Schlachtfeldern - oder auf See”, sagt Prof. Volker Hannemann. Damit betont der Volksbund-Vizepräsident zugleich das Gedenken an zahlreiche im Krieg umgekommene Seeleute aller Nationen, deren Grab das Meer ist. Denn zeitgleich zu der Veranstaltung in Oslo werden auch an den anderen vier deutschen Kriegsgräberstätten Norwegens in Bergen, Narvik, Rognan und Trondheim Kränze niedergelegt und der Seekriegstoten gedacht.

 Einen besonderen Blumenschmuck spenden Volksbund-Förderer auch für die knapp 100 unbekannten Toten auf der Osloer Kriegsgräberstätte. Wie schon in Ysselsteyn (Niederlande), Pomezia (Italien) Regogne und Lommel (beide Belgien) oder La Cambe (Frankreich) gelten die weißen Blumensträuße auch hier dem Gedenken der Unbekannten, deren Gräber sonst ungeschmückt blieben. 

Am Grab von Hauptmann Dr. Fritz Ehrenforth stehen neben dem weißen Strauß des Volksbundes weitere Blumengestecke aus Gladiolen. "Das waren seine Lieblingsblumen," sagt seine Tochter Eva-Maria Gaul. Sie ist inzwischen 81 Jahre alt, bereits seit über einem halben Jahrhundert Mitglied des Volksbundes und schon zum sechsten Mal am Grab des Vaters: "Er war ein guter Vater von vier Kindern und Offizier mit Leib und Seele. Als es zum Ende der Schlacht um die Blücher darum ging, die Rettungsboote zu besteigen, ließ er den jüngeren und gesünderen den Vortritt. Auch eine Rettungsweste wollte er nicht. Die Fürsorge für seine ihm anvertrauten Soldaten stand bei ihm im Vordergrund!" Auf diese Weise verlor Eva-Maria Gaul ihren Vater. Ihr Bruder, Dr. Martin Ehrenforth, starb ebenfalls als Soldat im Zweiten Weltkrieg. Sein Name ist auf den Würfeln der Stalingrad-Gedenkstätte Rossoschka verzeichnet.  Die Bielefelderin kann viel über die Geschichte der Kriegsgräberstätte Oslo-Alfaset berichten. Denn ihre Mutter kannte noch das ursprüngliche Grab auf dem Ekeberg. Dann folgten 1953/5 die Umbettungen nach Alfaset, wo der Volksbund alle Lebensdaten auf flachen Pultsteinen vermerkte. Diese wurden später wiederum durch die Kreuzstelen mit jeweils sechs Namen ersetzt. "Heute gefällt es mir besser - und ich komme sehr gerne hierher," sagt die Angehörige. 

Aufklärungsbataillons 6 aus Eutin unter Stabsfeldwebel Jörg Blumenstein

Dass der Soldatenfriedhof trotz des anhaltenden Regens einen so guten Eindruck macht, ist dem Einsatz der Kameraden des Aufklärungsbataillons 6 aus Eutin unter Stabsfeldwebel Jörg Blumenstein zu verdanken. Die Soldaten erledigen hier zahlreiche Reinigungs- und Reparaturaufgaben. Dabei erhalten sie Unterstützung von Enrico Jablonski. Der 33-Jährige arbeitet schon seit längeren in Norwegen und stellt sogar Material in Höhe von etwa 1 000 Euro auf eigene Kosten zur Verfügung. Zudem sorgt er für Entspannung nach der Arbeit, indem er unter anderem einen Angelausflug mit seinen Booten organisiert.

So steht Jablonski neben den deutschen Soldaten, norwegischen Reservisten samt Militärkapelle, den Angehörigen und Zeitzeugen sowie dem deutschen Botschafter Detlev Rünger, während die Gedenkveranstaltung beginnt. Und nach Tagen unaufhörlichen Regens, bricht nun endlich die Wolkendecke auf. Es herrscht Stille abseits der großen Stadt mit dem imposanten Schloss des norwegischen Königshauses. Als die Nationalhymnen und auch das Lied vom guten Kameraden erklingen, sind alle Teilnehmer bewegt und beeindruckt.

Dies bringt auch der Botschafter beim anschließenden Empfang in der Festung Akershus zum Ausdruck. Im intensiven Gespräch mit dem Kriegsteilnehmer Helmut Wicke erfährt der Botschafter dessen Dankbarkeit: „Ich kam damals als Soldat hierher und wurde schwer verletzt. Heute bin ich nahezu fassungslos, wie freundlich wir Deutschen aufgenommen werden!”

Tatsächlich werden auch die deutschen Kriegsgräberstätten weiterhin durch die norwegische Regierung gepflegt. Dies ist besonders bemerkenswert: Ein überfallenes, besetztes und vom Krieg geplagtes Land erhält auf eigene Kosten die Gräber des ehemaligen Feindes. „Ein deutlicheres Zeichen der Versöhnung kann man sich kaum vorstellen”, sagt Volksbund-Vizepräsident Volker Hannemann und zitiert zum Abschluss ein bekanntes Wort des Philosophen Immanuel Kant: „Der Friede ist das Meisterwerk der Vernunft!”

Maurice Bonkat