Volksbund Logo Desktop Volksbund Logo Mobil
Gräbersuche Mitglied werden Jetzt spenden Spenden

Mein Kriegsende, die „Stunde Null“

Ein Erlebnisbericht

9. Mai 1945. Es ist früh, gegen sechs Uhr. Ein neuer Tag beginnt. Heute scheint schönes Wetter zu werden. Ich stehe auf und steige aus unserem Erdloch heraus.

 

 

Ich bin 16 Jahre, seit dem 11. April in amerikanischer Gefangenschaft und seit drei Wochen in Bad Kreuznach, im Lager Galgenberg. Wir liegen unter freiem Himmel auf einem Weinberg, d.h. es war mal einer! Inzwischen sind alle Weinstöcke und Pfähle abgeholzt und zum größten Teil verbrannt. Einige Pfähle dienen als Stützen für provisorische Dächer aus Pappen, Planen oder Blechen.

 

Das Erdloch, das ich mit meinem Kameraden Eberhard Büschel teile und das ich soeben verlassen habe, haben wir mit Blechbüchsen aus der Erde gegraben. Es bietet Schutz vor dem kühlen Nachtwind und so haben wir auch einen bestimmten Schlafplatz, auf dem wir uns wiederfinden.

 

 

Es ist noch früher Morgen, auch noch sehr kühl. Ich gehe, wie manch andere durch die Gassen und Wege zwischen den noch schlafenden oder doch in ihren Löchern liegenden Kumpeln hindurch zum Lagerzaun oberhalb des Lagers.

 

 

 

Fluchtversuch - fast immer vergeblich und tödlich

 

Wie ich gehen an anderen Stellen des großen Areals andere am Zaun entlang, um zu sehen, ob da etwa ein Toter liegt, den sie kennen, denn nachts wurde am Zaun wieder geschossen: Fluchtversuch! Wohl fast immer vergeblich und tödlich.

 

Ich gehe in respektvollem Abstand am Zaun entlang – wir dürfen uns ihm nicht auf weniger als 10 Meter nähern. Draußen steht ein Posten, ein Ami. Er kaut auch in der frühen Morgenstunde – wie immer – einen Kaugummi. Seine „Vogelflinte“ hat er umgehängt, seinen Stahlhelm etwas ins Genick geschoben. Er sieht mir entgegen. Nicht unfreundlich oder abweisend, eher abwartend und fragend: „Was will der wohl?“

 

Als ich ihm gegenüber bin, bleibe ich stehen, wir sehen uns an und ich rufe fragend hinüber: „Is the war over?“. Er sagt mit leichtem Kopfnicken: „Yes – tonight!“

 

 

Der Krieg ist aus!

 

Ich kann es fast nicht glauben, gehe, ja renne fast zurück zu unserem Loch: „Eberhard! Der Krieg ist aus!! Heute Nacht!!“. Die benachbarten Kameraden hören es „Was sagst du? Der Krieg ist aus? Wer sagt das?“ Sie wagen es nicht zu glauben! Der Krieg aus? Da kommen wir doch bald nach Hause? Oder? Natürlich doch, die können uns doch nicht hierbehalten! Ist das wahr? Andere glauben nicht, dass es stimmt. Nichts dergleichen. Kein Wunder. Zu oft und zu viel wurden schon solche und ähnliche Parolen verbreitet. Und immer waren sie falsch. So gerät die Nachricht eigentlich schon in Vergessenheit. Es tut sich auch nirgendwo etwas. Stunden vergehen, der Tag beginnt seinen üblichen Lauf: Wir stehen vor oder neben unserem Loch, sehen hinab ins Tal, ringsherum überall Kameraden, die ebenfalls herumstehen, erzählen und warten, warten, worauf eigentlich? Auf eine Nachricht, aus der zu entnehmen ist, dass wir bald aus dem  Lager kommen, am besten nach Hause. Aber damit wird es wohl noch lange nichts.

 

Draußen, links  von uns, stehen schöne Einfamilienhäuser. Dort erwacht das Leben, eine Hausfrau hängt Federbetten zum Fenster hinaus. Federbetten! Schneeweiß!. Wir kommen gerade aus unseren Erdlöchern, schmutzig, lange nicht ordentlich gewaschen und mit ziemlich verdreckten Uniformen.

 

 

Kommen wir wieder nach Hause?

 

Gegen elf Uhr hören wir, dass die Lautsprecher, die rings um das Gesamtlager von 60.000 Mann aufgestellt sind, eingeschaltet werden. Die Musik, bzw. die Musikfetzen, die von den verschiedenen Lautsprechern von allen Seiten herüberklingen und sich überlagern, kann man kaum noch ertragen, den halben Tag, immer wieder die gleichen Lieder. Man ist froh, wenn sie abgestellt werden.

 

Heute aber kam keine Musik. Hat das eine Bedeutung? So warten alle gespannt. Da kommt das Brummen aus den Lautsprechern. Es klickt, als ob jemand ein Mikrophon aufnimmt, eine Stimme ertönt: „Achtung! Achtung! Wir bringen eine wichtige Durchsage. Das Alliierte Oberkommando gibt bekannt: Das Oberkommando der deutschen Wehrmacht hat gestern Abend die bedingungslose Kapitulation Deutschlands unterzeichnet. Seit heute 0 Uhr ruhen die Waffen. Der Krieg ist aus!“

 

Einen Augenblick herrscht Totenstille über dem riesigen Lager. Dann bricht es los: Von den Lagern im Tal beginnend erhebt  sich ein Jubelschrei der sich bis zu uns fortsetzt. Zehntausende begrüßen das Ende des Krieges!!. Ein einziger Aufschrei: „ÖÄÄÄH“ hallt über den ganzen Weinberg. Manche haben Tränen in den Augen. Jetzt kommen wir wieder nach Hause!

 

Als es nach Minuten wieder still ist sehen wir uns an. Was haben die eigentlich eben bejubelt? Dass wir den Krieg verloren haben? Das war doch schon lange klar! Aber die Hauptsache ist jetzt: Wir kommen wieder nach Hause!

…….

 

 

 

 

Testuser