Die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht nach dem Tod des Patienten
Die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht nach dem Tod des Patienten
„Hat der Verstorbene seinen Arzt vor seinem Tod nicht ausdrücklich von der Schweigepflicht entbunden, so ist im Zivilprozess sein mutmaßlicher Wille zu erforschen. Dabei ist dem Arzt eine weitgehend eigene Entscheidungsbefugnis einzuräumen“, so das OLG Koblenz in seinem Beschluss vom 23.10.2015, den die DVEV mit seinen wesentlichen Merkmalen wiedergibt.
OLG Koblenz, Beschluss vom 23.10.2015 zum Az. 12 W 538/15
Der Fall
In einem Rechtsstreit um die Pflichtteilsansprüche zwischen Geschwistern, verlangt die Tochter einen finanziellen Ausgleich dafür, dass sie die Verstorbene gepflegt hatte. Das Landgericht ordnete die Vernehmung des behandelnden Arztes der Verstorbenen als Zeugen an. Er sollte angeben, welche Erkrankungen die Verstorbene hatte und in welcher Art und Weise sowie in welchem Umfang sie pflegebedürftig gewesen sei. Der Arzt berief sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht und verweigerte die Aussage.
Die Entscheidung
Die ärztliche Schweigepflicht reicht über den Tod der Patienten hinaus. Hat sich der Patient zu Lebzeiten zur Schweigepflicht nach seinem Tod nicht geäußert, ist der mutmaßliche Wille des verstorbenen Patienten zu erforschen, also zu prüfen, ob er die Offenlegung mutmaßlich gebilligt oder missbilligt hätte. Dabei hat der Arzt eine weitgehende eigene Entscheidungsbefugnis. Er muss allerdings, wenn er sich zu einer Aussageverweigerung entschließt, eine gewissenhafte Prüfung vornehmen und im Einzelnen darlegen, auf welche Belange des Verstorbenen sich seine Weigerung stützt, so das OLG. Dies ist im vorliegenden Fall nicht geschehen. Der Arzt erklärte lediglich, dass er über einen Streit zwischen den Kindern nicht informiert sei und er daher nicht sagen könne, ob und inwieweit eine mutmaßliche Einwilligung gegeben sei. Das OLG kommt bei der Prüfung des mutmaßlichen Willens der Verstorbenen zu dem Ergebnis, dass der Arzt aussagen sollte. Es führt aus, dass die Verstorbene mutmaßlich daran interessiert gewesen wäre, dass es nach ihrem Tod zu einer gerechten Regelung betreffend ihres Nachlasses kommt. Dazu gehört auch, dass die Tatsachen offengelegt werden, die zur Ermittlung einer gerechten Regelung benötigt werden. Das bedeutet, dass sie ihren Arzt von seiner Schweigepflicht entbunden hätte, damit er das Gericht über die Frage ihrer Pflegebedürftigkeit informiert. Die Zeugnisverweigerung des Arztes wird daher vom Gericht für unrechtmäßig erklärt.
Tipp des Rechtsexperten
Jan Bittler, Fachanwalt für Erbrecht und Geschäftsführer der DVEV, rät: „Um einen Streit zu vermeiden, kann eine ausdrückliche Schweigepflichtentbindung hilfreich sein. Diese kann dem Arzt direkt gegeben oder aber im Testament bestimmt werden.“
Weitere Informationen:
Fundstelle: OLG Koblenz, Beschluss vom 23.10.2015 zum Az. 12 W 538/15
Quelle: Deutsche Vereinigung für Erbrecht- und Vermögensnachfolge e. V.