Doch eine Befreiung oder vom Sinn der Geschichte
Ein Erlebnisbericht
Ostern 1945. Ein Bauernhaus bei Ferrara in Oberitalien. Als junger, wenig erfahrener Unterarzt vertrete ich den in Urlaub befindlichen Stabsarzt und habe die Verantwortung für die ärztliche Versorgung eines Panzergrenadierbataillons, das sich derzeit noch in ausgebauten Stellung an der „Via Emlia befindet. Ich habe am Tage die Stellung der Kompanien mit dem PKW abgefahren, einige Leichtkranke versorgt, erhielt mit der Feldpost einen Brief meines Vaters, in dem er mir von dem Bombenangriff auf Jena berichtet, und sitze nun mit meinen Sanitätsdienstgraden am offenen Kaminfeuer der Küche. Wir haben schon einige Gläser von dem Rotwein getrunken, den uns der Bauer freundlicherweise angeboten hat.
Wohl unter dem Eindruck des Briefes von zu Hause sage ich: „Wenn wir auch diesen Krieg verlieren, zweifle ich am Sinn der Geschichte.“ Dieser naive Satz, für den ich mich im Rückblick schämen möchte, spiegelt die Geschichtsauffassung wieder, zu der wir auf dem Gymnasium erzogen waren. Sie stand ganz unter dem Motto: „Die Schmach von Versailles (Ende des Ersten Weltkrieges) muss getilgt werden.“
Ein Sanitätsgefreiter, im Zivilberuf katholischer Kaplan, entgegnete ganz ruhig: „Und ich würde am Sinn der Geschichte zweifeln, wenn wir diesen Krieg gewinnen würden.“
Ein anderer, wesentlich älter als ich, Industriearbeiter aus Gera: „Und wenn dieser Krieg zu Ende ist, kann ich dann wieder offen sagen, dass ich Kommunist bin und Kommunist bleibe“, nimmt sein Taschenmesser, trennt das Band des Eisernen Kreuzes zweiter Klasse von seiner Feldbluse und wirft es ins Feuer.